II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 515

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11.igen
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Wien, Samstag
genommen werden. Zuständig zur Erteilung einer
Aufführungsbewilligung und zur Zurück¬
nahme der Bewilligung ist somit der Statthalter.
Nach dem neuen Bundesverfassungsgesetze ist an Stelle des
Statthalters der Landeshauptmann getreten. Das
Verbot des Bundesministers für Inneres und Unterricht greift
also in die Kompetenz des Landeshauptmannes ein. Ich stelle
daher den Antrag: Der Herr Bürgermeister als Landeshaupt¬
mann wolle die Autonomie des Landes Wien gegen
jedweden Eingriff der Bundesregierung energisch wahren.
Gemeinderätin Frau Dr. Seitz=Motzko begleitet die
Verlesung dieses Dringlichkeitsantrages mit lebhaften Pfuirufen
und fängt auch kurze Zeit mit ihrer Pultlade zu klopfen an.
Auch andere Mitglieder der Minorität begleiten die Verlesung
mit lebhaften Zwischenrufen.
Gemeinderat Speiser führt in Begründung seines Dring¬
lichkeitsantrages aus: Das Verbot des Bundesministers für
Inneres und Unterricht stellt den ersten Versuch eines
Eingriffes in die Autonomie des Landes Wien
dar. Der Gegenstand, an dem sich dieser Eingriff vollzieht,
eigentlich für meinen Dringlichkeitsantrag ohne Belang.
Es
handelt sich durchaus nicht darum, daß sich etwa der Wiener
Landtag als eine Stelle für Theaterkritik auftue. Aber es ist be¬
kannt, daß meine Partei durch lange Zeit dafür gekämpft hat,
daß die Bundesverfassung der Republik Oesterreich nach zentra¬
listischen Prinzipien eingerichtet werde. Wir mußten uns schlie߬
lich fügen und der autonomistischen Gestaltung der Republik
unsere Zustimmung geben; wir werden nicht zugeben, daß ein
Bundesminister die Rechte dieses freien und autonomen Landes
und seines Landeshauptmannes einfach wegeskamotiert. Niemals
hätte es dieser Herr Bundesminister gewagt, etwa mit dem Herrn
Landeshauptmann von Vorarlberg oder Tirol so zu verfahren, wie
er es sich gegenüber dem Herrn Landeshauptmann von Wien
herausnimmt. Ich bin überzeugt, daß uns der Herr Bürger¬
meister als Landeshauptmann beruhigende Auskünfte darüber
geben wird, was er zur Wahrung seiner Rechte und der Rechte
des Landes Wien zu tun gedenkt. Ich gebe aber auch der Hoff¬
nung Ausdruck, daß sich der gesamte Wiener Landtag in dieser
grundlegenden Frage der Verteidigung der autonomen Rechte des
freien Landes Wien hinter unseren Landeshauptmann stellen wird.
Gemeinderätin Dr. Seitz=Motzko (christlichsozial) erklärt
uuter großer Unruhe, daß der Landeshauptmann von Wien sich
schwer gegen das Volk von Wien versündigt habe. Es ist ge¬
radezu unglaublich, daß dieses Stück, „Der Reigen“, das nichts
anderes ist als eine Konzession an die Gailheit eines auswärtigen
Schiebertums, in Wien aufgeführt werden dürfe und daß entgegen
allen Einsprachen der Bürgermeister von Wien als Landeshaupt¬
mann ein derartiges Stück schützt. Wir erheben flammenden
Protest gegen dieses Vorgehen, das die Würde und die Ehre
deutscher Frauen auf das tiefste verletzt. Wir Frauen von Wien
begrüßen es von ganzem Herzen, daß die Regierung den Mut
gehabt hat, diesem Skandal Einhalt zu bieten und wir verlangen
vom Landeshauptmann, daß er sein Verhalten hier rechtfertige.
(Fortgesetzte stürmische Zwischenrufe der Sozialdemokraten, aus
denen man immer wieder die Worte heraushört: Melbinger¬
Moral! Hier handelt es sich um die Verteidigung der Autonomie.)
Der Landeshauptmann wird sich hier rechtfertigen müssen, wie er
dazugekommen ist, dem ganzen Volke von Wien Trotz zu bieten.
(Mit erhobener Stimme:) Hüten Sie sich und spielen Sie nicht
mit dem Aeußersten. Es gibt eine Gewalt, die sich stärker erweisen
wird als Sie.
Nachdem Gemeinderätin Motzko ihre Rede geschlossen, ent¬
steht un den Bänken der Christlichsozialen ein heftiger Meinungs¬
austausch zwischen der Gemeinderätin Kramer und einigen
christlichsozialen Gemeinderätinnen, die ihr zurufen: „Pfui Teufel,
das will eine Lehrerin sein, schämen Sie sich, den Schmutz für das
Dirnentum zu verteidigen“
Gemeinderat Kunschak (christlichsozial) beginnt seine
Rede unter heftigen und lauten Zwischenrufen und meint, daß
es bezeichnend sei, daß die Aufführung eines Schaustückes, das Sau¬
tück genant werden könne, Anlaß zu Weiterungen zwischen den
Parteien geben kann. Nicht nur die Bevölkerung Wiens, sondern
auch die Bevölkerung anderer Städte und auch die Bevölkerung
des Deutschen Reiches haben die Aufführung des „Reigen“ ab¬
gelehnt. Wenn schon der Friedensvertrag den Anschluß Oester¬
reichs an das Deutsche Reich untersage, so sei doch nicht ver¬
boten, daß sich Oesterreich in sittlicher und kultureller Beziehung
Neue Freie Presse.
Landeshauptmann Reumann: Ich stehe auf dem
Standpunkt, daß jeder einzelne berufen ist dazu, das Ver¬
fassungsrecht der Stadt Wien nicht schänden zu lassen, und das
würde geschehen, wenn man einer Vorschrift zustimmen würde,
die von einem Mann gegeben wird, der nichts zu diktieren hat.
(Rufe bei den Sozialdemokraten: Sehr richtig!) Ich habe also
keine Ursache, mich zum Bedienten des Herrn
Glanz herabzuwürdigen. (Rufe bei den Sozial¬
demokraten: Bravo! Sehr richtig!) Ich habe, gestützt auf die
staatliche Verordnung vom November 1850, dem Herrn Glanz
ereits einmal gesagt, daß ich seinem Gebote nicht Folge leisten
wverde. Herr Glanz hat mir in beispielloser Ueberhebung einen
Erlaß zugesandt, in dem er am Schlusse verlangt, daß ich die
Aufführungsbewilligung des „Reigen außer Kraft setze. Hiezu
hat Herr Glanz kein Recht und man kann auch einer solchen
Rechtsbeugung nie zustimmen. Ich habe dem Herrn Glanz
olgende Antwort erteilt: „Durch Bericht seitens der Magistrats¬
abteilung 55 bin ich in Kenntnis gesetzt worden, daß mit dem an
diese gerichteten Erlaß des Bundesministeriums für Inneres
ind Unterricht vom 10. Februar 1921 die mit ihrer Ent¬
cheidung erteilte Aufführungsbewilligung für das Bühnenwerk
„Reigen von Artur Schnitzler außer Kraft gesetzt und die
weitere Aufführung untersagt wurde. Nach der Theaterver¬
ordnung vom 14. November 1850 bedarf jede Bühnenproduktion
vor ihrer ersten Darstellung der Aufführungsbewilligung von
eiten des Statthalters. Nach § 5 kann die erteilte Bewilligung
aus Beweggründen der öffentlichen Ordnung jederzeit zurück¬
genommen werden. Nach § 7 steht dem Theaterunternehmer
gegen die Entscheidung des Statthalters der Rekurs an den
Minister des Innern zu. Aus diesen gesetzlichen Bestimmungen
geht hervor, daß die Untersagung der weiteren
Aufführung obbezeichneten Bühnenwerkes nicht vom
Bundesministerium für Inneres und Unterricht aus¬
gehen kann. Die Magistratsabteilung 55 wurde von mir be¬
auftragt, mit der exekutiven Durchführung des
amtlichen Erlasses im Wege der Polizeidirektion
innezuhalten. An Stelle des Statthalters ist nun nach
den Verfassungsgesetzen der Landeshauptmann von Wien ge¬
reten. Ich werde als Landeshauptmann von dem mir zustehenden
Rechte um kein Jota abweichen. (Lebhafte Zustimmung bei den
Sozialdemokraten. Gegenrufe bei den Christlichsozialen.) Das ist
die Entscheidung, und nun soll Herr Glanz das Gesetz verletzen.
Gegen Schluß der Rede des Landeshauptmannes, die zum
großen Teile von Zwischenrufen der christlichsozialen Gemeinderäte
begleitet war, steigern sich die Gegenrufe immer mehr.
Die
Sozialdemokraten applaudierten dem Bürgermeister am Schlusse
einer Rede lebhaft. Es werden Rufe laut: Nieder mit der Re¬
gierung! Abzug Glanz!
Gemeinderat Kunschak (christlichsozial): Der Herr Landes¬
hauptmann hat als stärkstes Argument zum Schutze der Ehre
der Gemeinde Wien es nicht gegen seinen Geschmack gefunden,
auf einen Fall zu verweisen, der sich vor einem Vierteljahr¬
hundert in Wien ereignet hat und in dem er einen Mann
genannt hat, über dessen Leib schon seit 15 Jahren der Rasen
liegt. Der Herr Landeshauptmann hat es mit seinem Geschmack
vereinbarlich gefunden, dies Argument zu gebrauchen, obwohl
er wissen mußte, daß der Mann, der das erstemal dieses Argument
gegen den verstorbenen Abgeordneten Gregorig gebrauchte, vor
em Gerichte in Wien als Verleumder mit mehrmonatiger
Kerkerstrafe bestraft wurde. (Lebhafte Pfuirufe und Rufe: So
ein Landeshauptmann, Leichenschändung ist das! bei den Christ¬
lichsozialen.) Ich habe dieser Feststellung nichts hinzuzufügen
und überlasse es dem Herrn Landeshauptmann, sich selbst darüber
ein Urteil zu bilden, wie ein Mann sich erniedrigt, der in solcher
Stellung von so niedrigen Mitteln Gebrauch macht. (Lebhafter
eifall und Händeklatschen bei den Christlichsozialen.)
Der Antrag des Abgeordneten Kunschak wird sodann
von der Mehrheit abgelehnt, der Antrag Speiser mit
genügender Mehrheit der geschäftsordnungsmäßigen
Behandlung zugewiesen.

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