II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 561

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ie sich schon nicht sattessen können, wenigstens eine
Und wilder und wilder der
Unterhaltung haben. Sie sollen sich ein bißchen zer¬
streuen, nicht immer an ihre elende Lage denken,
Reigen sich schlingt.
denn diese Grillenfängerei tut ihnen nicht gut. Sie
könnte sie auf ketzerische Gedanken über die Sozial¬
So aufgeregt wie gestern hat sich, die Arbeiter¬
demokratie bringen. Also nicht den Kopf hängen
zeitung“ schon #lang nicht gebärdet. „Die Macht¬
lassen! Lustig sein! Es gibt eine große Hetz'! Die
probe des Ka#dinals“, Der Gesetzbruch des
Christlichsozialen werden frech, sie bedrohen die gei¬
Glanz", „Die Provokation und ihr Echo“, „Das
stige Freiheit, sie wollen die Verfassung umbringen.
Verbot und die Antwort des Bürgermeisters“, „Der
Auf in den frischfröhlichen Krieg gegen die Ver¬
weitere Verlauf", „Ein Gerichtsurteil über den
pfaffung! Antiklerikale Redensarten sollen die Ar¬
„Reigen““ — mit diesen Berichten und Betrach¬
beiter ihre Nöte vergessen machen.
tungen über den „Reigen"=Streit hat das Blatt
Denn nur um Redensarten handelt es sich Seitz
gestern beinahe dreieinyalb von seinen sechs Text¬
und die Seinigen wissen sehr gut, daß nichts so heiß
eiten gefüllt. Wie gesagt: so etwas ich schon lange
gegessen wird, wie es gekocht worden ist, daß die
nicht dagewesen, ja, seit der glorreichen Revolution
Ankündigung des Straßenkampfes noch lange nicht
überhaupt noch nicht. Aber es hat sich gestern auch
den Straßenkampf bedeutet. Die „Arbeiterzeitung
nicht um einen Pfifferling gehandelt, es ist um
hat es auch schon ausgeplaudert, daß es nur auf
große Dinge gegangen: die klerikale Reaktion be¬
eine Komödie abgesehen ist, die die Arbeiter täu¬
droht die geistige Freiheit, die Regierung hat, weil
schen soll. „Der Herr Glanz, so erklärt sie, „hat
es die Finsterlinge so wollten, einen Verfassungs¬
nun die Wahl, mit seinen Gesetzesverletzungen in¬
bruch begangen! Sollten, durften, konnten die So¬
nezuhalten oder sie zu steigern; die Untersagung, die
zialdemokraten das ruhig hinnehmen? Müssen sie
er sich geleistet hat, wird keinen Ertrag haben.“
den Kampf für Wahrheit, Freiheit, Recht und Licht
Merkwurdig, sehr merkwürdig. Der Herr Glanz
nicht jederzeit und überall aufnehmen? Auch dann
at die Verfassung verletzt. Also müssen die Sozial¬
aufnehmen, wenn sich die konterrevolutionäre Ak¬
demokraten, sollte man meinen, den Kampf gegen
tion der Christlichsozialen scheinbar nur gegen ein
ihn fortsetzen, bis er verschwunden ist. Aber so bös
Theaterstück richtet, zu dem die Masse des Volkes
sind sie nicht. Sie wollen abwarten, ob der Herr
überhaupt keine Beziehungen hat, das ihr also
Glanz seine Gesetzesverletzungen. steigern wird. Tut
gleichgültig ist?
er's nicht, hält er in seinem verfassungsbrecherischen.
Ganz gewiß: wer die Reaktion nicht aufkommen
Treiben ine, so wird ihm Verzeihung werden.
assen will, der muß ihr doch auf die Finger klopfen,
Und Glanz will wirklich innehalten. Er läßt er¬
auch wenn der Anlaß, aus dem sie frech wird, nicht
klären, daß er nicht Gewalt anwenden, sondern den
gerade wichtig ist. Daß also die Sozialdemokraten
Verfassungsgerichtshof anrufen wird. Und der
den Christlichsozialen und der Regierung wegen des
„Reigen“ kann einstweilen weiter gespielt werden.
Verbotes der „Reigen“=Aufführungen einen Tanz
So sorgen beide Teile dafür, daß aus dem heiteren
gemacht haben, ist an sich gar nicht so lächerlich, wie
Spiel nicht etwa trauriger Ernst wird. In einer ge¬
die bürgerliche Presse, die liberale wie die klerikale,
heimen Koalition muß es, wenn sie geheim bleiben
behauptet. Ueberwältigend komisch aber wirkt die
oll, von Zeit zu Zeit eine kleine Katzbalgerei geben.
sozialdemokratische Aktion, wenn man sie im Zu¬
Aber sie darf natürlich nicht ausarten. Nun, der
amenhange mit der Politik, die die Sozialdemo¬
Streit um den „Reigen“ wird nicht ausarten. Die
kraten sonst machen, betrachtet. Da fällt einem näm¬
Wüteriche auf beiden Seiten wissen, daß sie mit
lich sofort auf, daß der Entschluß der Sozialdemo¬
Maß und Vernunft rasen müssen, wenn die Koali¬
kraten, für die Verfassung, wenn es sein muß, den
ion nicht gefährdet werden soll. Und die Koalition
Heldentod zu sterben, noch nicht sehr alt sein kann.
st ihnen doch das höchste, besonders den Sozial¬
Denn sie haben sehr viele Anlässe, zur Sicherung
demokraten.
der Verfassung die Waffen zu ergreifen, nicht be¬
nützt. Sie haben z. B. ruhig mitangesehen, daß die
Christlichsozialen die Bauern mit Waffen versorg¬
ten, daß sich Offiziersformationen und Heimwehren
bildeten usw. Das waren doch sehr ernste Angriffe
auf die Verfassung oder doch sehr zweckmäßige Vor¬
bereitungen zu solchen Angriffen! Aber wenn die
Kommunisten das sagten, erklärten die Sozialdemo¬
kruten sie für Gespensterseher. Und auch sonst ließen
sie die Gelegenheit, im Interesse der Arbeiterklasse
mit den Christlichsozialen ein Tänzlein zu wagen
sie war seit dem Umsturz jeden Tag gegeben —
immer ungenützt vorübergehen. Jetzt auf einmal
Christlichsozialen den „Reigen“ nicht auf der Bühne
dulden wollen. Wer kann sich da des Lachens er¬
wehren?
Aber die sozialdemokratische Aktion zur Rettung
der Verfassung ist nicht nur lächerlich, sondern auch
ehr verdächtig. Die Sozialdemokraten sind nicht so
dumm, wie sie sich jetzt stellen. Der alte, ehrliche
Seitz weiß schon, warum er der Regierung für den
Fall, daß sie es wagen sollte, die „Reigen“=Auf¬
führungen mit Gewalt zu verhindern den Barri¬
#abenlünchl antündigt. Die Arbeiter sollen, wenn