II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 516

schwer gegen das Volk von Wien versündigt habe. Es ist ge¬
radezu unglaublich, daß dieses Stück, „Der Reigen“, das nichts
anderes ist als eine Konzession an die Gailheit eines auswärtigen
Schieberiums, in Wien aufgeführt werden dürfe und daß entgegen
allen Einsprachen der Bürgermeister von Wien als Landeshaupt¬
mann ein derartiges Stück schützt. Wir erheben flammenden
Protest gegen dieses Vorgehen, das die Würde und die Ehre
deutscher Frauen auf das tiefste verletzt. Wir Frauen von Wien
begrüßen es von ganzem Herzen, daß die Regierung den Mut
gehabt hat, diesem Skandal Einhalt zu bieten und wir verlangen
vom Landeshauptmann, daß er sein Verhalten hier rechtfertige.
(Fortgesetzte stürmische Zwischenrufe der Sozialdemokraten, aus
denen man immer wieder die Worte heraushört: Melbinger¬
Moral! Hier handelt es sich um die Verteidigung der Autonomie.)
Der Landeshauptmann wird sich hier rechtfertigen müssen, wie er
dazugekommen ist, dem ganzen Volke von Wien Trotz zu bieten.
(Mit erhobener Stimme:) Hüten Sie sich und spielen Sie nicht
mit dem Aeußersten. Es gibt eine Gewalt, die sich stärker erweisen
wird als Sie
Pachdem Gemeinderätin Motzko ihre Rede geschlossen, ent¬
steht vor den Bänken der Christlichsozialen ein heftiger Meinungs¬
austausch zwischen der Gemeinderätin Kramer und einigen
christlichsozialen Gemeinderätinnen, die ihr zurufen: „Pfui Teufel,
das will eine Lehrerin sein, schämen Sie sich, den Schmutz für das
Dirnentum zu verteidigen“.
Gemeinderat Kunschak (christlichsozial) beginnt seine
Rede unter heftigen und lauten Zwischenrufen und meint, daß
es bezeichnend sei, daß die Aufführung eines Schaustückes, das Sau¬
stück genant werden könne, Anlaß zu Weiterungen zwischen den
Parteien geben kann. Nicht nur die Bevölkerung Wiens, sondern
auch die Bevölkerung anderer Städte und auch die Bevölkerung
des Deutschen Reiches haben die Aufführung des „Reigen“ ab¬
gelehnt. Wenn schon der Friedensvertrag den Anschluß Oester¬
reichs an das Deutsche Reich untersage, so sei doch nicht ver¬
boten, daß sich Oesterreich in sittlicher und kultureller Beziehung
an das Deutsche Reich anschließe.
Während der Rede des Gemeinderates Kunschak dauern
die Zwischenrufe an und von seiten der christlichsozialen Ge¬
meinderäte wirft man dem Vorsitzenden Präsidenten Schorsch
vor, daß er dem Redner nicht Gehör verschaffe.
Vorsitzender Schorsch: Der Gegenstand der Tages¬
ordnung behandelt etwas, was, wenn der Antrag richtia
ist, die Autonomie des Landeshauptmannes verletzen soll. Ich
ersuche die Herren, den Redner sprechen zu lassen.
Gemeinderat Kunschak: Was den Antrag betreffe, so
habe er seine treffendste Charakterisierung durch den Vorsitzenden
selbst gefunden, der die Worte gebraucht hat, wenn das richtig
ist, was im Antrage behauptet wird, so können wir uns ruhig
auseinandersetzen. Diesen Worten könne man beipflichten, denn
ob das, was der Antrag ausspricht, richtig ist, könne im Augen¬
blicke nicht entschieden werden. Redner beantragt daher, den
Sachverhalt zu prüfen und dem Gemeinderat darüber Bericht
zu erstatten.
Erklärung des Landeshauptmannes Renmann.
Landeshauptmann Reumann bedauert es, daß der
Anlaß zu dieser Debatte über ein wichtiges Verfassungsrecht die
Ursache in der Aufführung des „Reigen hat. Er hätte ge¬
wünscht, daß ein wichtigerer Anlaß dazu Gelegenheit gegeben
hätte. Da nun diese Frage so vom Zaune gebrochen wurde, so
müsse er vor allem darauf verweisen, daß in den verschiedensten
Tingel=Tangels die Sittlichkeit verletzt werde. (Zustimmung bei
den Sozialdemokraten.)
Die christlichsozialen Gemeinderäte machen zahlreiche
Zwischenrufe.
Landeshauptmann Reumann: Denken Sie nur an den
Wimberger. Die Erinnerung an die Madame Aschanti ist Ihnen
sehr zuwider. (Zustimmung bei den Sozialdemokraten. Heftige
Gegenrufe der Christlichsozialen.)
Reumann fortfahrend: An mich ist die Frage gestellt
worden, warum ich die Aufführung des „Reigen“ gestattet habe.
Der Zensurbeirat hat gegen die Aufführung nichts ein¬
gewen et. Der ehemalige Vizeprösident der Statthalterei Tins
und Hofrat Glossy haben dagegen nichts eingewendet und nun
verlangt man von einem Sozialdamo'raten als Landeshaupt¬
nann, der ein Gegner der Zensur überhaupt ist, daß er die Auf¬
führung verbieten solle. (Rufe bei den Sozialdemokraten: Sehr
richtig!) Kein Skandal der Welt wird mich dazu
bringen, daß ich die Aufführungen des
„Reigen“ verbiete.
Gemeinderat Wawerka (christlichsozial): Zusperren die
Schieberlokale
Gemeinderat Preyer (christlichsozial): Wir lassen uns
dieses Stück nicht gefallen.
en
großen Teile von Zwischenrufen der christlichsozialen Gemeinderäte
begleitet war, steigern sich die Gegenrufe immer mehr.
Die
Sozialdemokraten applaudierten dem Bürgermeister am Schlusse
seiner Rede lebhaft. Es werden Rufe laut: Nieder mit der Re¬
gierung! Abzug Glanz!
Gemeinderat Kunschak (christlichsozial): Der Herr Landes¬
hauptmann hat als stärkstes Argument zum Schutze der Ehre
der Gemeinde Wien es nicht gegen seinen Geschmack gefunden,
auf einen Fall zu verweisen, der sich vor einem Vierteljahr¬
hundert in Wien ereignet hat und in dem er einen Mann
genannt hat, über dessen Leib schon seit 15 Jahren der Rasen
liegt. Der Herr Landeshauptmann hat es mit seinem Geschmack
vereinbarlich gefunden, dies Argument zu gebrauchen, obwohl
er wissen mußte, daß der Mann, der das erstemal dieses Argument
gegen den verstorbenen Abgeordneten Gregorig gebrauchte, vor
dem Gerichte in Wien als Verleumder mit mehrmonatiger
Kerkerstrafe bestraft wurde. (Lebhafte Pfuirufe und Rufe: So
ein Landeshauptmann, Leichenschändung ist das! bei den Christ¬
lichsozialen.) Ich habe dieser Feststellung nichts hinzuzufügen
und überlasse es dem Herrn Landeshauptmann, sich selbst darüber
ein Urteil zu bilden, wie ein Mann sich erniedrigt, der in solcher
Etellung von so niedrigen Mitteln Gebrauch macht. (Lebhafter
eifall und Händeklatschen bei den Christlichsozialen.)
Der Antrag des Abgeordneten Kunschak wird sodann
von der Mehrheit abgelehnt, der Antrag Speiser mit
genügender Mehrheit der geschäftsordnungsmäßigen
Behandlung zugewiesen.