II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 536

11.
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Reigen
Wien, Samstag, 12. Februar 1921.
Nr. 535. — 4. Jahrgang,
Prolekarker aller Länder.
vereinigt Euch¬
Genkralorgan
der Hommunistischen Partei Oesterreichs
(Sektion der Hommunistischen Internationale.)
Erscheint außer Montag täglich 6 Uhr früh.
Redaktion und Expedition:
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Wie.Vik., Bandgasse 28. — Telephon 30.436.
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sich radikal zu gebärden. Aber wie sollen sie die
Der Streit um den „Reigen“.
großen wirtschaftlichen und politischen Fragen ra
Im Parlament ist es gestern wieder einmal hoch
dikal behandeln? Das gerade wollten sie ja unter
hergegangen, beinahe wie in den schönsten Obstruk¬
allen Unständen vermeiden. So müssen sie es ver¬
tionszeiten des alten Kurienparlaments. Es gab
suchen, das Interesse der Massen auf minderwichtig
Schimpfreden, wüste Szenen, Faustschläge, Rippen¬
Fragen abzulenken. Das ist der Grund, warum
stöße und andere Kirchweihbelustigungen. Der An¬
sie in der letzten Zeit ihren Antiklerikalismus aus
laß? Schnitzlers „Reigen“!
der Rumpelkammer, in die er in der Koalitionszeit
gewandert war, wieder hervorgeholt und auf den
Der Bürgermeister hat als Landeshauptmann
Glanz hergerichtet haben. Das Verbot der „Rei¬
die Aufführung dieses Stückes gestattet. Darob
gen“=Aufführungen hat ihnen nur einen willkom¬
große Entrüstung unter den Christlichsozialen. Sie
menen Anlaß geboten, ihren Radikalismus auf eine
hatte aber nicht den gewünschten Erfolg, das Stück
ungefährliche und naiven Gemütern doch impo¬
wurde weitergespielt. Ein Rudel halbwüchsiger Jun¬
nierende Weise auszutoben.
gen störte eine Vorstellung, doch auch das war ver¬
gebene Mühe. Nun bearbeiteten die Christlichso¬
zialen ihre Regierung und diesmal hatten sie Glück.
Herr Dr. Glanz untersagte, obwohl er dazu gar
nicht berechtigt ist, die weiteren Aufführungen des
Schnitzlerschen Stückes. Im Nätionalrat erfuhr
man von diesem Verbot gestern mittags und die
Sozialdemokraten brachten #son eine dringliche
Anfrage ein. Worauf es, wie bereits erwährt, zu
einer äußerst lebhaften und anregenden Ausein¬
andersetzung kam. Man ließ auf beiden Seiten das
schwerste Geschütz auffahren. Dr. Glanz erklärte
unter dem demonstrativen Beifall der Christlichso¬
zialen, jeder anständige Menich werde ihm recht ge¬
ben, und Seitz, der liebenswürdige, süße Seitz,
wurde geradezu revolnzerisch; er kündigte den
Christlichsozialen an: „Wenn Sie mit bewaffneter
Gewalt vorgehen, so werden die Sozialdemokraten
auch bewaffneten Widerstand entgegensetzen.“
Man steht hier vor zwei Lügen, einer christlich¬
sozialen und einer sozialdemokratischen. Wer soll
den Christlichsozialen die sittliche Entrüstung über
die „Reigen“=Aufführung glauben? In Wien wer¬
den nicht erst seit gestern, sondern seit Jahren, seit
Jahrzehnten die schweinischesten Stücke aufgeführt.
Haben sich die Christlichsozialen jemals darüber
aufgeregt? L sa, ihre Prosse hal sil 16972 ###