II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 517

11. Reigen

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Der Kampf um Schnitziers „Reigen
Bürgermeister Neumann=weigort sich, die Auf¬
führung zu verbieten.
Heute vormittags hat der Bürgermeister Reu¬
mann einen Erlaß des Ministeriums des
Innern erhalten, in dem mitgeteilt wird, daß auf
Grund des Paragraph 5 der Theaterordnung vom
Jahre 50 die weitere Aufführung des
„Reigen“ verboten wird.
Der Bürgermeister hat in seiner Antwort darauf
verwiesen, daß dieser Erlaß den Bestimmungen der
bezogenen Verordnung nicht entspricht und
daher von ihm nicht zur Keuntnis genommen
werden kann.
Das Verbot der „Reigen=Aufführung“ ist auf
iese Weise zu einem Politikum geworden. Während
die Christlichsozalen das Verbot verlangen,
widersetzen sich ihm die Sozialdemokraten,
die heute auch im Nationalrat deswegen eine
diesbezügliche Anfrage einbrachten, in
der sie der Bundesregierung verfassungs¬
widriges und parteimäßiges Vorgehen in
dieser Frage vorwerfen.
Searlüre
Berliner
Der aufregende „Reigen“
Theaterdonner im Wiener Parlament.
Wegen Artur SchnitzlersReigen“ kam es im
deutsch=österreichischen Nationalrat zu stürmischen
Zusammenstößen mit darauf folgender obligater
kleiner Prügelei. Auf einstimmigen Beschluß
des christlich=sozialen Ministerrates war dem
Polizeipräsidenten von Wien aufgegeben worden,
die weiteren Aufführungen des „Reigen“ zu
untersazen. Der Direktor Hornau erklärte jedoch,
ganz nich Berliner Muster, daß er nicht die Ab¬
sicht habe, freiwillig die Aufführungen einzu¬
stellen, sondern, zumal er das behördliche Verbot
noch nicht erhalten habe, sich an nichts zu kehren.
Der Polizeipräsibent Sshober befand sich in
der Zweifelslage, ob er einem Befehl der Regie¬
rung zu folgen habe, derf der Verfassung wider¬
spricht, da diese ausdrücklich Aufführungs=Erlaub¬
nis und =Verbot als zur Kompetenz der Landes¬
hauptleute der einzelnen Länder gehörig bezeich¬
Wien, Neumann, aber in seiner Eigenschaft
als Landeshauptmann von Wien, gestützt auf das
Gutachten der Zensur Beiräte, die Ermächtigung
zur Aufführung des „Reigen“ gegeben hatte.
In der Sitzung des Nationalrates brachten die
Sozialdemokraten eine dringliche Anfrage ein, in
der es heißt: „Das Verbot der Bundesregierung
stelle einen verfassungswidrigen Eingriff dar. Es
werde die Frage gestellt, ob der Bundesminister
des Innern seinen verfassungswidrigen Erlaß so¬
fort zurückziehen wolle.“
Bereits bei Vorlesung des Antrages drängten
sich die christlich=sozialen und sozialdemokratischen
Abgeordneten sehr erregt vor die Ministerbank.
Leuthner bezeichnet das Verbot als einen glatten
Verfassungsbruch. Der Minister des Innern
Dr. Glanz, der ein sehr rückschrittlicher und
wie es heißt — habsburgischer Beamter ist, be¬
tonte in seiner Antwort, daß sich zohlreiche Stim¬
men gegen die Aufführung des Stückes erhoben
hätten.
Zwischenrufe ertönten: „Wo haben Sie solche
Stimmen gelesen?“
Abg. Seitz: „Woher wissen Sie das?“
Abg. Mataja: „Der Präsident Seiß als
Radaumacher!“
Abg. Leuthner: „Sprechen Sie doch über
die Verfassungsfrage! Ihre Ansicht über das
Stück interessiert uns nicht!“
Dr. Glanz: „In diesem Stück werden Vor¬
gänge auf die Bühne gebracht, die auch bei den
kulturell tiefstehenden Völkern gewöhnlich mit
einer gewissen Diskretion behandelt werden.“
Abg. Witternig: „Nicht mogeln! Ist das
eine Rezension für ein reaktionäres Blatt?“
Mlütster Dr. Glanz: „Ich überlasse die Be¬
urteilung meines Vorgehens allen anständigen
Leuten.“
Sozialdemokratische Entrüstungsrufe:
„0o
sind wir vielleicht keine anständigen Leute?!“
Die Abg. Zelonka und Witternig
drängen zur Ministerbank und hauen mit den
Fäusten auf den Tisch. Andere Abgeordnete
eilen protestierend hinzu und schreien den
Minister an: „Hinaus mit ihm! — Das ist eine
Beleidigung, das lassen wir uns nicht gefallen!“
Es wird; sucht, den Minister mit Gewalt
von seinemitze zu dröngen. Die Christlich¬
Sozialen eil ihm zu Hilfe. Der christlich¬
soziale Abg. ishit stößt mit der Faust den
sozialdemokr ischen Abg. Sewer heftig gegen
den Kopf, worauf die Sozialdemokraten mit er¬
hobenen Fäusten gegen die Kollegen von rechts
losgehen und nur mit Mühe von den Ordnern
zurückgehalten werden können.
Erst als der Sozialdemokrat Seitz zu reden
beginnt, tritt einige Ruche ein und die Erregung
flaut ab. Nach ein paar Ordnungsrufen wird
die Sitzung vertagt.
Nach Schluß der Sitzung erwarteten einige