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11. Reigen
Ein „Reigen“ von Skandalen.
Der österreichische Nationalrat hat sich
durch wüste Szenen, die sich kaum son¬
derlich von den üblichen Nachklängen eines
Kirchweihfestes unterschieden, in gerade
heute doppelt verhängnisvoller Weise ent¬
würdigt. Denn was sollen diejenigen, die
uns helfen müssen, dazu sagen, daß die
Vertretung eines hungernden, darbenden,
zusammengebrochenen Volkes all dieses
Elend, diesen Jammer, dieses Unglück ruhig
hinnimmt, ohne sich zu irgendeinem Tem¬
perametsausbruche, der immerhin durch
den Hinweis auf die durchdringende Ver¬
zweiflung gerechtfertigt werden könnte, hin¬
reißen zu lassen, dagegen wegen eines Kom¬
petenzkonfliktes solche Skandale inszeniert?
Wieder ist es die leidige Partei¬
politik, wie sig das neue Oesterreich be¬
reits ärger zugerichtet hat, als es das
alte mit seinem Nationalitätenhader und
seinem Schranzentume jemals vermocht
hätte, vie sich in ihren gefährlichsten, in
ihren häßlichsten Formen äußert. Wäre die
Regierung nicht christlichsozial, der Land¬
schwere Blöße gegeben, die ihnen nament¬
Mint. e e e .
tag nicht sozialdemokratisch, — kein Hahn
lich vor dem Auslande unnennbaren Scha¬
herbste Enttäuschung. Wäre Schnitzler, was
krähte nach der ganzen Angelegenheit. So
den zufügen wird und Wasser auf die Mühle
er war, — er hätte zu solchen Staats¬
aber stürzen sich beide Parteien lüstern auf
unserer Feinde bedeutet. Vor aller Welt
affären gewiß niemals Anlaß geboten oder
das Politikum, und ein Blick in ihre
ist abermals offenkundig geworden, daß
sich schleunigst geopfert, um sie zu beenden.
Hauptblätter zeigt, wie es eigentlich um
nur parteipolitische Erwägungen, nur
Dieser Ruhm des „Reigens“ ist auch
den Fall steht. Nicht mit Unrecht wundern
ein parteipolitischer Justamentstand¬
für den Autor mehr als träurig.
sich die Kommunisten darüber, daß just
punkt dieses Oesterreich beherrschen, dem
Lapis
diese Geschichte den Zorn der Sozialvemo¬
keine Hilfe von außen Rettung abringen
kraten und sogar ihres ehemaligen Staats¬
kann, solange man sich des inneren Haupt¬
Demonstration gegen die „Reigen“¬
oberhauptes in solchem Maße entflammt,
übels, eben dieser Parteipolitik, nicht
Aufführung.
und nicht mit Unrecht stellt das erwähnte
gründlich erwehrt hat. Natürlich ist auch
Blatt fest, daß die Sozialdemokraten da
Gestern abends vor Beginn der Vor¬
in dieser Affaire die Drohung mit dem
billig zu dem Anlasse gekommen seien,
sich
stellung von Schnitzlers „Reigen“ in den
Generalstreik nicht ausgeblieben, und der
sind
ultraradikal zu geberden, Wie zahm
Kammerspielen sammelten sich in der Ro¬
Mann, der diese Waffe diktatorisch hand¬
doch dieselben Soziademokraten, wenn
sie
tenturmstraße etwa dreihundert Personen
habte, war einer der reckenhaftesten Stür¬
sich um das den Staat — wohlgemerlt,
an und demonstrierten durch Pfui¬
mer im Streite.
*
den nach ihrer Meinung zu sozialisie¬
rufe gegen die Aufführung. Sie brachten
renden Staat — zerrüttende Treiben
der
auch Pfuirufe gegen vorbeifahrende Auto¬
Was aber am schmerzlichsten ist: über
neuen Reichen, der Börsenmagnaten
mobile aus, wenn sie auch keine Theater¬
den Dichter Arthur Schnitzler wußten
Trustgewaltigen handelt! Fehlte nur,
daß
gäste brachten. Sicherheitswache schritt ein
die Blätter nichts anderes zu melden, als
das sozialdemokratische Zentralorgan
die
und drängte die Demonstranten gegen die
daß er sich in der Theaterkanzlei nach dem
Bilderspende des Chefs dieser Herren
Rotenturmstraße und gegen den Kai ab.
Stande der Sache erkundigt habe, sonst
leitender Stelle gebührend rühmte!
Es wurden während der Szenen vier Ar¬
jedoch völlig passiv verhalte. Für diejeni¬
Das Parlament, der Landtag,
die
retierungen vorgenommen.
gen, denen die Skandalserie kein Politi¬
Regierung, die beiden Hauptparteien haben
kum, sondern ein Problem des künstleri¬
sich in dieser Reigenangelegenheit eine
schen Empfindens, eine literarische Frage
Allllls
tadtbar
et
III
Allcerlilss#se
7
WIENE AONTABSPRRSSE 2,
11. Reigen
Ein „Reigen“ von Skandalen.
Der österreichische Nationalrat hat sich
durch wüste Szenen, die sich kaum son¬
derlich von den üblichen Nachklängen eines
Kirchweihfestes unterschieden, in gerade
heute doppelt verhängnisvoller Weise ent¬
würdigt. Denn was sollen diejenigen, die
uns helfen müssen, dazu sagen, daß die
Vertretung eines hungernden, darbenden,
zusammengebrochenen Volkes all dieses
Elend, diesen Jammer, dieses Unglück ruhig
hinnimmt, ohne sich zu irgendeinem Tem¬
perametsausbruche, der immerhin durch
den Hinweis auf die durchdringende Ver¬
zweiflung gerechtfertigt werden könnte, hin¬
reißen zu lassen, dagegen wegen eines Kom¬
petenzkonfliktes solche Skandale inszeniert?
Wieder ist es die leidige Partei¬
politik, wie sig das neue Oesterreich be¬
reits ärger zugerichtet hat, als es das
alte mit seinem Nationalitätenhader und
seinem Schranzentume jemals vermocht
hätte, vie sich in ihren gefährlichsten, in
ihren häßlichsten Formen äußert. Wäre die
Regierung nicht christlichsozial, der Land¬
schwere Blöße gegeben, die ihnen nament¬
Mint. e e e .
tag nicht sozialdemokratisch, — kein Hahn
lich vor dem Auslande unnennbaren Scha¬
herbste Enttäuschung. Wäre Schnitzler, was
krähte nach der ganzen Angelegenheit. So
den zufügen wird und Wasser auf die Mühle
er war, — er hätte zu solchen Staats¬
aber stürzen sich beide Parteien lüstern auf
unserer Feinde bedeutet. Vor aller Welt
affären gewiß niemals Anlaß geboten oder
das Politikum, und ein Blick in ihre
ist abermals offenkundig geworden, daß
sich schleunigst geopfert, um sie zu beenden.
Hauptblätter zeigt, wie es eigentlich um
nur parteipolitische Erwägungen, nur
Dieser Ruhm des „Reigens“ ist auch
den Fall steht. Nicht mit Unrecht wundern
ein parteipolitischer Justamentstand¬
für den Autor mehr als träurig.
sich die Kommunisten darüber, daß just
punkt dieses Oesterreich beherrschen, dem
Lapis
diese Geschichte den Zorn der Sozialvemo¬
keine Hilfe von außen Rettung abringen
kraten und sogar ihres ehemaligen Staats¬
kann, solange man sich des inneren Haupt¬
Demonstration gegen die „Reigen“¬
oberhauptes in solchem Maße entflammt,
übels, eben dieser Parteipolitik, nicht
Aufführung.
und nicht mit Unrecht stellt das erwähnte
gründlich erwehrt hat. Natürlich ist auch
Blatt fest, daß die Sozialdemokraten da
Gestern abends vor Beginn der Vor¬
in dieser Affaire die Drohung mit dem
billig zu dem Anlasse gekommen seien,
sich
stellung von Schnitzlers „Reigen“ in den
Generalstreik nicht ausgeblieben, und der
sind
ultraradikal zu geberden, Wie zahm
Kammerspielen sammelten sich in der Ro¬
Mann, der diese Waffe diktatorisch hand¬
doch dieselben Soziademokraten, wenn
sie
tenturmstraße etwa dreihundert Personen
habte, war einer der reckenhaftesten Stür¬
sich um das den Staat — wohlgemerlt,
an und demonstrierten durch Pfui¬
mer im Streite.
*
den nach ihrer Meinung zu sozialisie¬
rufe gegen die Aufführung. Sie brachten
renden Staat — zerrüttende Treiben
der
auch Pfuirufe gegen vorbeifahrende Auto¬
Was aber am schmerzlichsten ist: über
neuen Reichen, der Börsenmagnaten
mobile aus, wenn sie auch keine Theater¬
den Dichter Arthur Schnitzler wußten
Trustgewaltigen handelt! Fehlte nur,
daß
gäste brachten. Sicherheitswache schritt ein
die Blätter nichts anderes zu melden, als
das sozialdemokratische Zentralorgan
die
und drängte die Demonstranten gegen die
daß er sich in der Theaterkanzlei nach dem
Bilderspende des Chefs dieser Herren
Rotenturmstraße und gegen den Kai ab.
Stande der Sache erkundigt habe, sonst
leitender Stelle gebührend rühmte!
Es wurden während der Szenen vier Ar¬
jedoch völlig passiv verhalte. Für diejeni¬
Das Parlament, der Landtag,
die
retierungen vorgenommen.
gen, denen die Skandalserie kein Politi¬
Regierung, die beiden Hauptparteien haben
kum, sondern ein Problem des künstleri¬
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schen Empfindens, eine literarische Frage
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