box 17/6
11. Reigen
Arbeiter-Zeitung
Ruhe trat erst wieder ein, als Seitz das Wort
ergriff. Mit unübertrefflicher Klarheit und unentrinn¬
barer Logik stellte Seitz den Verfassungsbruch' des
Ministers fest. Wahrhaft vernichtend war in aller
Feinheit der Spott, mit dem er die ästhetisch=ethischen
Platkheiten der Glanzschen Rede abtat. Und der ge¬
bietende Ernst der Worte, in denen Seitz die Entschlossen¬
heit des Proletariats, die Autonomie Wiens vor jeder
Antastung zu schützen, aussprach, schlug selbst die
Gegner in Bann. Die Debatte war nach dem durch
die Ungeschliffenheit des Ministers verschuldeten
Zwischenfall auf die Höhe sachlicher Erörterung und
des sich in ihr ausringenden polirischen Gegensatzes
zurückgeführt. Da gelang es Herrn Dinghoser, durch
eine Taktlosigkeit und Parteilichkeit ohnegleichen die
Würde des Hauses und des Präsidiums zugleich zu
verletzen.
Auf eine ihm von christlichsozialer
Seite zukommende „Anregung“ hin, die man
nach ihrer Wirkung besser Befehl nennen mag, erkühnte
er sich, Seitz den Ordnungsruf zu erteilen, weil dieser
dargetan hatte, daß Glanz für seinen Ministerposten
unfähig ist. Was will dieser Ordnungsruf? Wenn es
nicht zulässig sein sollte, die geistige Unzulänglichkeit
eines Ministers für die Führung seines Amtes fesi¬
ustellen, hört jede Möglichkeit parlamentarischer Kritik,
ja der parlamentarischen Debatte überhaupt auf.
Der Ordnungsruf des Herrn Dinghoser ist so
unsinnig, daß es einfach töricht wäre, ihn mit dera
Inhalt der Worte Seitz' in Beziehung zu bringen.
Den sozialdemolratischen Präsidenten wollten die
Christlichsozialen mit dem Ordnungsruf trefsen und
Dinghofer has gehorsam die Erfüllung des schnöden
Verlangens apportiert. Er eollendete seine Parteilich¬
keit, die die sietliche Befähigung des Mannes zur
Würde eines Vorsitzenden zu bezweifeln gestattet.
indem er trotz des ausdrücklichen Verlangens
Bauers sich weigerte, dem Minister Glanz einen
Ordnungsruf zu erteilen, obwohl dieer eine ganze
Partei des Hauses dreiss beleidigt hatte. Ja, obschon
Dinghofer gestand, die Aaußerung Glanz' nicht gehört
zu haben, ließ er sich dennoch mit offenbarer Ver¬
letzung seiner Pflicht nicht einmal das Brotokoll zur
Feststellung des Wortlants übergeben. Ban has Herrn
Dinghofer bisher stets sehr gut behandelt; es ist nach
seinem hemtigen Benehmen oifenkundig, daß ##r einer
ganz anderen Behandlung würdig wäse.
..
Die Debatte im Zailoealrat.
Im Verlauf der Sitzung des Ratioaalrates am Freitag
überreichten die Abgeordneren Pe#ahnar (Toz) und Ge¬
nossen folgende drugliche Aaftage:
Die Bundesiegierung has die Tuffährang des be¬
kannten Theaterstückes „Rrigen“ in Wien verboten. Dieses Ver¬
vor siellt einen versalsungswidtigen Eingrif
er Bundesregierung in dis Rechtede
Bandes Wien dur, da zur Ausübung der Theater¬
entur in Wien ausschließlich der Landeshaupimann von
Wien besuat in. Das Verbot beweist. bau der Regierung das
12. Februar 1921
Nr. 42
verdienen will, die man ihm erwiesen hat, und von dem
Gesühl er#üllt ist, daß er nur deshalb Minister wurde, weil e
trotz seiner inneren Unfähigkeit und seiner geringen Leistunen
auf diese Stelle entsendet wurde, um den Christlichsozinen
Gefälligkeiten zu erweisen und sich als der Botenträger der
Christlichsozialen zu beiätigen.
Dr. Bauer: Und als Kandidat für den Landesamte
direktor von Steiermark!
Leuthner: Das ist sein Charakterbild. Wir wissen wohl,
daß die Bundesverfassung mit Absicht gegenüber Wien ge¬
brechen wurde, daß man sich gegenüber dem Landethauptmann
von Wien
mit Absicht über die Grenzen des Geseyes hinwegsetzt.
Wenn wir die Beispiele Rintelen und Reumann gegen¬
einanderhalten, so sehen wir ein System. Die Christlichsozialen
haben eine Bundeeverfassung geschaffen, durch die sie die
Staatseinheit auf das schlimmste gejährdeten und die Länder
## vollkommenen Selbständigkeit erhoben haben. Die Wirllich¬
keit unserer Bundesverfassung ist nicht ihr Ruchstabe, sondern
chrankenlose Anarchie.
das Sichausleben der
Landeshauptler bald in der Orgesch, bald in einer anderen
Richtung. Wir leben von einem Landeshauptmannkandal zum
anderen. (Lachen bei den Christlichsozialen.) Aber dagegen wird
die Regierung auch dann nicht einzugreiten wagen, wenn
hr die Verfassung das Recht des Eingreisens zubilligte, ja
selbst dann nicht, wenn das Gesetz ihr die Pflicht zuschriebe
oder wenn sogar internationale Verwicklungen daraus ente
stünden weil wir nicht eine Regierung haben, die aus führen¬
den Männern der christlichsozialen Partei besteht,
diese waren zu feig bazt.
Ich an die Spitze zu siellen und die Verantwortung für ihra
Handlungen zu Ebernehmen. (Lebhafter Beifall bei den Sozial¬
bemokearen.) Wenn Herr Dr. Seipel es vorzöge, statt hier aus
den Wandelhallen heraus zu reginten, sich an die Spitze des
Staates zu stellen, dann würde er mit der Autorikät seiner
Partei und des Barteiführers imstande sein, die Nusschreitungen
der Landeshaumleute einzudämmen. Wenn aber an der Spitze
der Reuierung die Beaustragten, die Bedienten, die Lakeien
ener Portei stehen, die erzittern müssen, nicht nur vor den
Seipel und Kunschak, sondern vor jedem christlichsozialen
Landeshauptmann dann hört jedes Regieren auf, dann vero
bandelt sich das Regieren in ein bloßes System von Gefällig¬
keiten gegenüber der christlich szialen Partei und Brgtelt¬
täten und Ueberschreitungen gegenüber
dem einzigen Lande, das nicht christlich¬
balelverwaltetwir d. Aher der Versuch, die Bundes¬
verfassung, die Sie selbst im Sinne der Allgewalt der Länder
geschaffen haben, dort, wo sie Ihren Parteiinieressen widere
spricht, nach Ihren Wünschen umzudeuten, der wird Ihnen
#ie gelingen. (Lebhafter Belfall bei den Sozialdemokraten.)
Die Antwort des Ministers.
Minister Dr. Glanz: Schon vor Zulassung der Aufe
ührung des „Reigen“, die durch den Magistrat in seiner
Eigenschaft als polnische Landesstelle erfolgt ist, hat der Polizei¬
präsident beim Büigermeister von Wien auf die schweren Be¬
denten gegen die Aufführung dieses Bühnenwerkes aufmerksam
gemacht. Der Manistrai als politische Landesbelförde hat jedoch
dessenungeachtei nach Anhörung des Zensurbeirates mit dem
Bescheid vom 12. Jänner d. J. die Aufführung zugelassen.
Die Alfführung des Siückes gab alsbald zu lebhaften
Brörtelungen in der Oeffentlichkeit Anlaß.
Wick: In der „Reichspolt“!
Dr. Glanz: Hiebei sprach sich die welt Überwiegende
Mehrzahl der öffentluhen Stimmen
.
Ceit: Wo haben Sie das gezählt? Weisen Sie uns
das nach!
Dr. Glanz: . . . bahin aus, daß die Aufführung ihrem
gesamten Eindruck nach eine alge Verletzung der öffentlichen
Stallichteat bedeute.
Seitz: Woher wissen Sie das #
Wihony: Die christlichsozielen Abgeordneten haben sich
die Fühe wundgelaufen, damit sie Karten bekommen! (Wider¬
spruch bei den Christlichsozialen.)
Dr. Glanz: Wenn mon Atgumente bekämpfen will,
muß man sie horen. (Fortgesetzle lebhafte Zwischenrufe bei den
Soztaldemolraten.)
Ceici Sis haben dis jetzt nur über ästhettsche Meinungen
gerebel, aber kein einziges gesetzliches Algument vorgebracht
Dr. Maiaja: Der Heir Präsident als Krawallmacher
Dr. Bauer: Ein solcher Schreier wie der Dere Matssa
wagt es, hier so zu sprechen. (Ruse bet den Soztaldemoltulen:
Präsidenl Seitz hat das Recht, hier zu sprechen so wie See 1)
Dr. Glanz: Ich wendete mich daher in einem Schreiben
R
ne
11. Reigen
Arbeiter-Zeitung
Ruhe trat erst wieder ein, als Seitz das Wort
ergriff. Mit unübertrefflicher Klarheit und unentrinn¬
barer Logik stellte Seitz den Verfassungsbruch' des
Ministers fest. Wahrhaft vernichtend war in aller
Feinheit der Spott, mit dem er die ästhetisch=ethischen
Platkheiten der Glanzschen Rede abtat. Und der ge¬
bietende Ernst der Worte, in denen Seitz die Entschlossen¬
heit des Proletariats, die Autonomie Wiens vor jeder
Antastung zu schützen, aussprach, schlug selbst die
Gegner in Bann. Die Debatte war nach dem durch
die Ungeschliffenheit des Ministers verschuldeten
Zwischenfall auf die Höhe sachlicher Erörterung und
des sich in ihr ausringenden polirischen Gegensatzes
zurückgeführt. Da gelang es Herrn Dinghoser, durch
eine Taktlosigkeit und Parteilichkeit ohnegleichen die
Würde des Hauses und des Präsidiums zugleich zu
verletzen.
Auf eine ihm von christlichsozialer
Seite zukommende „Anregung“ hin, die man
nach ihrer Wirkung besser Befehl nennen mag, erkühnte
er sich, Seitz den Ordnungsruf zu erteilen, weil dieser
dargetan hatte, daß Glanz für seinen Ministerposten
unfähig ist. Was will dieser Ordnungsruf? Wenn es
nicht zulässig sein sollte, die geistige Unzulänglichkeit
eines Ministers für die Führung seines Amtes fesi¬
ustellen, hört jede Möglichkeit parlamentarischer Kritik,
ja der parlamentarischen Debatte überhaupt auf.
Der Ordnungsruf des Herrn Dinghoser ist so
unsinnig, daß es einfach töricht wäre, ihn mit dera
Inhalt der Worte Seitz' in Beziehung zu bringen.
Den sozialdemolratischen Präsidenten wollten die
Christlichsozialen mit dem Ordnungsruf trefsen und
Dinghofer has gehorsam die Erfüllung des schnöden
Verlangens apportiert. Er eollendete seine Parteilich¬
keit, die die sietliche Befähigung des Mannes zur
Würde eines Vorsitzenden zu bezweifeln gestattet.
indem er trotz des ausdrücklichen Verlangens
Bauers sich weigerte, dem Minister Glanz einen
Ordnungsruf zu erteilen, obwohl dieer eine ganze
Partei des Hauses dreiss beleidigt hatte. Ja, obschon
Dinghofer gestand, die Aaußerung Glanz' nicht gehört
zu haben, ließ er sich dennoch mit offenbarer Ver¬
letzung seiner Pflicht nicht einmal das Brotokoll zur
Feststellung des Wortlants übergeben. Ban has Herrn
Dinghofer bisher stets sehr gut behandelt; es ist nach
seinem hemtigen Benehmen oifenkundig, daß ##r einer
ganz anderen Behandlung würdig wäse.
..
Die Debatte im Zailoealrat.
Im Verlauf der Sitzung des Ratioaalrates am Freitag
überreichten die Abgeordneren Pe#ahnar (Toz) und Ge¬
nossen folgende drugliche Aaftage:
Die Bundesiegierung has die Tuffährang des be¬
kannten Theaterstückes „Rrigen“ in Wien verboten. Dieses Ver¬
vor siellt einen versalsungswidtigen Eingrif
er Bundesregierung in dis Rechtede
Bandes Wien dur, da zur Ausübung der Theater¬
entur in Wien ausschließlich der Landeshaupimann von
Wien besuat in. Das Verbot beweist. bau der Regierung das
12. Februar 1921
Nr. 42
verdienen will, die man ihm erwiesen hat, und von dem
Gesühl er#üllt ist, daß er nur deshalb Minister wurde, weil e
trotz seiner inneren Unfähigkeit und seiner geringen Leistunen
auf diese Stelle entsendet wurde, um den Christlichsozinen
Gefälligkeiten zu erweisen und sich als der Botenträger der
Christlichsozialen zu beiätigen.
Dr. Bauer: Und als Kandidat für den Landesamte
direktor von Steiermark!
Leuthner: Das ist sein Charakterbild. Wir wissen wohl,
daß die Bundesverfassung mit Absicht gegenüber Wien ge¬
brechen wurde, daß man sich gegenüber dem Landethauptmann
von Wien
mit Absicht über die Grenzen des Geseyes hinwegsetzt.
Wenn wir die Beispiele Rintelen und Reumann gegen¬
einanderhalten, so sehen wir ein System. Die Christlichsozialen
haben eine Bundeeverfassung geschaffen, durch die sie die
Staatseinheit auf das schlimmste gejährdeten und die Länder
## vollkommenen Selbständigkeit erhoben haben. Die Wirllich¬
keit unserer Bundesverfassung ist nicht ihr Ruchstabe, sondern
chrankenlose Anarchie.
das Sichausleben der
Landeshauptler bald in der Orgesch, bald in einer anderen
Richtung. Wir leben von einem Landeshauptmannkandal zum
anderen. (Lachen bei den Christlichsozialen.) Aber dagegen wird
die Regierung auch dann nicht einzugreiten wagen, wenn
hr die Verfassung das Recht des Eingreisens zubilligte, ja
selbst dann nicht, wenn das Gesetz ihr die Pflicht zuschriebe
oder wenn sogar internationale Verwicklungen daraus ente
stünden weil wir nicht eine Regierung haben, die aus führen¬
den Männern der christlichsozialen Partei besteht,
diese waren zu feig bazt.
Ich an die Spitze zu siellen und die Verantwortung für ihra
Handlungen zu Ebernehmen. (Lebhafter Beifall bei den Sozial¬
bemokearen.) Wenn Herr Dr. Seipel es vorzöge, statt hier aus
den Wandelhallen heraus zu reginten, sich an die Spitze des
Staates zu stellen, dann würde er mit der Autorikät seiner
Partei und des Barteiführers imstande sein, die Nusschreitungen
der Landeshaumleute einzudämmen. Wenn aber an der Spitze
der Reuierung die Beaustragten, die Bedienten, die Lakeien
ener Portei stehen, die erzittern müssen, nicht nur vor den
Seipel und Kunschak, sondern vor jedem christlichsozialen
Landeshauptmann dann hört jedes Regieren auf, dann vero
bandelt sich das Regieren in ein bloßes System von Gefällig¬
keiten gegenüber der christlich szialen Partei und Brgtelt¬
täten und Ueberschreitungen gegenüber
dem einzigen Lande, das nicht christlich¬
balelverwaltetwir d. Aher der Versuch, die Bundes¬
verfassung, die Sie selbst im Sinne der Allgewalt der Länder
geschaffen haben, dort, wo sie Ihren Parteiinieressen widere
spricht, nach Ihren Wünschen umzudeuten, der wird Ihnen
#ie gelingen. (Lebhafter Belfall bei den Sozialdemokraten.)
Die Antwort des Ministers.
Minister Dr. Glanz: Schon vor Zulassung der Aufe
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Eigenschaft als polnische Landesstelle erfolgt ist, hat der Polizei¬
präsident beim Büigermeister von Wien auf die schweren Be¬
denten gegen die Aufführung dieses Bühnenwerkes aufmerksam
gemacht. Der Manistrai als politische Landesbelförde hat jedoch
dessenungeachtei nach Anhörung des Zensurbeirates mit dem
Bescheid vom 12. Jänner d. J. die Aufführung zugelassen.
Die Alfführung des Siückes gab alsbald zu lebhaften
Brörtelungen in der Oeffentlichkeit Anlaß.
Wick: In der „Reichspolt“!
Dr. Glanz: Hiebei sprach sich die welt Überwiegende
Mehrzahl der öffentluhen Stimmen
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Ceit: Wo haben Sie das gezählt? Weisen Sie uns
das nach!
Dr. Glanz: . . . bahin aus, daß die Aufführung ihrem
gesamten Eindruck nach eine alge Verletzung der öffentlichen
Stallichteat bedeute.
Seitz: Woher wissen Sie das #
Wihony: Die christlichsozielen Abgeordneten haben sich
die Fühe wundgelaufen, damit sie Karten bekommen! (Wider¬
spruch bei den Christlichsozialen.)
Dr. Glanz: Wenn mon Atgumente bekämpfen will,
muß man sie horen. (Fortgesetzle lebhafte Zwischenrufe bei den
Soztaldemolraten.)
Ceici Sis haben dis jetzt nur über ästhettsche Meinungen
gerebel, aber kein einziges gesetzliches Algument vorgebracht
Dr. Maiaja: Der Heir Präsident als Krawallmacher
Dr. Bauer: Ein solcher Schreier wie der Dere Matssa
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Präsidenl Seitz hat das Recht, hier zu sprechen so wie See 1)
Dr. Glanz: Ich wendete mich daher in einem Schreiben
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