II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 502

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11. Reigen
Arbeiter-Zeitung
Ruhe trat erst wieder ein, als Seitz das Wort
ergriff. Mit unübertrefflicher Klarheit und unentrinn¬
barer Logik stellte Seitz den Verfassungsbruch des
Ministers fest. Wahrhaft vernichtend war in aller
Feinheit der Spott, mit dem er die ästhetisch=ethischen
Plattheiten der Glanzschen Rede abtat. Und der ge¬
bietende Ernst der Worte, in denen Seitz die Entschlessen¬
heit des Proletariats, die Autonomie Wiens vor jeder
Antastung zu schützen, aussprach, schlug selbst die
Gegner in Bann. Die Debatte war nach dem durch
die Ungeschliffenheit des Ministers verschuldeten
Zwischenfall auf die Höhe sachlicher Erörterung und
des sich in ihr ausrir genden politischen Gegensatzes
urückgeführt. Da gelung es Herrn Dinghoser, durch
eine Taktlosigkeit und Parteilichkeit ohnegleichen die
Würde des Hauses und des Präsidiums zugleich zu
verletzen. Auf eine ihm von christlichsozialer
Seite zukommende Anregung“ hin, die
man
nach ihrer Wirkung besser Befehl nennen mag, erkühnte
er sich, Seitz den Ordnungsruf zu erteilen, weil dieser
dargetan hatte, daß Glanz für seinen Ministerposten
nicht zulässig sein sollte, die geistige Unzulänglichkeit
eines Ministers für die Führung seines Amtes fest¬
zustellen, hört jede Möglichkeit parlamentarischer Kritik,
ja der parlamentarischen Debatte überhaupt auf.
Der Ordnungsruf des Herrn Dinghoser ist so
unsinnig, daß es einsach töricht wäre, ihn mit dem
Inhalt der Worte Seitz' in Beziehung zu bringen.
Den sozialdemokratischen Präsidenten wollten die
Christlichsozialen mit dem Ordnungsruf treffen und
Dinghofer hat gehorsam die Erfüllung des schnöden
Verlangens apportiert. Er vollendete seine Parteilich¬
keit, die die sittliche Befähigung des Mannes zur
Wärde eines Vorsitzenden zu bezweifeln gestattet,
idem er trotz des ausdrücklichen Verlangens
Bauers sich weigerte, dem Minister Glanz emen
und ihr
Ordnungsruf zu erteilen, obwohl dieser eine ganze
Nationalrat.
Partei des Hauses dreist beleidigt hatte. Ja, obschon
n hat das klerikale Diktat
Dinghofer gestand, die Aeußerung Glanz' nicht gehört
em Erlaß an den Wiener
zu haben, ließ er sich dennoch mit offenbarer Vere
AAufführung des „Reigen“
letzung seiner Pflicht nicht einmal das Protokoll zur
Kraft gesetzt und die
Feststellung des Wortlauts übergeben. Man hat Herrn
n. Dieser Vorstoß der
Dinghofer bisher stets sehr gut behandelt; es ist nach
gen die Landesautonomie
seinem heutigen Benehmen offenkundig, daß er einer
t seinen Widerhall
ganz anderen Behandlung würdig wäre.
die durch die dring¬
edneten Leuthner un
Die Debatte im Nationalrat.
Im Verlauf der Sitzung des Nationalrates am Freitag
Aber diese Sturm¬
Überreichten die Abgeordneien Venthuer (Soz) und Ge¬
eiten steigerten, haben —
nossen folgende dringliche Aaftage:
beiont werden — ihre
Die Bundesiegierung hat die Aufführung des be¬
kannten Theauerstückes „Reigen“ in Wien verboten. Dieses Ver¬
aus der Stimmung des
bot stellt elnen verfafsungswidrigen Eingrif
höchsten Grade würdelosen
der Bundesregierung in die Rechte d
ngezogenen Benehmen des
Landes Wien dar, da zur Ausübung der Theater¬
dem rechten Uebereiser
genfur in Wien ausschließlich der Landeshaupfmann von
Wien befugt ist. Das Verbot beweist, daß der Regierung das
hsozialen die Dreistigkeit
Ditrat der Kleritalen höher steht als die Bestimmungen der
ewußte Dreistigkeit seiner
Verfassung. Es wird die Frage gestellt, ob der Minister für
bgeordnete Leuthner
Innexes den verfassungswidrigen Erlaß über das Verbot
dete, ging die Bewegung
der Aufführung des „Reigen“ sofort zurückziehen wolle.
natürlichen Aeußerungen
Die Anfrage gelangte sofort zur Verhandlung.
ken Widerspruches hinaus.
Leuthner (Soz.)
in der Schärfe des Aus¬
[öhrt aus, er wolle sich durchaus nicht in eine Diskussion über
rakterbild des Ministers
sthetische oder eihische Fragen einlassen und gar nicht fragen,
Entschiedenheit der Worte,
was der „Reigen“ künstierisch und ethisch bedeute. Wollte man
die Frage beurteilen, was der „Reigen“ künstierisch oder ethisch
plitik der Christlichsozialen,
bedeute, so würde sich herausstellen, daß Stücke wie der
andesanarchie just das
Reigen“ in zahlreichen Fällen aufgeführt werden (Ruse bei
er Willkür verfassungs¬
den Cyristlichsozialen: Wo deun ?), ohne irgend einen Anstoß
n zu wollen, kennzeichnete,
bei srommen Gemülern zu erregen, wie beispielsweise Stücke
im Josefstädter Theater, die sich vom Reigen“ dadurch unter¬
sen. Doch weder während
scheiden, daß ihnen die letzte Spur lünstlerischer Absicht fehlt.
eriten Teiles der Rede
12. Februar 1921
Nr. 49
verdienen will, die mun ihm erwiesen hat, und von de#
Gesühl er üllt ist, daß er nur deshalb Minister wurde, weil#
trotz seiner inneren Unfähigkeit und seiner geringen Leistunen
auf diese Stelle entsenbet wurde, um den Christlichsozigen
Gefälligkeiten zu erweisen und sich als der Botenträger der
Christlichsozialen zu beiähtigen.
Dr. Baner: Und als Kandidat für den Landesamte
direktor von Steiermark
Leuthner: Das ist sein Charakierbild. Wir wissen wohl,
daß die Bundesverfassung mit Absicht gegenüber Wien ge¬
brechen wurde, daß man sich gegenüber dem Landeshauptmann
von Wien
mit Absicht über die Grenzen des Gesetzes hinwegsent.
Wenn wir die Beispiele Rintelen und Neumann gegen¬
einanderhalten, so sehen wir ein System. Die Christlichsozialen
haben eine Bundeeverfassung geschaffen, durch die; sie die
Staatseinheit auf das schlimmste gejährdeten und die Länder
zur vollkommenen Selbständigkeit erhoben haben. Die Wirtlich¬
eit unserer Bundesverfassung ist nicht ihr Buchttade, sondern
chrankenlose Anarchle, das Sichausleben der
Landeshauptleute bald in der Orgesch, bald in einer anderen
Richtung. Wir leben von einem Landeshauptmanmkandal zum
anderen. (Lachen bei den Christlichsozialen.) Aber dagegen wird
hr die Verfassung das Recht des Eingreisens zubilligte,
a
elbst dann nicht, wenn das Gesetz ihr die Pflicht zuschried¬
oder wenn sogar internationale Verwicklungen daraus ent¬
stünden, weil wir nicht eine Regierung haben, die aus führen¬
den Männern der christlichsozialen Partei besteht,
diese waren zu feig dazu,
sich an die Spitze zu siellen und die Verantwortung für ihre
Handlungen zu überneumen. (Lebhafter Beifall bei den Sozial¬
demottaren.) Wenn Hert Dr. Seipel es vorzöge, statt hier aus
den Wandelhallen heraus zu regieren, sich an die Spitze des
Staates zu stellen, dann würde er mit der Autorität seiner
artei und des Barteiführers imstände sein, die Ausschreitungen
er Landeshauptleute einzudämmen. Wenn aber an der Spitze
der Reuierung die Beauftragten, die Bedienten, die Lataien
einer Partei stehen, die erzittern müssen, nicht nur vor den
Seiper und Kunschak, sondern vor jedem christlichsozialen
Landeshaupmann, dunn hört jedes Regieren auf, dann ver¬
wandelt sich das Regusen in ein bloßes System von Gefällig¬
keiten gegegüder der christlich ozialen Partei und Brutalt¬
d Ueberschreitungen gegenüber
äten
dem einzigen Lande, das nicht christlich¬
sozialverwaltetwir d. Aber der Versuch, die Bundes¬
verfassung, die Sie selbst. im Sinne der Allgewalt der Länder
geschaffen haben, dort, wo sie Ihren Parteiinteressen wider¬
spricht, nach Ihren Wünschen umzudeuten, der wird Ihnen
lingen. (Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)
Die Antwort des Ministers.
Minister Dr. Glanz: Schon vor Zulassung der Auf¬
die durch den Magistrat in seiner
führung des „Reigen“
Eigenschaft als polnische Landeestelle erfolgt ist, hat der Polizei¬
präsident beim Bürgermeister von Wien auf die schweren Be¬
denten gegen die Aufführung dieses Bähnenwerkes aufmerksam
gemacht. Der Magisiral als polstische Landesdehorde hat jedoch
essenungeachtet nach Anhörung des Zensurdelrates mit dem
Bescheid vom 12. Jänner d. J. die Aufführung zugelassen.
Die Anfführung des Stückes gab alsbald zu lebhaften
Erörterungen in der Oeffentlichkeit Anlaß.
Pick: In der „Reichopost“
Dr. Glanz: Hiebet sprach sich die weit überwiegende
Mehrzahl der öffentluhen Stimmen
Seitz: Wo haben Sie das gezählt! Weisen Sie uns
das nach
dahin aus, daß die Aufführung ihrem
Dr. Glanz:
esamten Eindruck nach eine alge Verletzung der öffentlichen
Sütlichkeit bebeute.
Seiy: Woher wissen Sie das*#
Witzany: Die christlichsozialen Abgeordneten haben sich
die Füße wundgelaufen, damit sie Karten bekommen! (Wider¬
pruch bei den Christlichsozialen.)
Dr. Glanz: Wenn man Argumente bekämpfen will,
muß man sie horen. (Fortgesetzte ledhaste Zwischenrufe bei den
Soztaldemolraten.)
Sein: Sie haben dis jetzt nur über ästhetische Meinungen
geredet, aber kein einziges gesetzliches Atgument vorgebracht.
Dr. Maiaja: Der Heir Präsident als Krawallmacher
Dr. Bauer: Ein solcher Schreier wie der Derr Mataja
wagt es, hier so zu sprechen. (Ruse bei den Soztaldemolruten:
Bräsident Seitz hat das Recht, hier zu sprechen so wie Sie !)
Dr. Glanz: Ich wendete mich daher in einem Schreiben
an den Bürgermeister, nicht etwa um die Verantwortung auf
ihn abzuwälzen, sondern weil ich es für ein Gebol der
K