II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 522

Gründe die Aufführung dieser Dialoge recht¬
fertigen oder anraten; es soll nur erklären, wie
es kommen konnte, daß anständige, sittlich sicher¬
lich höchst einwandfreie, literarisch nicht hyper¬
moderne und politisch durchaus nicht radikale
Persönlichkeiten, wie die drei Mitglieder des
Zensurbeirates, die den „Reigen“ freigaben, in
dessen Aufführung keine Gefahr erblickten. Da
das Stück aber von der einen Instanz einma
freigegeben war, so durften nicht politische oder
Parteigründe maßgebend sein, daß es von einer
anderen, und wie behauptet wird,
nicht
kompetenten Instanz verboten wurde,
schon
deshalb nicht, weil Verfassungskonflikte in diesen
Tagen mehr als je vermieden werden müssen
und weil wir uns mit der Aufrollung solcher
Angelegenheiten just in diesen kritischesten
Stunden unseres Staates vor der ganzen Welt
bloßstellen, die von den Vorfällen
des
gestrigen
Tages nur mit größter Ver¬
wunderung Kenntnis nehmen wird. Zwischen den
Gegnern und den Anhängern der „Reigen“=Auf¬
führungen stehen, was immer man sagen mag,
keine Weltanschauungen. Mit der Frage: Fort¬
schritt oder Reaktion hat die Angelegenheit trotz
des Lärmens von beiden Seiten nichts zu tun.
Es ist eine Affäre, bei der starres Beharren auf
einen Standpunkten keinem der beiden Teile
Parteisache sein sollte, sondern in der ein ver¬
nünftiger und rascher Vergleich gefunden werden
muß. Wir haben andere Sorgen und größere
Schmerzen.
Gewaltige Meuterei der
ssischen Isseesiolle.
Die Menterer marschieren auf Peters¬
burg.
Paris, 11. Februar. Ueber Kopenhagen werden
aus Kronstadt gewaltige Meutereien der
russischen Ostseeflotte gemeldet. Die
W#terer marschieren angeblich au
Potersburg.
Ausweisung von Deutschen aus der
Tschecho=Slowakei.
Prag, 11. Februar. (Privat=Depesche.)
Die Regierung hat heute einen Erlaß herausgegeben,
dem zufolge alle Ausländer aus der Tschecho¬
Stowakei auszuweisen sind, bezüglich welcher
der Verdacht besteht, das Volkszählungs¬
ergebnis zugunsten der Deutschen beeinflussen zu
wollen. So sei auch einem Wiener Blatte zufolge zu
diesem Zwecke die Absendung einer bedeutenden Anzahl
Deutscher aus Wien nach Znaim und Umgebung
geplant.
(Das amtliche Tel.=Korr.=Büro ist zu der Er¬
klärung ermächtigt, daß hier von der angeblich ge¬
lanten Entsendung von Deutschen nach Znaim nichts
bekannt sei.)
Die französischen Gewerkschaften
gegen die Kommunisten.
Paris, 11. Februar. Der Allgemeine Gewerk¬
schaftsverband entschied gestern durch Annahme eines
Antrages seiner Leitung mit 88 gegen 31 Stimmen.
daß Organisationen, die sich dem Kommunismus
anschließen, von selbst aus dem Gewerk¬
schaftsverband ausscheiden. Trotz
Protestes wurde der Antrag des Komitees ange¬
nommen.
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Diktat der Klerikalen höher steht, als die
Bundesminister Dr. Glanz: Ich glaube auch
Bestimmungen der Verfassung. Es wird die Frage ge¬
licht, daß die breiten Massen der Wiener Bevölkerung,
stellt, ob der Minister zur Inneres den verfassungs¬
die einen schweren Existenzkampf führen, es als Ver¬
widrigen Erlaß sofort zurückziehen wolle
lust betrachten würden, wenn einer
Angriffe gegen den Minister.
kleinen Zahl frivoler Genießer
Abg. Leuthner (Sozialdemokiat): Stücke wie
dieses dem sittlichen Empfinden und dem Ernste der
Zeit widersprechende Verguugen entzogen wird.
er „Reigen“ werden in zahlreichen Fällen aufgeführt
Abg. Witiernigg (Sozialdemokrat): Das ist
(Rufe bei den Christlichsozialen: Wo denn 2), ohne
Liguori=Moral.
(Heftige Gegenrufe bei den Christlich¬
rgend einen Anstoß bei frommen Gemütern zu er¬
ozialen. — Andauernder Lärm.)
regen, zum Beispiel im Josefstädter=Theater, die
sich
Bundesminister Dr. Glanz: Die Regierung
vom „Reigen“ dadurch unterscheiden, daß ihnen
glaubt sich bei dieser Verfügung mit der
öffentlichen
etzte Spur künstlerischer Absicht fehlt. Hier handelt
es
Meinung in Wien und Niederösterreich in Ueberein¬
ich aber lediglich um die gesetzliche Seit
e.
timmung.
Da seitens des Magistrates den Verhält¬
Nach dem Bundesverfassungsgesetz stehzt dem Landes¬
nissen,
wie sie sich nach Aufführung des „Reigen“
hauptmann — in diesem Falle dem Bürger
#estalte
aben, nicht Rechnung getragen wurde, war
meister von Wien — die Entscheidung zu,
es nac
den geltenden Kompetenzbestimmungen, welche
gegen die, wenn sie einmal in beighendem Sinne erfolgt
die Theaterangelegenheiten dem Ressort des Mini¬
st, eine Entscheidung der Regierung gar nicht an¬
teriums
des Innern zuweisen, mein Recht und meine
gerufen werden kann. Redner wurft dem Minisier
Pflicht
ie weiteren Aufführungen zu untersagen.
Bedientenhaftigkeit gegenüber den
die gegen mich gerichteten Bemerkunger
Auf
hristlichsozialen Parteiführern vor
will ich
Urtell
nicht naher eingehen. Ich glaube das
In der wurdelosesten, widerwartigsten
über
Form, in geradezu ekelhaften, lakgien¬
denkenden Menschen überlassen zu können.
mäßigen Formen (Zustimmung bei den
Sozialdemokraten. — Lachen bei den Christlichsozialen
Drohendes Handgemenge.
geschehe dies von einem Manne, der von dem Gefühl
die letzten Worte des Ministers entfesselten einen
rfüllt ist, daß er nur deshalb Minister wurde, um den
Sturm bei den Sozialdemokraten. Die Abgeordneten
Christlichsozialen Gefälligkeiten zu erweisen.
Pölze
Zelenka, Witternigg.
und
Abg. Dr. Ba#es (Sozialdemokrat): Und als
Widsolz stürzen zur Ministerbank und hauen
Kandidat für den Landesamtsdirektor von Steiermark.
Pul
nit den Fausten auf
Dr. Glanz begründet das Verbot.
Dr. Glanz! Andere Parteigenossen brän
1
hnen nach. Stürmische Rufe: „Abzug
Bundesminister Dr. Glanz: Schon vor der
Hinaus mit ihm! Diese Beleidigung lassen
Zulassung der Aufführung des „Reigen, die durch den
wir uns nicht gefallen!“
Magistrat erfolgt ist, hat der Polizei¬
Jetzt drangen auch Christlichsoziale zur Minister¬
präsident beim Bürgermeister auf die schweren
ank, um dem Minister, der ruhig auf seinem Platze
Bedenken gegen die Aufführung aufmerksam
itzt, gegen etwaige Angriffe eine Schutzgarde zu bilden.
gemacht. Der Magistrat hat dessen ungeachtet nach
Dabel geraten sie stark aneinander, Schließlich kommt es
Anhörung des Zeusurbeirates die Aufführung zugelassen.
unter tobendem Lärm
(Zwischenrufe.) Die Aufführung des Stückes gab als¬
balo zu lebhaften Erörterungen in
zu einem Zusammenstoß.
der Oeffentlichkeit Anlaß,
Man sieht plötlich die Faust des Christlichsozialen
Abg. Pick (Sozialdemokrat): In der „Reichs¬
Pischitz einen Schlag gegen
post!“ (Zwischemufe bei den Sozialdemokraten, Gegen¬
Kopf des ehemaligen Landeshaupt¬
rufe bei den Christlichsozialen. Lärm.)
mannes Sever führen.
ist nicht sicher¬
Bundesminister Dr. Glanz: Hiebei sprach sich
ob der Schlag ein absichtlicher oder zufälliger war. Die
die weit überwiegende Mehrzahl der öffentlichen
Sozialdemokraten halten ihn für absichtlich und wosten
Stimmer
ich auf Pischitz stürzen. In dieser kritischen Situation
Abgeordneter Seitz: Wo haben Sie das ge¬
gelingt es endlich den Abgeordneten Dinghofer. Forster.
peisen
Sie uns das
nach! (Lärm.
Fink und anderen, sich zwischen die einander bedrohenden
Bundesminister Dr. Glanz: .. .. dahin aus
Gruppen zu werken und sie voneinander zu treunen.
Aufführung eine
daß die
Der Präsident bedauert.
Verletzung der öffentlichen Sitt¬
arge
Präsiden Dr. Weiskirchner kann sich endlich
ichkeit
Gehör verschaffen. Er sagt: Ich muß über die
Kundgebungen aus
bedeute
der Bevölkerung und
inaualifizierbaren Vorgänge
zahlreich
Autikel der Presse
verschiedener Richtung
tiefstes Bedauern ausdrucken. (Beifall
ließen erkennen, daß diese Vorführungen mit
Anhaltende Zwischenrufe und Larm.) Durch solch
dem
ittlichen Empfinden weiter
Vorgange wird die Würde des Hauses
Krei
e der Wiener Bevölkerung in
aufstiefste geschadigt.
char
em Gegensatz stehen. (Lebhafter
Die Debatte kann fortgesetzt werden, aber der
Beifall bei den Christlichsozialen — stürmische Gegen¬
jächste Redner ist in dem noch andauernden Lärm
ufe bei den Sozialdemotraten.)
aum verstandlich.
Abg. Seitz: Woher wissen Sie das?
Abg. Volker (christlichsozial): Der Abgeordnet¬
Abg. Witzany (Sozialdemokrat): Die christlich¬
Leuthner hat hier einen neuen
ozialen Abgeordneten haben sich die Füße abgelaufen
Reigen von Schimpfereien
damit
sie Karten bekommen! (Sturmische Protestrufe bei
den Christlichsoziglen.)
aufgeführt. Wer einem Minister sagt, er sei ein
Bundesminister Dr. Glanz: Ich meine es wärc
dienter, und nicht weiß, daß der Minister ein Diener des
wirklich demokratisch, auch mir die
Volkes ist, der hat keine Achtung vor der Verfassung
Redefreiheit zugewahren.
Stürmischer Widen
(Beifall bei den Christlichsozialen.
Abg. Pick Keinen Eiertanz
pruch bei den Sozialdemokraten.) In dieser Zeit mu
Bundesminister Dr. Glanz: Wenn mar
ie Sinlichkeit gewahrt werden. Die Arbeiterfrauer
Argumente bekämpfen will, so muß man sie hören.
Wei
verden gewiß nicht zum „Reigen gehen.
(Stürmischer Beifall der Cristlichsozialen.
ieht denn hin? Nur
sattgefressen
Abg. Seitz. Sie haben bis jetzt nur über ästhetische
Schieber. (Beifall bei den Christlichsozialen.
Meinungen gredet, aber kein einziges Argument
Lärm bei den Sozialdemokraten.) Empören
vorgebracht.
sich darüher, daß es diesen Leuten versagt sein
Abg. Dr. Matais (christlichsozial): Der
den „Reigen zu sehen? Die Regiernag hat
ib
Herr Präsident als Krawallmacher!
Pflicht getan und wir verteidigen da
Abg. Dr. Bauer: Ein solcher Schreier wie
Burgermeister Reumann hat als Landesha##
der M
ataja wagt es, so zu sprechen.
nann seine Pflicht verletzt. (Widerspruc
Präsident gibt wiederholt das Glockenzeichen.
bei den Sozialdemokraten.) Man hat den „Reigen
Bundesminister Dr. Glanz: Ich habe mich
in München und in Berlin verboten
an den Bürgermeister gewendet, weil
und wir Deutschen an der Donau wallen in unseren
eintichkeitsgefuhl nicht hinter dem übrigen deutsche
selbst eine abandernde Verfügung im eigener
hm
Volk zurückstehen. (Lebhafter Beifall bei den Christlich
Wirkungskreile zu ermöglichen. Der Herr Burger
ozialen; andauernde Zwischenrufe bei den Soug
meister teilte mir jedoch hierauf mit, daßer nich
demokraten.)
Abg. Seitz: Oesterreich ist viel zu schwach,
n
eine Regierung von Angestellten oder
ingen zu ertragen. (Rufe bei den Christlichsozialen
Unerhort! Sie sprechen von Söldlingen?) Wenn
Mehrheit den Mut gehabt hätte, selbst zu regieret
o hätte sie gewiß den politischen Takt gehabt. Da¬
kann man natürlich
einem solchen jungen Manne
(Rufe bei den Christlichsozialen: Nicht beleidigen!
nicht zumuten. Die ästhetischen Auffassungen de
Dr. Glanz interessieren uns nicht. Wir kümmern uns auch
nicht darum, welches Publikum das Stück anhört (R
S