II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 539

11. Reigen
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Feuilleton.
arkamentarischer
„Reigen =Skandal.
tsch. Wien, 11. Februck.
„Der Streit um Selnitzlers „Reigen“ ha zu
m ernstlichen Verfassungskonflikt geführt, der
in einer stürmischen Sitzung des National¬
ausbrach. Die Geschichte dieses Konfliktes
ganz einfach und durchsichtig. Die kleine Sze¬
nchreihe Schnplers, die den Liebesakt in seinen
n##schiedenen sozialen Verbrämungen darstellt
#d von der Dependence=Bühne des Deutscher
Volkstheaters, im Kleinen Kammerspielhause ir
der Rotenturmstraße seit Wochen gegeben, ohne
daß irgend jemand daran Anstoß genommen hätte
Wien ist in seiner großen Mehrheit, Gott weiß
es, keine prüde Stadt, denn gerade der Wienen
weiß besser als jeder andere Sittlichkeit von Ero¬
tik zu unterscheiden. Der „Reigen“ hätte also ru¬
hig weiter gespielt=werden und hundert Aufjührune
gen erleben können, wenn nicht eines Tages die
christlichsoziale „Reichspost“, gefunden haben würde,
haß Schnitzlers Werk eine Schweinerei und aus
sittlichen Gründen zu verbieten sei. Es würde zu
weit führen, wollte man ernsthaft auf die Argu¬
mente der christlichsozialen Unsittlichleitsschnüss¬
ler eingehen; es ist gewöhnlich die schmutzigste
Phantasie, die an der Freiheit in sexuellen Din¬
gen Anstoß nimmt und dabei den mißbrauchten
Begirff der Sittlichkeit zuhilfe ruft. In diesei
Falle freilich haben auch die christlich¬
sozialen Urheber des Krawalls ganz gut gewußt
daß es sich bei ihrem Vorstoße nicht
um die ästhetische oder ethische Seite der Frage
handelt. Ihnen war nur um eine Probe der Macht,
um einen politischen Rekognoszierungsritt zu tun
und dazu schien Schnitzlers „Reigen“ allgemein
das geeignete Objekt. Sie wollten in dem oft an¬
gewandten Sittlichkeitsrummel ansprobieren, wer
stärker in Wien ist, der sozialdemokratische Bürger¬
meister Reumann, der als Landeshauptmann:
E0
des Kreises Wien den „Reigen“ gestattet hat,
oder die christlichsoziale Demagogie, der es wie¬
der darnach gelüstet, sich als Herren Wiens auf¬
zuspielen. Rechtlich ist Reumanns Erlaubnis nicht
umzustoßen, da er in seinen autonomen Fragen
auch unabhängig ist von Kabinettsratsbeschlüssen
und Ministermeinungen. Dem Landeshaupt¬
mann untersteht auch die Wiener Polizei, die als
letzteres Organ die Theater zu überwachen hat.
Die „Reichspost“=Klüngel haben nun so lange ge¬
trommelt, bis die Christlichsozialen sich entschlossen
zu der Sache Stellung zu nehmen. Natürlich, wenn
Herr Dr. Funder will, müssen die christlichsozialen
Minister parieren. In ihrer Mehrheit scheuten sie
jedrch davor zurück, wegen
eines The¬
oterstückes einen Konflikt heraufzubeschwören.
Nur Herr Dr. Glanz, der Minister des Innern,
ein wenig begabter Beamter, aber sehr strebsamer
Mann von klerikalem Einschlag, sprang für die
Forderung der „Reichspost“ ein und versuchte, über
den Kopf Reumanns ein Verbot der „Reigen“
Aufführung durchzusetzen. Bürgermeister Reuman#
tat darauf, was ihm Gesetz und Gesinnung vor
chrieben: er warf das Verbot des Ministers in den
Papierkorb und ließ den „Reigen“ weiter spielen.
Daß sich aber die Sozialdemekraten mit aller
Vehemenz für Reumann einsetzten, ist klug und
gut getan. Sie haben tausendmal recht, wenn sie
diese freche Einmischung in die Privatsphären der
Menschen als einen Rückfall in das alte Oester¬
reich bezeichnen, sie haben recht, davin einen
Vorstoß des monarchischen Klüngels zu
ehen, dem, mag der Anlaß selbst noch
so
geringfügig soin, politisch
noch volle Bedeutung zukommt. Die Christ¬
lichsozialen haben nach der heutigen stürmischen
Sitzung im Parlament einen Gewaltakt gegen die
„Reigen“=Aufführung angedroht; darauf erhielten
ie die Antwort, daß eine Störung nicht ohne
Antwort bleiben würde. In letzter Stunde
hat der Troß der „Reichspost“=Leute jedoch den
Mut verloren. Der „Reigen“ wurde heute trotz des
Verbotes des Dr. Glanz gegeben und zwar ohne
Störung und ohne Demonstrationen. Der Durch¬
fall der Christlichsozialen wird nicht ohne heilsame
Folaen bleiben.