II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 504

Wien, Samstag
N. 42
dem, was ich als Pflicht erkannt habe, abzubringen imstande
sind. (Lebhafter Beifall bei den Christlichsozialen: stürmischer
Widerspruch; Pfui= und Abzugrufe bei den Sozialdemokraten.)
Sturm gegen den Minister.
Mehrere sozialdemotratische Abgeordnete dringen mit stür¬
mischen Rusen gegen den Platz des Ministers Dr. Glanz. Unter
stürmischen Zurufen gegen den Minister schlagen die Ab¬
geordneten Zelenka, Witternigg und Widholz
heftig auf den Ministertisch. Stürmische Entrüstungsrufe Lei
den Christlichsozialen. Großer langanhaltender Lärm, in
welchem die Worte des Präsidenten nicht vernommen
werden. Der Präsident erteilt den Abgeordneten
Witternigg und Pölzer den Ordnungsrof.
Großer Tumult. Vor der Ministerbank kommt es zu
stürmischen Auseinandersetzungen zwischen zahlreichen Ab¬
geordneten. Die Ordner bemühen sich, die heftig aufeinander¬
geratenen Abgeordneten zu trennen. Nachdem sich der Lärm
Präsident Dr. Weiskirchner: Ich muß über diese
unqualifizierbaren Vorgänge mein tiefstes Bedauern aus¬
drücken. (Anhaltende Zwischenruse und Lärm.) Durch solche
Vorgänge wird die Würde des Hauses aufs tiefste geschädigt.
(Zwischenrufe und anhaltende Unruhe.)
Volker (chr.=soz.): Die Angriffe gegen den Minister zeigen,
daß Sie keine Achtung vor der Verfassung haben. (Beifall bei
den Christlichsczialen; andauernde Zwischenrufe bei den Sazfal¬
demotraten.) Wer nicht weiß, daß der Minister ein Diener des
Volkes ist, der hat leine Achtung vor der Verfassung.
Andauernde Zwischenruse bei den Sozialdemokraten.) Wir
stehen auf dem Standpunkt, daß die Regierung ihre Pfücht
getan hat und wir verteidigen das.
Man
hat
in Berlin ver¬
und
den
München
„Reigen“ in
boten und wir als Deutsche an der Donau (lbhafte Zwischen¬
ruse bei den Sozialdemokraten; Abgeordneter Weber macht
einen Zwichenruf in tschechischer Sprache) —
wenn sie auf
meinen Namen anspielen, so will ich sonstatieren, daß ich
meinen Namen geändert habe —, wir Deutschen
an der Tonau wollen in unserem sittlichen Reinlichleitsgejähl
nicht hinter dem übrigen deutschen Volk zurückstehen. (Lebhafter
Beifall bei den Christlichsozialen; andauernde Zwischenruse bei
den Sozialdemokraten.)
Seiy (Soz.):
Die höchst bedauernswerten Szenen, die sich hier
ereignet haben, sind, wie ich glaube, auf einen schweren
politischen Fehler der christlichsozialen Partei und der Mehrheit
in die em Hause überhaupt zprückzuführen. Wir leben in
Oesterreich in einer so schweren Zeit, daß die, die die Geschicke
des Staates an erster Stelle zu lenken haben, ihr Amt nicht ausüben
önnen, wenn sie sich nicht selbst als die Träger einer
schweren Verantwortlichkeit fühlen und wenn sie nicht
elbst aus dem Volke stammen und vom Volle berufen sind.
(Beifall bei den Sozialdemokraten.) Oesterreich ist viel zu
schwach, um eine Regierung
von Angestellten oder gar Söldlingen
zu ertragen. (Lebhalte Zwichenrufe bei den Cheistsichsoziaken;
Rufe: Unerhört! Sie sprechen von Söldlingen?) Das ist der
eigentliche Fehler. Wenn die Mehrheit des Hauses den Mut
gehabt und in sich die Kraft gefühlt hätte, selbst zu regieten,
und wenn sich die Herren daher selbst auf diese Bänle gesetzt
hätten, so hätten sie gewiß das notwendige Verständnis und
den notwendigen politischen Taft gehabt, der in der Eni¬
cheidung dieser Frage notwendig ist. Das kann man natürlich
einem jungen Mann,
einem jungen strebsamen Mann,
der einige Jahre in Präsidialbüros gedient hat und dann
plößzsich auf einen solchen Posten berufen wurde (Zwischenrufe
bei den Christlich ozialen; Rufe: Richt beleidigen!), das kann
nan einem solchen jungen Mann nicht zumuten. Wenn sich
Herr Dr. Glanz erkühnt haben soll (lebhafte Zustimmung bei
den Sozialdemokraten), gleichsam hier zu sagen, er werde sich
die Gesetze der Anständigkeit nicht vom Hause vorschreiben
lassen oder wenn er gesagt haben soll, er überlasse das Urteil,
das von einer großen Partei des Hauses beanstandet wurde,
jedem anständigen Menschen, so
ist das eine Redeweise, die ungehörig ist.
Einen großen Teil der Ausführungen des Ministers hat
die Darstellung seiner ästhetischen Auffassungen über irgend ein
Schauspiel eingenommen, das jetzt in Wien aufgeführt wird.
Die ästhetischen Auffassungen des Dr. Glanz interessieren uns
gar nicht. Ich bin versichert, daß bei den verschiedenen politischen
Parteien und in den verschiedenen Bevölkerungskreisen die
Auffassung über die literarische Bedemung des „Reigen
als Buch und über seine künstlerische Bedeutung als Drama
ehr verschieden sein wird. Wir wissen zum Beispiel, daß in
Deut chland eine sehr große Disku sion über diesen Gegenstand
taitge unden hat, wir wissen, daß in Deutschland die Zu¬

K
Arbeiter-Zeitung
uns auch gar nicht sympathisch ist, daß wir einen so
wie eine Theateraufführung
untergeordneten
Anlaß
benützen müssen, um dieses Streben gleich im Keime
so tun wir es dennoch pflichtgemäß.
ersticken,
n
Es darf kein Schritt dieser Regierung eriolgen, der
die in der Veriassung gewährleisteten Rechte des Landes Wien
auch nur im geringsten tangiert. (Lebhafter Beifall bei den
Sozialdemokraten.) Sie werden bei der Mehrheit der Be¬
völkerung von Wien, im Landtag Wien und bei der Landes¬
egierung von Wien gegenüber jedem solchen Versuch einem
Widerstand begegnen, der eisern ist und den Sie nicht
werden überwiaden können. (Erneuter lebhafter
Beifall bei den Sozialdemotraten.) Und wenn Sie etwa hoffen
sollten, den Widerstand Wiens gegen Verfassungsbrüche mit
bewaffneter Gewalt zu brechen, so werden Sie Gefahr lausen,
daß der Gewalt mit Gewalt begegnet wird.
(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten; Zwischenrufe
bei den Chiistlichsozialen.) Was Herr Dr. Glanz geian
ist eine flagrante Verletzung der Verfassung, die
hat,
selbst im alten Oesterreich unmöglich gewesen wäre,
Kein Minister hatte es eiwa gewagt, eine direkte Verfügung
an die Gendarmerie in Petlau oder an die Pol zi in Wien
oder in Krakau zu erlassen, er hätte vielmehr immer
nur den Statthalter beauftragt, diese oder jene Ver¬
fügung zu treffen. (Zustimmung bei den So,ialdemotraten.)
Der Herr Gendarmeriekomm andank Peinlich in Graz.
der somtagen einen Gegenfall darstellt, ein Bundesbeamter, vom
Ministerium zu bestellen, von ihm zu pensiouieren und von
ihm zu entlassen,
ist längs pensioniert:
er hat es nur für gut besunden, seine Pensionierung nicht
zur Kenntnis zu nehmen und weiter im Tienste
zu bleiben. Er erfreut sich nämlich der Freundschaft des Heiin
Landeshauptmannes Rintelen; aus welchen Grüt den will ich
heute nicht mehr untersuchen, vielleicht wird auch diese Frage
inmal einer genauen Prüsung unter¬
zogen weden. Er geht also nicht in Pension, bis
endlich die Gen armen, auch die christlichsozialen Gendarmen in
Steiermark, sagn, der Mann ist ja nicht mehr unser Vor¬
gesetzter, er ist pensioniert, und ihm den Gehorsam
beiweigern. Und heute, da wir unmittelbar vor der
Gefahr stehen, daß alles, was in Steiermark gesetzmägig be¬
waffnei ist, sich gegen die Regierung auflehnt und in den
Streik tritt, erklärt der Minister des Innern, er merde eine
„objektive Entscheidung“ in die Wege leiten. Er wird die Ent¬
cheidung wahrscheinlich an dem Tage treffen, bevor das
l#imgium, das ihm die Beamten gestellt haben, abläuft.
Glauben Sie, daß ein Mann, der so handelt, fähig und
#rusen ist, auf diesem Posten zu sitzen?
Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Erkennen
Sie, Herr Dr. Glanz, denn nicht, daß Sie vielleicht viele Fäyig¬
eiten haben, aber daß Ihnen die zur Leitung des Ministeriums
des Innein in so ernster Zeit mangeli? Sie sind vielleicht
in ausgezeichneter Lueraturkenner und Aesthet, Sie mögen sich
berufen fühlen, Werturteile abzugeben über Schnitzler, Hofmanns¬
thal und den christ ichen Kernstuck, vielleicht könnten See auch schöne
— und Sie haben
Feuilleions über Theaterstücke schreiben
uns ja auch eine Probe dieser nunst heute gegeben (lebhafte
aber das sollten Sie erkennen, daß Sie auf dem
Hei erkeit) —
Posten eines Bundesministers unmöglich sind. Auch die
christlichsoziale Mehrheit hat alle Ursache, ernsthaft zu prüfen,
ob es zweckmäßig sei, einen großen Teil der Bevölkerung
Deutschösterreichs
durch die Zumutung des Herrn Glang zu provozieren.
Ich kann nur noch einmal sagen, ich bin der Ueber¬
zeugung, daß ein chrinlichsozialer aliver Politiker, der selbst
m Volte stände und aus dem Volke gewählt wäre, an der
Stelle, die keute Herr Glanz einnimme, Ent cheidungen in diesen
Fragen sich weit gründlicher überlegen und anders tressen
würde als Heir Glanz. Es ist ein schwerer Fehler, zu dem
vielen Unglück, das wir in Oesterreich haben, auch noch das
hinzuzufügen, daß man die Bevölkerung mit unsähigen
so wird
Beamten plagt. Was nun Wien beirifft,
Wien
von
der Landeshauptmann und Bürgermeister
chon
Antwort
gebührende
dem
Minister
geben. Ich glaube kaum, daß er seine Zuschrift zur
enninis nimmt. Wir kennen den Landeshauptmann von
Wien als einen sehr ruhigen, besonnenen Mann. Wenn Herr
unternimmi,
Dr. Glanz dieen Verfassungskampf nun
dann werden wir ihn ausfechten. Wir werden daran
enken, was de. Stadt Wien in größeren und wichtigeren
Fragen drohen könnte, wenn wir einmal gestattelen, daß ein
vichtiges Prinz'p durchbrochen wird. Wir werden es nicht
dulden, daß die Arbeiterschaft in den übrigen Ländern einem
elbstherrlichen Landeshauptmann ausgeliefert ist, die Arbeiter¬
chaft von Wien aber enem selbstherrlichen christlich ozialen
Bundesminister. (Stürmischer Beifall bei den Sozialdemokraten.)
Ein Ordnungsruf und kein Ordnungsruf.
Präsident Dinghoser: Abgeordneter Seitz hat den
Minister für Inneres as einen un
ligen Beomien