II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 514

i chastrOefan und Hanbeutuischen bei den Chriftlich¬
sozialen, stürmischer Widerspruch, Pfui= und Abzug¬
rufe bei den Sozialdemokraten. Mehrere sozialdemokratische Ab¬
geordnete dringen mit stürmischen Rufen gegen den
Platz des Ministers Dr. Glanz. Unter stürmischen Zurufen
gegen den Minister schlagen die Abgeordneten Zelenka,
Witternigg, Widholz und Pölzer auf den Minister¬
isch.
Stürmische Entrüstungsrufe bei den Christlich¬
sozialen. Großer, langanhiltender Lärm, in welchem die Worte
des Präsidenten nicht vernommen werden.)
Der Präsident erteilt den Abgeordneten Witternigg
und Pölzer den Ordnungsruf. (Großer Tumult. Vor
er Ministerbank kommt es zu stürmischen Auseinander¬
etzungen zwischen zahlreichen Abgeordneten. Die Ordner be¬
mühen sich, die heftig aufeinandergeratenen Abgeordneten zu trennen.)
Nachdem sich der Lärm einigermaßen gelegt hat, bemerkt
Präsident Dr. Weiskicchner: Ich muß über diese un¬
qualifizierbaren Vorgänge mein tiefstes Be¬
dauern ausdrücken. (Beifall. Anhaltende Zwischenrufe
ind Lärm.)
Durch solche Vorgänge wird die Würde des
Hauses aufs tiefste geschadigt. (Beifall. Zwischenrufe
und anhaltende Unruhe.)
Nach einer wiederholt von lebhaften Zwischenrufen unter¬
brochenen Rede des Abg. Volker (christlichsozial), der gegen die
Ausführungen des Abg. Leuthner polemisiert, ergreift Abg. Seitz
Sozialdemokrat) das Wort, um unter anderm auszuführen: Die
höchst bedauernswerten Szeuen, die sich hier ereignet haben, sind, wie
ch glaube, auf einen schweren politischen Fehler der christlichsozialen
Partei und der Mehrheit in diesem Hause überhaupt zurückzuführen.
Oesterreich ist viel zu schwach um eine Regierung von An¬
gestellten oder gar Söldlingen zu ertragen. (Lebhafte
Zwischenrufe bei den Christlichsozialen. Rufe: Unerhört! Sit
prechen von Söldlingen?) Das ist der eigentliche Fehler. Wen
die Mehrheit des Hauses den Mut gehabt und in sich die Kraft gefühlt
hätte,
selbst zu regieren, so hätte sie gewiß das not¬
wendige Verständnis und den notwendigen politischen Takt
st.
thabt, der in der Entscheidung dieser Frage notwendig
(Zwischenrufe bei den Christlichsozialen.) Das kann man natürlich

mal
die aigen
Beamten plagt.
Was nun Wien betrifft, so wird der Landeshauptmann und
Bürgermeister von Wien dem Minister die gebührende Antwort
schon geben. Ich glaube kaum, daß er seine Zuschrift zur Kenntnis
mmmt. Wir kennen den Landeshauptmann von Wien als einen
ehr ruhigen, besonnenen Mann. Er wird abwarten, was dem Herrn
Glanz beliebt und ob er wegen einer so kleinen und verhältnis¬
mäßig untergeordneten Frage einen großen Verfassungskampf zu
eröffnen gedenkt. Wenn er aber diesen Verfassungskampf unter¬
nimmt, dann werden wir ihn ausfechten. Wir werden daran denken,
was der Stadt Wien in größeren und wichtigeren Fragen drohen
könnte, wenn wir einmal gestatteten, daß ein wichtiges Prinziv
durchbrochen wird. Wir werden es nicht dulden, daß die Arbeiter¬
chaft in den übrigen Ländern einem selbstherrlichen Landes¬
hauptmann ausgeliefert ist, die Arbeiterschaft von Wien aber einem
selbstherrlichen christlichsozialen Bundesminister. (Stürmischer Beifall
und Händeklatschen bei den Sozialdemokraten.)
Präsident Dinghofer: Abgeordneter Seitz hat den
Bundesminister für Inneres als einen unfähigen Beamten bezeichnet.
Ich halte das für eine Ungehörigkeit, für ein Ueberschreiten
der parlamentarischen Ausdrucksweise und rufe den Abgeordneten
Seitz deshalb zur Ordnung. (Lebhafter Beifall bei den
Christlichsozialen. Zwischenrufe bei den Sozialdemokraten.)
Abg. Sever (Sozialdemokrat): Wollen Sie nicht den
Minister zur Ordnung rufen?
Präsident Dinghofer: Da kein Redner mehr zum Worte
gemeldet ist, ist die Debatte über diesen Gegenstand geschlossen. (Leb¬
hafte Zwischenrufe.)
Auf Antrag des Abgeordneten Sever wird
beschlossen, die
Gesetzentwürse, betreffend die Verlegung des
Sitzes von
Aktiengesellschaften ins Ausland,
betreffend die
Außerkraftsetzung von Gesetzen und Verordnungen,
die mit dem
inften Teile des Staatsvertrages von
Saint¬
Germain nicht im Einklang stehen, ferner die Wehrgesetz¬
novelle einer ersten Lesung zu unterziehen.
Abg. Dr. Bauer (Sozialdemokrat): Der Bundesminister für
Inneres hat in seiner Rede eine Aeußerung gebraucht, die ich genau
gehört habe. Er sagte, mit einer deutlichen und unzweideutigen
Spitze gegenüber der Kritik, die von unserer Partei an ihm geübt
worden ist, er überlasse das Urteil darüber allen anständigen
Menschen. Der Präsident hat es nicht für notwendig erachtei, diese
Beleidigung, die der Minister einer großen Partei des Hauses zu¬
gefügt hat, zu rügen. Auf Grund des § 76 der Geschäftsordnung
erlange ich, daß der Minister des Innern zur Ordnung gerufen
werde. (Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)
Präsident Dr. Dinghofer: Ich möchte zunächst feststellen,
daß ich während der Rede des Ministers des Innern nicht an¬
wesend war und daher auch ein persönliches Urteil darüber nicht
abgeben kann. Soviel ich aber aus den Ausführungen des Abgeord¬
neten Dr. Bauer entnehme, muß ich entscheiden, daß ich nicht in
der Lagebin, dem Herrn Minister wegen dieser Aeußerung einen
Ordnungsruf zu erteilen.
Abg. Seitz (Sozialdemokrat): Ich finde es höchst sonderbar,
daß der Präsident, der soeben einen Ordnungsruf für einen Ausdruck
erteilt hat, den man vielleicht als eine Wertung von Fähigkeiten be¬
zeichnen kann, den Ordnungsruf gegenüber einem Ausdruck ver¬
weigert, durch den die moralischen Qualitäten anderer in Frage ge¬
zogen werden. Ich halte eine solche Entscheidung für ganz unzulässig.
Man kann ein ganz anständiger Mensch sein, ohne gerade die Fähig¬
keiten für irgendein Amt zu besitzen, und es ist daher noch lange
keine so schwere Beleidigung, jemanden der Unfähigkeiten zu zeihen,
als wenn man sich in der Argumentation gegen jemanden auf die
Zustimmung aller anständigen Menschen beruft und ihn so der
Unanständigkeit zeiht.
Präsident Dr. Dinghofer: Ich habe keine Veranlassung,
eine andere Entscheidung zu treffen und bleibe bei meiner ersten Ent¬
scheidung. (Lebhafte Zwischenrufe.)
Die nächste Sitzung wird im schriftlichen Wege einberusen
werden.
Eine „Reigen“-Debatte im Wiener
Landtage.
In der heutigen Sitzung des Wiener Landtages teilte der
Präsident mit, daß die Gemeinderäte Speiser und¬
Genossen folgenden Dringlichkeitsantrag eingebracht hätten.
Dem Vernehmen nach hat der Bundesminister für Inneres und
Unterricht die weitere Aufführung des Theaterstückes „Reigen“
von Schnitzler verboten. Nach der Theaterordnung vom
14. Novemver—1850, § 3, bedarf jede Bühnenproduktion vor¬
ihrer ersten Darstellung der Aufführungsbewilligung von seiten
des Statthalters. Nach § 5 kann die erteilte Bewilligung aus
Beweggründen der öffentlichen Ordnung jederzeit zurück¬
kt nur Nr. 3
Gassenladen)
Sprechstunden
SEkLSeI
Ock von 9—4 Uhr.
U1