II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 542

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Inland.
Der „Reigen“ im Parlament.
Von unsetzem Parlamentshn#ichterstatter.
Lediglich eißem Regiefehler ist es Zuzuschreiben, haß
die gestrige Sißung ##s, Nationalraten die Leidenschaften
so
erhitzte, daß der Lampf der Memnungen schließsich in wüsten
Krawall= und Rausszenen sich austobte. Die Herren Abge¬
ordneten gedachten ursprünglich die kurze zweitägige Nach¬
faschingssaison mit einer ruhigen, einstündigen Geschäftssitzung
zu beschließen und die Mittagszüge zur Heimfahrt zu be¬
ützen. Bis zur Mittagsstunde ging auch alles programmäßig.
Zuerst wurde eine deingliche Anfrage der Großcheutschen,
beireffend
die Vermögensbe schlagnahme
der
österreichischen Schutz= und Alpenvereine durch
die jug oslawische Regierung, in Verhandlung ge¬
zogen und der Beschlußantre einhellig angenommen, der
die Regierung auffordert, bei der jugoslawischen Regierung
dahin vorstellig zu werden, daß von jeder zwangsweisen Ver¬
äußerung österreichischen Eigeniums abgesehen werde. Mit
derselben Stimmeneinhelligkeit wurden dann auch ohne Dehatte
die übrigen Punkte der Tagesordnung, die Außerkraftsetzung
des Pferdestellungsgesetzes, die Abänderung dos Heeres¬
gebührengesetzes und des Militärbeso“
Pübergangsgesetzes
zum Beschluß erhoben.
Mittlerweile war aber das Vervotserkenntnis das
Ministeriums des Innern gegen die weitere Aufführung des
„Reigen“ in den Kammerspielen den Sozialdemakraten hinter¬
pracht worden und sie überreichten knapp vor Schluß der
Sitzung eine dringliche Anfrage, in der sie das Verbot als
verfassungswidrig bezeichneten, da die Ausübung der Theater¬
enfur in Wien ausschließlich Sache des Pener Landes¬
hauptmanns sei. Das Verbot beweise, daß der Regierung
das Diltat der Klerikalen höher stehe als die Bestimmungen
der Verfassung.
Der Abgeordnete Leuthner, der die Anfrage aus¬
ührlich begründete, rief zunächst durch secde vehementen An¬
grisse gegen die Regierung und die Christlichsozialen auf den
Mehrheitsbänken lärmenden Widerspruch hervor. Er bezichtigte
die Regierung, daß sie sich um die Verfassung nicht kümmere,
ondern die Verwaltung ausschließlich nach den Gefälligkeiten
führe, die sie der Partei erweist, in deren Dienst sie
airbeitet. Der Versuch, die Bundesverfassung dort, wo sie
den christlichsozialen Parteiinteressen widerspricht, nach den
christlichsezialen Wünschen umzudeuten, werde nicht gelingen.
Als dann Bundesminister Dr. Glanz, der die an¬
gefochtene Verordnung, die er über Beschluß des Kabinetts¬
rates und auf Betreiben einiger bigotter alter Weiber beiderlei
Geschlechts erlassen hatte, das Wort ergriff, wurde er Satz
für Satz von einem Chor sozialdemokratischer Zwischenrufer
unterbrochen, so daß seine Worte in dem sich entspinnenden
Streit zwischen Schwarz und Rot untergingen. Er redeie
s# auf Kundgebungen aus der Bevölkerung und auf zahl¬
reiche Zeitungsartilel aus, die erkennen ließen, daß die
Deigen“ Vorführungen mit dim hitlichen Gmpfinden ds
aden ansgenommen wurden, entfesselten bei den Sozial¬
demokraten stürmische Entrüstungsruse.
Die Abgeocdneten
Zelenka, Witternigg und Widholz schlugen mit den
Fäusten auf die Ministerbank.
Der Präsident erteilte mitten im Lärm eine Anzahl
Ordnungsruse. Ein Trupp christlichsozialer
Abgeordneter.
voran die Herren Pischitz und Luttenberger, stieß
m Keil gegen die spzialdemokrätischen Schreier unter den
Rufen: „Juden! Saujuben! Judenbagage!“ vor.
Es kam zu einer wüsten Keilerei, in deren Verlauf der
Sozialdemokrat Sever einen Hieb vor den Kopf erhielt,
o daß er zurücktäumelte. Die Ordner und einige besonnene
Abgeordnete machten endlich dem widerlichsten Teil der
Rauferei ein Ende, indem sie sich zwischen die puffenden,
stoßenden und schreienden Volksvertreter stellten.
Der Lärm überdauerte aber auch noch die Ausführungen
des Cyristlichsozialen Volker, der namens seiner Partei
erklärte, die Regierung habe ihre Pflicht getan und seine
Partei verteidige das.
Abgeordneter Weber rief ihm höhnend das Wort
Bsetecka zu. (So hieß der Herr Volker, bevor er sich
germanisteren tieg.,
Polker replizierte: Wenn Sie auf meinen Namen
anspielen, so will ich konstatieren, daß ich meinen Namen
geändert habe. Wir Deutsche an der Donau wollen in
unserem sittlichen Reinlichkeitsgesühl nicht hinter dem übrigen
deutschen Vorke zurückbleiben.
Abgeordneter Seiy: Wenn die Mehrheit des Hauses
der Mut gehaht und in sich die Kraft gefühlt hätte, selbst
zu regieren, so hätte sie gewiß das notwendige Verständuls
und den notwendigen po#ntischen Takt gehabt, der in der
Entscheidung dieser Frage notwendig ist. Das aann man
natürlich einem jungen, strebsamen Manne, der einige Jahre
in Präsidialbureaus gedient hat und dann plötzlich auf einen
solchen Posten berusen wurde, nicht zumuten.
Wir kümmern uns nicht darum, welches Publikum das
Stück anhört. Daß es keine Arbeiter sind, kann ich bestimmt
sagen. Sie haben nicht die Mittel, so hohe Preise zu
zahlen. Es sind dort also doch eher die bürgerlichen Kreise
zu finden. (Rufe bei den Christlichsozialen:
„Jnden! Nur Jnden!“
Pardon, ich bin ein alter Wiener und kenne die Wiener
Christlichsozialen genan. Ich möchte nicht kontrollieren, wie
viele von Ihren besten Freunden lüsternen Blickes und mit
gespanntem Ohr die Aufführung verfolgen. Um was ##s
ich handelt, ist die politische Frage, die Frage der Ver¬
assungsmäßigkeit dieses Erlasses. Gs darf kein Schritt bieser
Regierung erfolgen, der die in der Versassung gewährleisteten
Rechte des Landes Wien auch nur im geringsten tangiert.
Und wenn Sie etwa hoffen sollten, den Widerstand Wiens
gegen Verfassungsbrüche mit bewaffneter Gewalt zu brechen.
o
werden Sie Gefahr lausen, daß der Gewalt
mi Gewali begegnet wird. Herr Glanz hat über den
Kopf des Landeshauptmanns hinweg und der Entscheidung
des Landeshauptmeuus entgegen direkt ein Verbot erlassen.
Das ist
eine flegrante Verletzung der Verfassung.
Sie, Herr Glanz, sind vielleicht ein ausgezeichneter
Literaturkenner und Aesthet, Sie mögen sich berusen fühlen,
Werturteile abzugeben über Schnitzler, Hofmanns¬
thal und den christlichen Kernstock, vielleicht könnten
Sie auch schöne Feuilletons über Theaterstücke schreiben —
Sie haben uns ja auch eine Probe dieser Ihrer Kunst ge¬
gebeu — alber das sollten Sie erkennen, daß Sie auf
den Posten eines Bundesmin isters s#
Inneres unmöglich sind.
Der Landeshauptmann von Wien wird abeparten, was
dem Herrn Glanz beliebt und ob er wegen einer so kleinen
und verhältnismäßig untergeordneten Frage einen großen
Verfassungokampf zu eröffnen gedenkt. Wenn er aber diesen
Verfassungskampf unternimmt, dann werden wir ihn aus¬
fechten.
Präsident Dinghofer rief de Abgeordneten Seitz
zur Ordnung, weil er den Bundesminister für Inneres als
einen unfähigen Beamten bezeichnet hatte.
Abgeordneter Sever: Wollen Sie nicht den Mimister
zur Ordnung rufen?
Um ihre nunmehr schärfere Opposition zu markieren,
etzten dann noch die Sozialdemokraten durch, daß über die
Vorlage, betreffend die Sitzverlegung von Aktiengesellschaften
ns Ausland, sowie die von der interalliierten Militärmission
mit 20. Februar terminierten Gesetze über die Außerkraft¬
setzung
des dem Friedensvertr#g
widersprechenden
Heeresgesetz und über die Wehngesetz#nlle erste Lesungen
geführt werden.
Die nächste Sitzung win i# schriftlichen Wege eie¬
der#fen werden.