II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 501

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11. Reigen
Die Provokation und ihr Echo.
Die Debatte im Nationalrat.
Der Minister des Innern hat das klerikale Diktat
zu Ende gebracht und mit einem Erlaß an den Wiener
Magistrat die Zulassung der Aufführung des „Reigen“
von Arthur Schnigler außer Kraft gesetzt und die
weitere Aüfführung verboten. Dieser Vorstoß der
christlichsonalen Regierung gegen die Landesautonomie
Wiens hat im Nationalrat seinen Widerhall in
einer Debatte gesunden, die durch die dring¬
liche Anfrage der Abgeordneten Leuthner um
Genossen hervorgerusen wurde und die von heftigen
Sturmlzenen begleitet war. Aber diese Sturm¬
szenen, die sich dis zu Tätlichkeiten steigerten, haben —
und das muß ausdrücklich beiont werden — ihre
Wildheit nicht empfangen aus der Stimmung des
Hauses, sondern aus dem im höchsten Grade würdelosen
und zuchtlosen, ja geradezu ungezogenen Benehmen des
Minisiers Glanz der mit dem rechten Uebereiser
des Bedienten der Christlichsozialen die Dreistigkeit
seines Erlasses durch die bewußte Dreistigkeit seiner
Rede noch Überbot. Als der Abgeordnete Leuthner
die dringliche Anfrage begründete, ging die Bewegung
des Hauses nirgends über die natürlichen Aeußerungen
erregter Teilnahme und erregten Widerspruches hinaus.
Und Leuthner hat wahrlich in der Schärfe des Aus¬
drucks, mit dem er das Charakterbild des Ministers
umriß, und in der drastiichen Entschiedenheit der Worte,
mit denen er die tückische Politik der Christlichsozialen,
bei allgemein herrschender Landesanarchie just das
sozialdemokratische Wien der Willkür verfassungs¬
brecherischer Minister ausliefern zu wollen, kennzeichnele,
nichts zu wünschen übrig gelassen. Doch weder während¬
seiner Rede noch während des ersten Teiles der Rede des
Ministers gab es eigentlich Sturmszenen; der Sturm
brach erst los, als Glanz in seinem Schlußwort die
namenlose Unverschämtheit beging, einer großen Partei
des Hauses, der Sozialdemokratie, die Anständigkeit
abzusprechen. Dies wirkte um so aufreizender, als Glanz
die ganze Rede verlas; der erste Teil, das Werk seiner
Kanzlei, wurde durch Beschimpfungen eigener Mache
gekrönt, die sich der auch in der Redekunst minder¬
wertige Herr sorgfältig mit dem Bleistift vorher
notiert hatte.
Als nun die Sozialdemokraten die unerhörte
Flegelei des Ministers mit zornigen Zurufen und Vor¬
dringen gegen die Ministerbank beantworteten, stürzte
sich der Heerbann der christlichsozialen Ministerschützer
heran, es entstand ein Gedränge, ein Wogen, ein Stoßen.
Ein Stoß, den der Abgeordnete Pischitz, wie er
behauptet, zufällig, gegen Sever führte, brachte den
Lärm auf den Gipsel. Doch nicht die Aeußerlichkeit
dieser Vorgänge, sondern die berechtigte Empörung
über das von allen Anstandsbegriffen befreite Ver¬
halten des Ministers beherrschte die Bewegung
des Hauses, die denn auch nicht aufhörts,
als die scheidende Ordnerkette dem anhebenden
Handgemenge ein Ende setzte, die sich über den unglück¬
lichen christlichsozialen Redner Volker ergoß, obwohl das
pathetische Nichts, das dieser leere Schwätzer vorbrachte,
die Gemüter höchstens zum Lächeln oder zum
Gähnen hätte veranlassen können. Herr Volker hat
ich diesen schönklingenden Namen erst nachträglich
beilegen lassen, und früher auf den weit weniger
germanisch klingenden Namen Strepitschka gehört.
Trotzdem unterläßt er keine Gelegenheit, den echten
deutschen Mann herauszubeißen und tat es heute mit
besonderer Nachdrücklichkeit. Es war deshalb gut und
nützlich, daß er von Weber an die Klänge des ihm
von Kindesbeinen auf wohl vertrauteren Väteridioms
erinnert wurde.
S
der Landeshauptleu
Christlichsozialen mit dem Ordnungsruf treffen und
der Reiierung die
Dinghofer hat gehorsam die Erfüllung des schnöden
einer Portei stehen.
Seipel und Kun
Verlangens apportiert. Er vollendete seine Parteilich¬
Landeshang ann,
keit, die die sittliche Befähigung des Mannes zur
wandeit sich #as
Würde eines Vorsitzenden zu bezweifeln gestattet,
leuen gegenüdei de
#ndem er trotz des ausdrücklichen Verlangens
fäten und
dem einzige
Bauers sich weigerte, dem Minister Glanz eien
sozialverwa
Ordnungsruf zu erteilen, obwohl dieser eine ganze
verfassung, die Sie
Partei des Hauses dreist beleidigt hatte. Ja, obschon
geschaffen haben, de
Dinghoser gestand, die Aeußerung Glanz' nicht gehört
spricht, nach Ihren ?
i#gelingen.
zu haben, ließ er sich dennoch mit offenbarer Ver¬
letzung seiner Pflicht nicht einmal das Protokoll zur
Die
Feststellung des Wortlauts übergeben. Man hat Herrn
Minister Dr.
Dinghofer bisher steis sehr gut behandelt; es ist nach
führung des „Rei
seinem heutigen Benehmen offenkundig, daß er einer
Eigenschaft als pol
präsident beim Bü
ganz aideren Behandlung würdig wäre.
denten gegen die #
gemacht. Der Mag
Die Debatte im Nationalrat.
dessenungeachtei
Im Verlauf der Sitzung des Nationalrales am Frestag
Bescheid vom 12.
Die Anfführung
überreichten die Abgeordneten Venihner (Soz) und Ge¬
Erörtetungen in
nossen folgende deigliche Aaftage:
Pick: In d
Die Bundesiegierung hat die Aufführung des be¬
Dr. Glanz
kannten Theaterstückes „Reigen“ in Wien verboten. Dieses Ver¬
Mahrzahl der öffe
bot stellt einen verfassungswidrigen Eingrif
Seig:
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der Bundesregierung in die Rechte d
das nach
Landes Wien dar, da zur Ausübung der Theater¬
Dr. Glan
zentur in Wien ausschließlich der Landeshauptmann von
gesamten Einon
Wien befugt ist. Tas Verbot beweist, daß der Regierung das
Sütlichteit bedem
Titrat der Kleritalen höher stehr als die Bestimmungen der
Tein: Woh
Verfassung. Es wird die Frage gestellt, ob der Minister für
Wigany:
Inneres den verfassungswidrigen Erlaß über das Verbot
die Fühe wundge
der Aufführung des „Reigen“ sofort zurückziehen wolle.
spruch bei den Ch
Die Anfrage gelangte sofort zur Verhandlung.
Dr. Glan
muß man sie de
Leuthner (Soz.)
Soztaldemolrelen
führt aus, ##r wolle sich durchaus nicht in eine Diskussion über
Seit: Sie
asthitische oder eihische Fragen einlassen und gar nicht fragen,
geredet, aber sem
was der „Reigen“ künstierisch und ethisch bedeute. Wollte man
r. Manaje
die Frage beurteilen, was der „Reigen“ künstlerisch oder ethisch
Dr. Boner
bedeute, so würde sich herausstellen, daß Stücke wie der
wagt es, hier s#
„Reigen“ in zahlreichen Fällen aufgefährt werden (Ruse bei
Präsident Seit ha
den Christlichsozialen: Wo deun ?), ohne irgend einen Anstoß
Dr. Gianz
bei frommen Gemütern zu erregen, wie beispielsweise Stücke
an den Bürgermei
im Josefstädter Theater, die sich vom Reigen“ dadurch unter¬
ihn abzuwälzeg,
scheiden, daß ihnen die letzte Spur künstlerischer Absicht fehlt.
amtlichen
Es handelt sich hier lediglich um
eine abändernde
die rein gesetzliche Seite der Angelegenheit.
möglichen. Der
de
Nach dem Bundesverfassungsgesetz sieht dem Landeshaupt¬
daß er nich
mann — in diesem Falle dem Bürgermeister von Wien — die Ent¬
abzugehen.
Das
scheidung nach der Theaterverordnung vom Jahre 1850
taldem
ist,
bei den So
gegen die, wenn sie einmal in bejahendem Sinne erfolgt
lanz
Dr
eine Entscheidung der Resierung garnicht angeru
sah sich nun
werden kann. Nur in dem Fall, wenn sie verneinend,ist,
die weiteren Auff
ist eine Berufung an die Regierung möglich. In diesem Falle
reiche Protestrufe
ist nun eine besahende Entscheidung erfolgt, die Re¬
Präsid
Der
gierung hat aber trotzdem in der Peison des Ministers Glanz
eingegrifsen. Die Angelegenheit bekommt dadurch einen anderen
zur Ruhe.
Dr. Glanz
Geschmack, daß es dieselbe Regierung ist, die sich
stehenden Stückes
allen anderen Landeshauptleuten gegenüber vollständig
eindeutiger Ait.
tatenlos verhält.
keinen Schaben
(Zustimmung bei den Sozialdemotraten.) Herr Glanz wird es
auf offener Bühn
überhaupt nicht wagen, sich in irgend welche Verfügungen der
Chrislichsozialen;
Landeshauptleute einzumengen. (Lebhafte Zustimmung bei den
Lärm.)
Sozialdemokraten.) Denn diese siehen ihm als christlich¬
Dr.
tale Pacteiführer gegenüber, vor denen er
frage. Das, wa
sich eben o bedientenhaft benimmt wie vor den Parteiführern
tun. (Fort
der Christlichsozialen im Hause. Ich verweise dabei auf ein
Witternig
anderes Beispiel: In Steiermark droht der Streik der Gen¬
den Christlichiozigl
darmen, weil diese die Entsernung des Herrn Peinlich sordern.
Dr. Glonz
Dieser darf aber nicht entfernt werden,
nad
wie sie
weil Landeshauptmann Rintelen darin eine Prestige¬
nicht Rechnung ge
frage erblickt
Kompetzus
und es nicht gestattet! Nach der Verfassung hat aber Herr
heiten dem Ressol
Rintelen in dieser Frage gar nichts dreinzureden, sondern
Recht und mene P
nur der Bundesminister Glanz, denn die Gendarmerie ist
Dieses Rechthin del
Bundessache! Wir stehen vor einer Regierung, die sich um
ist schon in dem
die Verfassung nicht kümmert, sondern die Verwaltung führt
Behörden aß sich
ausschließlich nach den Gefälligkeiten, die sie der Partei erweist,
niemals besweifel
in deren Dienst sie arbeitet. (Lebhafter Beifall bei den
höfen steis enmü
Sozialdemolxaten.) Wir sind an den Begriff einer Patteiregierung
neue Verfassang ü
gewöhnt. Aber hier wird
ausdrücklich bezeu
10
offenkundig der Wortlaut des Gesetzes verleyt,
immer gesch
(Ja
beireffen
und das geschieht in der würdelo esten, widerwärtigsten Form,
kraten.) Auf die g
nicht von einem wirklichen Vertreter der regierenden Partei,
will ich nicht näh
sondern von einem Bedienten derseiben (lebhafter
Wirten getbll
Beifall bei den Sozialdemplraten), der sich durch sein Auf¬
Menschen übe
treten im Hause und in den Aemtern, in denen er wirksam
den Christlich ozia
in geradezu erelhaftesten, lakaien¬
ist,
Soialdemoßa#en.
mäßigen Formen (lebhafte Zustimmung bei den
Sozialdemokralen) als ein Mensch belätigt, der sich die Ehre griffe, mögenste vo