II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 550

in den Kopf, der Welt schleunigst zu be¬
weisen, daß es ernst gemeint war: daß kein
Staatsrecht mehr gilt, wenn es in Wider¬
spruch mit jenem „Gottesrecht“ gerät, dessen allein
befugte Ausleger die Bischöfe sind.
In einem Wiener Theater wird der „Reigen“
aufgeführt. Viele Leute meinen, daß diese Aufführung
das Schamgefühl verletze. Indessen, es werden in
Wien Stücke aufgeführt, die noch in ganz anderem
=Sinne „unsittlich“ sind als Schnitzlers „Reigen“ und
in den unzähligen Nobelspeiunten, die sich geradezu
der Protektion der Polizei des Herrn Glanz erfreuen,
gibt es Aufführungen, die wirklich schamlos die
Lüsternheit des Bourgeoispobels befriedigen. Aber der
Reigen“ ist ein bekanntes Werk eines bekannten
Dichters. Also suchte sich der Kardinal gerade dieses
Werk zur Machtprobe aus. An demselben Tage,
dem die Bischöse ihren Fastenhirtenbrief veröffent¬
lichten, begann der Feldzug. Das Funder=Blatt, das
Organ des Kardinals, forderte, die Regierung solle
die Aufführung verbieten. Die Regierung hatte zu
solchem Verbot kein Recht, da über die Zulässigkeit der
Aufführung nur der Wiener Landeshauptmann, nicht
die Regierung zu entscheiden hat. Aber eben darum
forderte der Kardinal das Verbot. Es handelle sich ja
gerade darum, zu beweisen, daß es kein Staatsrecht
gibt gegen das „Gottesrecht“ des Kardinals und daß
keine Bestimmung der Verfassung gilt, wenn sie „das
wohlerworbene Recht der Kirche schmälert“ de Laien¬
regierung zu befehlen und zu verbieten. Das Werk¬
zeug, das der Kardinal brauchte, war bald gefunden.
Der Minister Glanz, in der Residenz des Kardinals
ein häufiger Gast, ist es gewohnt, die Weisungen Seiner
Eminenz entgegenzunehmen und auszuführen, wie es
einem gehorsamen Sohn der Kirche ziemt. Was gilt das
Staatsrecht, was die Verfassung, wenn Herr Piffl
befiehlt? Unbekümmert um alle Gesetze, die ihm
jegliches Eingreifen in das Recht des Landeshaupt¬
mannes von Wien verwehren, verbot der Minister die
dem Kardinal mißliebige Aufführung.
Was geschieht nun? Daß die Klerikalen den
Minister stützen, der, sei es auch um den Preis eines
Rechtsbruches, den Befehl des Kardinals ausgeführt
hat, ist selbstverständlich. Viel meressanter ist, wie
die Gro߬
ich die „Freiheitlichen“ benehmen:
deutschen im Parlament und die Liberalen in
ihrer Presse! Von wenigen Ausnahmen abgesehen,
stellt sich der ganze bürgerliche Freisinn teils
ffen
auf die Seite des klerikalen Ministers, teils
sucht
er die Angelegenheit zu bagatellisieren, als eine
bloße Theaterfrage hinzustellen! Wie, hat nicht
der Liberalismus jahrzehntelang die Abschaffung jeder
Zensur gefordert, gerade er die größten Kämpfe
um das Prinzip geführt, daß der Staat kein Recht
habe, das geistige Leben mit Polizeiverboten zu
regulieren, kein Recht, durch Polizeibüttel erwachsenen
Menschen vorzuschreiben, was sie reden und schreiben,
sich ansehen und anhören dürfen? War nicht die
ganze Geschichte des Liberalismus eine Geschichte der
Kämpfe gegen die Unterwerfung der Staatsgewalt
unter das Gebot der Kirche und gegen die Ver¬
gewaltigung des geistigen Lebens durch scheinheiliges
Muckertum? Und mahnt uns nicht gerade der
Liberalismus Tag für Tag, auch in der Zeit der
schwersten materiellen Not, die Sorge um das Geistige,
den Kampf um die persönliche, die geistige Freiheit
nicht zu vernachlässigen? Aber sonderbar, wenn die
Sozialdemokratie es unternimmt, dem Kardinal
zu
beweisen, daß auch seiner Macht eine Grenze gesetzt
ist und daß auch in Oesterreich die Zeit vorbei ist,
in der auf Pfaffengeheiß konfigziert und zensuriert
wurde, wann immer pfäffischer „Keuschheit“ es
gefiel, dann murrt der bürgerliche Freisinn,
doch ficht für den ch n
nann Partei ergreifen, dessen Steuerpolitik den Geld¬
ack so rücksichtslos anpackt! Nur der Klerikalismus
kann noch große Massen gegen die Sozialdemokratie
aufbieten; und da sollte man einen „Kulturkampf“
gegen den Klerikalismus entfesseln? Keine Rede!
Judenliberale, Großdeutsche und Christlichsoziale eint
er Haß der Sozialdemokratie, kitret das gemeinsame
Klasseninteresse der Besitzenden zusammen. Die Liberalen
unterscheiden sich von den Christlichsozialen wirklich
nur noch badurch, daß sie Juden sind; da beide der
Kampf um die Freiheit des Handels eint, werden sie
sich doch nicht wegen der Frei##t vom Kirchenzwang
zerstreiten! Der Kardinal kann die Machtprobe wagen.
Er ist nicht nur seines klerikalen Heerbannes sicher.
Er braucht auch keinen Widerstand des bürgerlichen
Börgertum führt keinen
Ffreisinns fürchten.
Kulkurkampf gegen Karbinale mehr, seitdem es entdeckt
at, daß man unter dem Schutze des roten Kardinals¬
hutes immer noch am besten seinen Gelbsack ver¬
tecken kann.