II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 525

11.
Reigen
box 17/6
Der Gesetzbruch des Glanz.
Der Ministet des Innern, welcher der nun aus¬
reichend hekgnnts Herr Dr. Gtsnz ist, hat die weitere
Aufführung des „Reigen“ verboten. Damit hat die
ganze Frage aufg#hört die begrenzte nach dem künst¬
lerischen Werte eines Theaterstückes zu sein, ist viel¬
mehr die recht ernste Frage geworden, ob man sich
von einem Minister, dem die Gesetze weniger gelten
als die Befehle der klerikalen Hintermänner, die ihn,
zum Erweis und zur Bewährung ihrer Macht, in die
Regierung gebracht haben, ob man sich von diesem
Herrn Glanz ganz offenkundige Verfassungswidrigkeiten
gefallen lassen soll, gefallen lassen darf. Die Sozial¬
demokraten sind nun keineswegs gesonnen, die freche
Willkür, die das Kennzeichen des klerikal=monarchistischen
Altösterreich gewesen ist, in der Republik einreißen zu
lassen, und werden sich durch den kindischen Einwand,
daß wir in Wien andere Sorgen haben sollten als die,
ob ein bestrittenes Werk auf dem Theater aufgeführt
werden soll, von der nun höchst politischen Frage, ob
der Minister des Innern in die Rechtssphäre des Wiener
Landeshauptmannes eingreifen und dabei das Gesetz
schamlos vergewaltigen dürfe, nicht abwendig
machen lassen. Die heuchlerische Klage darüber, daß
im Parlament wegen dieses Verbots
eine
Debatte hervorgerufen wurde, steht, nebenbei bemerkt,
besonders denen gut an, die bei jeder möglichen
Gelegenheit das Parlament verhöhnen, weil es für
geistige Dinge kein Interesse habe. Und wenn man
meint, daß ein Staat, der mit einem Defizit von
zweiundvierzig Milliarden geschlagen ist, andere
Sorgen haben sollte als eine Theateraufführung, so
müßte dies unseres Bedünkens vor allem für die Re¬
gierung gelten, die es ist, die diesen Staat verwaltet
und diesen Staatshaushalt zu verantworten hat, die
es aber auch ist, die den Konflikt mutwillig hervor¬
gerufen hat. Da entsteht geradezu der Eindruck, daß
meie Mungbie nichte aunege brinaf
Mn
Viertelläbrig 150
eichs.
Für Deutschlandt
Viertelfährig Mark 30•—
Für Südtirel und Italien:
Bierteljäbrig 15 Lire
hr nachmittags.
Far alle anderen dem Weltpostverein
angehörigen Länder:
Sierteljährtg . Fres. 20•—
XXXIII. Jahrgang.
Geschmacksverirrung begehen, sich mit einem Menschen,
dessen moralische Beschaffenheit in jeder seiner Reden
und Handlungen so deutlich hervortritt, mit Herrn
Glanz in eine Unterhaltung über Sittlichkeit und
Moral zu begeben! Die Frage ist heute nicht
einmal mehr eine Frage der Theaterzensur, denn
vor
nur
diese hätte einleuchtenderweise
der behördlichen Entscheidung auftauchen können;
heute ist die ganze Sache eine Sache des
Rechtes. Und von dem Rechte wird man nichts
absplittern lassen und am wenigsten Herrn Glanz
erlauben, es frech zu beugen. Und eine kecke Rechts¬
beugung und Gesetzverletzung ist es, was sich Herr
Glanz da herausgenommen hat.
Denn wenn selbst von allen politischen Ver¬
änderungen, die mit der Begründung der Demokratie
verknüpft sind, abgesehen wird, auch dann, auch nach
der Theaterordnung vom 25. November 1850, ist das
Verbot ein unzweifelhafter Uebergriff. Nach dieser Ver¬
ordnung bedarf „jede wie immer geartete Bühnen¬
produktion vor ihrer ersten Darstellung der Auf¬
ührungsbewilligung von Seite des Statthalters“
3). Gegen die Entscheidung des Statthalters steht
dem Theaterunternehmer der Returs an den Minister
Aus diesen hier wörtlich
des Innern zu. (§ 7.)
wiedergegebenen Gesetzbestimmungen geht wohl aus¬
reichend hervor, daß die Entscheidung des Statthalters
dem Minister des Innern nur angefochten werden
kann, wenn sie abweisend ist; wenn sie die Bewilli¬
ausspricht, selbstverständlich nicht. Denn
gung
wer könnte sie, wenn sie die Aufführung bewilligt,
sich
# den Minister bringen? Nun beruft
err Glanz in seinem „Erlaß“ auf den § 5 jener
heaterordnung. Wie lautet dieser? „Die erteilte Auf¬
führungsbewilligung kann aus Bemeggründen der
öffentlichen Ordnung jederzeit zurückgenommen werden.“
Aber von wem zurückgenommen? Ganz selbstverständlich
nur von dem, der sie erteilt hat, nämlich wieder vom
Statthalter! Das wird für jeden, der Gesetzes¬
bestimmungen mit moralischer Rechtschaffenheit aus¬
zulegen sucht, keinem Zweifel unterliegen; im übrigen
ist es in der Instruktion an die Statthalter über die
Handhabung der Zenfur — Verordnung des Mini¬
teriums des Innern vom 25. November 1850 —
ausdrücklich gesagt: „In manchen Fällen
stellt auch erst die Darstellung eine früher nicht vor¬
hergesehene Wirkung auf das Publikum heraus. Es
ist deshalb dem Statthalter durch das
Gesetz das Recht gewahrt, die erteilte
Aufführungsbewilligung zu jeder Zeit ganz oder teil¬
weise zu widerrufen.“ Dem Statthalter ist das Recht
gewahrt, nicht dem Minister, und „Statthalter“ in
Wien ist jetzt, nach der neuen Verfassung, der Wiener
Bürgermeister. Die Sachlage ist also völlig klar: daß
da nur der Statthalter zu entscheiden
hat, dem Minister des Innern jede Möglichkeit
ehlt, wenn überhaupt ein Gesetz gilt, sich in die Sache
irgendwie einzumischen.
Aber dieser erstaunliche Minister, der bei jeder
Gelegenheit die Absicht zeigt, zu provozieren —
man achte nur auf den höhnischen Ton, den er heute
anschlug —, scheint allen Ernstes zu glauben, daß
der Wiener Bürgermeister und Landeshauptmann sein
Lakai ist, er ihm befehlen könne, jener ihm zu
gehorchen habe. Sein „Recht“ zur „Aufsicht“ über die
Verwaltung des Wiener Landeshauptmannes sei „schon
in dem Verhältnis der in Betracht kommenden Behörden
an sich begründet“ Aber wir haben doch nicht eine
Verfassung errichtet, wonach Oesterreich ein Bundes¬
selbständigen
staat ist, der aus den
Ländern“ gebildet wird, damit Herr Glanz dem Vertreter
selbständigen Landes Wien Befehle erteilen könne!