II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 470

Nr 40
Wien, Samstag
bei allen Pölkern, selbst solchen, die sich auf niederen Stufen der
Zivilisatiov befinden, den natürlichen Gefühlen entsprechend,
mit einer gewissen Diskretion umgeben wird. Die Vorgänge,
die den Kerm des in Rede stehenden Stückes bilden, sind in dieser
Beziehung durchaus eindeutiger Art. Die deutsche Kultur
in Oestertreich wird gewiß keinen Schaden leiden,
venn die Schaustellung solcher Vorgänge auf offener Bühne
unterbleibt. (Stürmischer Beifall und Händeklatschen bei den
Christlichsozialen. Heftige Gegenrufe bei den Sozialdemokraten.
Lärm.
Adg. Du Bauer: Es handelt sich um eine Ver¬
assungsfrage. Das, was Sie sagen, hat mit der Ver¬
fassung nichts zu tun. (Fortgesetzte Zwischenrufe.)
Bundesmitister Dr. Glanz: Ich glaube auch nicht, daß
die breiten Massen der Wiener Bevölkerung, die einen schweren
Existenzkampf führen, es als Verlust betrachten werden, wenn
einer kleinen Zahl frivoler Genießer —
die Berichte
über die Zusammensetzung und das Verhalten des Publikums
wvährend der Vorstellung läßt an dieser Charakteristik keinen
Zweifel — dieses dem sittlichen Empfinden und dem Ernst
der Zeit widersprechende Vergnügen entzogen wird.
Abg. Witteernigg (Sozialdemokrat):
Das
ist
Liguorimorall (Heftige Gegenrufe bei den Christlich
Andauennder Lärm.)
sozialen. —
Bundesminister Dr. Glanz: Die Regierung
glaubt, sich
bei dieser Verfügung mit der öffentlichen Meinung in Wien
und ganz Niederösterreich in Uebereinstimmung
zu befinden.
und ist überzeugt, daß ihre Auffassung auch
die Billigung
des Hauses finden wirh. (Zwischenrufe.)
Die formelle Seite der Frage.
folgendes: Da seitens des Magistrats den Verhältnissen, wie
sie sich nach Aufführung des „Reigen“ gestaltet haben, nicht
Rechnung getragen wurde, war es nach den gestenden
Kompetenzbestimmungen, welche die Theaterangelegenheiten
dem Ressort des Bundesministeriums des Innern zuweisen
mein Recht und meine Pflicht, die weiteren Auf¬
führungen zu untersagen. Wenn nun von seiten des
anfragenden Abgeordneten das Recht zur Aufsicht in seiner
Gänze bestritten wird, so möchte ich demgegenüber nur kurz
darauf verweisen, daß dieses Recht, in dem ich übrigens vor
allem eine Pflicht erblicke, schon in dem Verhältnis der
in Betracht kommenden Behörden an sich be¬
gründet ist, daß es Wissenschaft und Praxis niemals be¬
zweifelt haben, daß es von unsern obersten Gerichtshöfen stets
einmütig anerkannt wurde, daß es auch in unsre neue Ver¬
issung übernommen wurde, wie die Artikel 103 und 142 aus¬
brücklich bezeugen. Dem Recht der Aufsicht entspricht
anderseits die Verpflichtung zur Durchführung der
getroffenen Anordnungen. Auch diese Verpflichtung
ist eine unbestrittene gewesen, und kommt auch in der neuen
Verfassung zum Ausdruck. Die Regierung wird in analogen
fällen immer genau so handeln, mögen sie welches
Land immer betreffen.... (Lachen und Widerspruch bei den
zialdemokraten. — Fortgesetzte lärmende Zwischenrufe des
Beuhner.)
Präsident Dr. Weiskirchner: Herr Abgeordneter
Beuthner, ich rufe Sie zur Ordnung wegen fortgesetzter
Körung der Ruhe. (Zwischenrufe.)
Bundesminister Dr. Glanz: Auf die gegen mich ver¬
sönlich gerichteten Bemerkungen will ich nicht näher eingehen.
Ich glanke, das Urteil über mein Wirken getrost
edem anständig denkenden Menschen über¬
assen an können. (Stürmischer Beifall und Händes
klatschen bei den Christlichsozialen. — Fortgesetzte lärmende
Zwischenrufe bei den Sozialdemokraten.) Ich kann nur betonen
daß mich persönliche Angriffe, mögen sie von wo immer
kommen, nicht einen Schritt weit von dem, was ich als Pflicht
erkannt habe, abzubringen imstande sind.
Krawalie. — Drohender Sturm auf die
Brügeleien.
inisterbauf
Die letzten Worte des Bundesministers gehen in dem
tosenden Krawall unter, den die Bemerkung hervorruft, er über¬
lasse das Urteil über sein Wirken jedem anständig denken¬
den Menschen. Die der Ministerbank zunächst stehenden
Sozialdemokraten leiten diese Aeußerung, die als eine Heraus¬
von unten, und: „In zwa Monat!“ „Wie viel werden die
Schuhe kosten?“ wagte ich mich weiter. — „Wos koste, koste ...!
„Ei!“ lachte ich, „wie munter Sie scherzen, schalkhafter Meister!
Ich möchte aber gar zu gern wissen, was der Macherlohn be¬
tragen wird .. .. Betragen ... betragen ... betragen wird"
#erfolate nichts mehr. Dies war im Jänner. Anfang März,
Neues Wiener Taghlatt,
orderung und Beleidigung der ganzen Partei aufgefaßt wird,
laut schreiend weiter, und im Au stehen die rad kalen Elemente
der Linken Dr. Glanz gegenüber, der sich nach Beendigung seiner
Rede niedergesetzt hat und nun ohne jede Erwiderung den
ganzen Sturm über sich ergehen läßt. Die Abgeordneten
Zelenka, Witternigg und später Widholz drängen
sich in die erste Reibe vor, gehen mit erhobenen Fäusten gegen
die Ministerbank los und schlagen drohend auf das Pult los
unter den Rufen: „Wer ist ein unanständiger Mensch, Sie
Lakaienseele? Hinaus mit Ihnen!“ Sie wiederholen diese Rufe
ununterbrochen und trommeln dabei mit aller Kraft auf das
Pult los. Man versucht, sie zurückzuziehen, aber vergeblich, und
die Situation sieht einige Augenblicke hier für Dr. Glanz be¬
drohlich aus.
Er erhält indessen von der rechten Seite Sukkurs, von wo
einige christlichsoziale Agrarier sich den Weg zum Platze des
Bundesministers Dr. Glanz bahnen wollen. Durch dieses
Drängen kommt der vor der Ministerbank zusammengedrängte
Menschenknäuel in Bewegung, und es entsteht im Zentrum des
Hemizykles eine Keilerei, die infolge des Eingreifens der Ordner
zuerst noch wuster wird. Es regnet Püffe und Stöße von allen
Seiten, und erst die Intervention des Abg. Fink, der sich mit
Riesenkraft den Weg in die Mitte der Raufenden bahnt, er¬
nöglicht es, die Streitteile auseinander zu reißen. Dabei erhält
der gewesene Bundeshauptmann Sever, der seine Partei¬
genossen zu beruhigen versucht, von dem Christlichsozialen
Birchitz einen Stoß ins Gesicht. Aber auch die andern Ab¬
geordneten teilen Püffe aus und empfangen Stöße von allen
Seiten, bis es gelingt, die Ruhe wenigstens halbwegs wieder¬
verzustellen. Unterdessen sind die Abgeordneten Witternigg
und Polzer zur Ordnung gerufen worden, haben aber dessen¬
ungeachtet ihre Kundgebungen gegen Dr. Glanz fortgesetzt.
Endlich vermag sich Präsident Dr. Weiskirchner
Gehör zu verschaffen und sagt: Ich muß über diese unqualifi¬
zierbaren Vorgänge mein tiefstes Bedauern ausdrücken. (Bei¬
all. — Anhaltende Zwischenrufe und Lärm.) Durch solche Vor¬
gänge wird die Würde des Hauses aufs tiefste geschädigt. (Bei¬
all. — Zwischenrufe und anhaltende Unruhe.)
Die Debatte.
Abg. Volker (christlichsozial) bemerkt, daß aus einem
Theaterstück mit einem Male eine Verfassungsfrage geworden
ei. Die Art, in der Abg. Leuthner den Minister angegriffen
habe, zeige, daß die Sozialdemokraten keine Achtung vor der
Verfassung haven. (Widersprlch.) Wer einem Minister sagt, er
ei ein Bedienter, und nicht weiß, daß er ein Diener des Volkes
ist, der hat eben keine Achtung vor der Verfassung. Es handle
sich nicht um einen Kompetenzkonflikt, sondern darum, daß das
Sittlichkeitsgefühl der Bevölkerung durch die Aufführung des
„Reigen“ verletzt wird, und wenn Landeshauptmann Reu¬
mann die Sistierung nicht verfügt hat, so sei die Regierung
verpflichtet, einzuschreiten. Sie wollen die ganse Frage auf das
Verfassungsgeleise lenken. Wir stehen auf dem Standpunit, in
dieser Zeit müsse die Sittlichkeit gewahrt werden. Ihre Arbeiter¬
frauen werden gewiß nicht zum „Reigen“ gehen. Wer geht derm
hin.? Nur sattgefressene Schieber! (Stürmischer Beifall bei den
Christlichsozialen. — Lebhafte Zwischenrufe bei den Sozial¬
demokraten.) Empören Sie sich darüher, daß es diesen Leuten
versagt sein soll, den „Reigen“ zu sehen? Wir stehen auf dem
Standpunkt, daß die Regierung ihre Pflicht getan hat, und wir
verteidigen das. (Lebhafter Beifall bei den Christlichsozialen. —
Andauernde Zwischenrufe bei den Sozialdemokraten.) Der
Bürgermeister Reumann aber hat seine Pflicht verletzt.
Redner verweist auf die Aufführungsverbote in andern deutschen
Städten und erklärt, die Deutschen an der Donau wollen in
ihrem sittlichen Reinlichkeitsgefühl nicht hinter dem übrigen
deutschen Volke zurückstehen.
Der Standpunkt der Sozialdemokraten.
Abg. Seitz: Die höchst bedauernswerten Szenen, die
sich hier ereignet haben, sind, wie ich glaube, auf einen schweren
olitischen Fehler der christlichsozialen Partei und der Mehrheit
in diesem Hause überhaupt zurückzuführen. Oesterreich ist viel
Man werde mich schon verständigen. „Aber“ — kein „aber“,
wenn man bitten dürfe! Ich sei nicht allein auf der Welt!
Nie habe ich so viel geschwitzt wie im vorigen Juli. Es
war zum Unglück besonders heiß, und meine Winteranzüge
ind schwer. Es ist wahr, ich habe immer Wert auf weiche,
chwere Winterstoffe gelegt. Nun ... bis zu meinem Urlaub,
12 Februar 192
zu schwach, um eine Reg
Söldlingen zu ertragen.
Christlichsozialen. Rufe:

lingen?) Das ist der eigen
des Hauses den Mut gehab
ie gewiß das notwendige
politischen Takt gehabt, de
notwendig ist. (Zwischenri
ann man natürlich einm
Jahre in Präsidialbureaux
einen solchen Posten berufe
rufe bei den Christlichsozia
st, daß sich Herr Dr. Glan
das Urteil, das von eine
anständet wurde, jedem an
Redeweise, die ungehör
führmt n des Minister
ästherischen Auffass
eingenommen, daß jetzt in
chen Auffassungen des Dr.
er hat aber eingestanden,
auf Grund des Beschlusses
ich berufenen Stelle, erfol
Wien hat sich bei seiner
uständigen Stelle bekunde
nicht einmal anzudeuten,
Wir kümmern uns auch
n
Stück anhört. Wenn hier i
gesprochen wird, die Sittlich
die Aufführung des „Reige
den Sozialdemokraten), wei
wer sonst immer für seinee
an dem Theater vorüberzu
die politische Frage, die
mäßigkeit dieses Erlasse
Taktik der christlichsozialen
Fragen zunächst kleine ve
scheidungen zu treffen,
auf ein Präjudiz berufel
die Absicht haben, in den L
haben, den Landeshau
lichen Gebieter zu ma
Sozialdemokrat als Lande¬
die sogenannte Staats
Dieser Politik werden wir
kand entgegensetzen. Wen
st, daß wir einen so unterg
aufführung benützen müssen
zu ersticken, so tun wir es
Schritt dieser Regi
der Verfassung ge
Landes Wien auchen
(Lebhafter Beifall und
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von Wien, im Landtäg (von
von Wien gegenüber e#
stand begegnen, derziser
überwinden können.
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Händeklatschen bei den d#
hoffen sollten, den Widersta
mit bewaffneter Gen
Gefahr laufen, daß der G
wird. (Lebhafter Beifall
bemokraten. — Andauernd¬
sozialen.)
Die Rechtslage im v
Wir haben, so wie alle
ordnung aus dem Jahre
Nach ihr hat der Landeshal
zu entscheiden; lehnt er
Rekursrecht an das Bundes
hauptmann die Aufführun
und keine andre Behörde
weitere Entscheidung zu
auf den Standpunkt des M
daß er das Recht hätte, in
unternehmen, würde er n
hauptmann den Auf
Auf neun war ich gela
vor. Im Gerichtssaal herrsch
leidiger, der bei meinem Ein
einen Blick... genug, ich sch
ich nicht einen Fehler wahr
artiges, meine Schuhe jedoch