II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 524

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11. Reigen
Der Gesetzbruch des Glanz.
Der Minister des Innern, welcher der nun aus¬
reichend hekonnts Herr Dr. Glänz ist, hat die weitere
Aufführung des „Reigen“ verboten. Damit hat die
ganze Frage äufgehört, die begrenzte nach dem künst¬
lerischen Werte eines Theaterstückes zu sein, ist viel¬
mehr die recht ernste Frage geworden, ob man sich
von einem Minister, dem die Gesetze weniger gelten
als die Befehle der klerikalen Hintermänner, die ihn
zum Erweis und zur Bewährung ihrer Macht, in die
Regierung gebracht haben, ob man sich von diesem
Herrn Glanz ganz offenkundige Verfassungswidrigkeiten
gefallen lassen soll, gefallen lassen darf. Die Sozial¬
demokraten sind nun keineswegs gesonnen, die freche
Willkür, die das Kennzeichen des klerikalsmonarchistischen
Altösterreich gewesen ist, in der Republik einreißen zu
lassen, und werden sich durch den kindischen Einwand,
daß wir in Wien andere Sorgen haben sollten als die
ob ein bestrittenes Werk auf dem Theater aufgeführt
werden soll, von der nun höchst politischen Frage, ob
der Minister des Innern in die Rechtssphäre des Wiener
Landeshauptmannes eingreifen und dabei das Gesetz
schamlos vergewaltigen dürfe, nicht abwendig
machen lassen. Die heuchlerische Klage darüber, daß
im Parlament wegen dieses Verbots
eine
Debatte hervorgerufen wurde, steht, nebenbei bemerkt,
besonders denen gut an, die bei jeder möglichen
Gelegenheit das Parlament verhöhnen, weil es für
geistige Dinge kein Interesse habe. Und wenn man
meint, daß ein Staat, der mit einem Desizit von
zweiundierzig Milliarden geschlagen ist, andere
Sorgen haben sollte als eine Theateraufführung, so
müßte dies unseres Bedünkens vor allem für die Re¬
gierung gelten, die es ist, die diesen Staat verwaltet
und diesen Staatshaushalt zu verantworten hat, die
es aber auch ist, die den Konflikt mutwillig hervor¬
gerufen hat. Da entsteht geradezu der Eindruck, daß
die armselige Regierung, die nichts zuwege bringt und
deren Unfähigkeit nachgerade selbst den Gedankenlosen
zum Bewußtsein kommt, den Krieg gegen den „Reigen“
deshalb angefangen hat, um mit dem Siege über
Arthur Schnitzler die Fülle ihrer sonstigen schmäh¬
lichen Niederlagen zu vertuschen.
Wir lehnen es auch selbstverständlich ab, über
den künstlerischen Wert des Stückes eine Diskussion zu
beginnen, wobei diese Ablehnung aber durchaus nich
als ein Zugeständnis erachtet werden darf, daß in einer
solchen Diskussion das Bestehen schwierig wäre. Aber
wer wird sich mit christlichsozialen Politikern in
literarische Debatten einlassen, oder wer wird gar die
en
erlauben, es frech zu beugen. Und eine kecke Rechts¬
beugung und Gesetzverletzung ist es, was sich Herr
Glanz da herausgenommen hat.
Denn wenn selbst von allen politischen Ver¬
änderungen, die mit der Begründung der Demokratie
verknüpft sind, abgesehen wird, auch dann, auch nach
der Theaterordnung vom 25. November 1850, ist das
Verbot ein unzweifelhafter Uebergriff. Nach dieser Ver¬
ordnung bedarf „jede wie immer geartete Bühnen¬
produktion vor ihrer ersten Darstellung der Auf¬
führungsbewilligung von Seite des Statthalters“
(§ 3). Gegen die Entscheidung des Statthalters steht
dem Theaterunternehmer der Rekurs an den Minister
des Innern zu. (§ 7.)
Aus diesen hier wörtlich
wiedergegebenen Gesetzbestimmungen geht wohl aus¬
reichend hervor, daß die Entscheidung des Statthalters
dem Minister des Innern nur angefochten werden
kann, wenn sie abweisend ist; wenn sie die Bewilli¬
gung ausspricht, selbstverständlich nicht. Denn
wer könnte sie, wenn sie die Aufführung bewilligt,
vor den Minister bringen? Nun beruft
sich
Derr. Glanz in seinem „Erlaß“ auf den § 5 jener
Theaterordnung. Wie lautet dieser? „Die erteilte Auf¬
führungsbewilligung kann aus Beweggründen der
öffentlichen Ordnung jederzeit zurückgenommen werden.“
Aber von wem zurückgenommen? Ganz selbstverständlich
nur von dem, der sie erteilt hat, nämlich wieder vom
Statthalter! Das wird für jeden, der Gesetzes¬
bestimmungen mit moralischer Rechtschaffenheit aus¬
zulegen sucht, keinem Zweifel unterliegen; im übrigen
st es in der Instruktion an die Statthalter über die
Handhabung der Zenfur — Verordnung des Mini¬
steriums des Innern vom 25. November 1850
ausdrücklich gesagt: „In manchen Fällen
stellt auch erst die Darstellung eine früher nicht vor¬
hergesehene Wirkung auf das Publikum heraus. Es
ist deshalb dem Statthalter durch das
Gesetz das Recht gewahrt, die erteilte
Aufführungsbewilligung zu jeder Zeit ganz oder teil¬
weise zu widerrufen.“ Dem Statthalter ist das Recht
gewährt, nicht dem Minister, und „Statthalter“ in
Wien ist jetzt, nach der neuen Verfassung, der Wiener
Bürgermeister. Die Sachlage ist also völlig klar: daß
da nur der Statthalter zu entscheiden
hat, dem Minister des Innern jede Möglichkeit
fehlt, wenn überhaupt ein Gesetz gilt, sich in die Sache
irgendwie einzumischen.
Aber dieser erstaunliche Minister, der bei jeder
Gelegenheit die Absicht zeigt, zu provozieren
man achte nur auf den höhnischen Ton, den er heute
anschlug —, scheint allen Ernstes zu glauben, daß
der Wiener Bürgermeister und Landeshauptmann sein
Lakai ist, er ihm befehlen könne, jener ihm zu
gehorchen habe. Sein „Recht“ zur „Aufsicht“ über die
Verwaltung des Wiener Landeshauptmannes sei „schon
in dem Verhältnis der in Betracht kommenden Behörden
an sich begründet“. Aber wir haben doch nicht eine
Verfassung errichtet, wonach Oesterreich ein Bundes¬
staat
ist, der aus den
selbständigen
Ländern“ gebildet wird, damit Herr Glanz dem Vertreter
des selbständigen Landes Wien Befehle erteilen könne!
„Wissenschaft und Theorie haben es niemals bezweifelt,
und von unseren Obersten Gerichtshöfen ist es stets
einmütig anerkannt worden“ Welcher sinnlose Schwatz!
Als ob die Begründung des Bundesstaates, die Er¬
hebung der ehemaligen Kronländer zu selbständigen
Ländern, die Dinge nicht im Wesen geändert hätten!
Wobei aber noch festzustellen ist, daß vielleicht ehemals
der Minister des Innern den Statthalter etwas be¬
fehlen konnte, daß er aber doch dort, wo das Gesetz
die Anordnung dem Statthalter zuweist, niemals selbst
etwas verfügen durfte, nur durch den Statthalter
handeln konnte. Tatsächlich ist es auch in dem alten