II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 579

11. Reigen
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Fünftel der Bevölkerung vertritt, indem er ihr die
Anständigkeit absprach. Die Sozialdemokraten sind
dem Frechling die Antwort nicht schuldig geblieben.
Es war insbesondere Seitz, der zuerst darauf hin¬
wies, daß Deutschösterreich ein viel zu schwacher
Staat sei, um einen strebsamen jungen Mann, wie
es der Minister sei, den er einen christlichlichsozialen
Söldling nannte, ertragen könne. Er zeigte auf,
daß die christlichsozialen Größen Seipel, Kunschak,
Weiskirchner, sich von der Uebernahme der Regie¬
rung schraubten und an ihrer Stelle Leute im
Regieren machen lassen, die in ihrem Solde stehen¬
oder anders betrachtet, sich Liebkind bei den christlich
sozialen Politikern machen wollen, um eine gute
berufliche Laufbahn zu haben. Seitz zitierte auch
den Fall des Gendarmeriekommandanten Peinlich
in Graz, dessen Pensionierung und Entlassung vom
Ministerium des Innern ausgesprochen wurde, der
aber diese Pensionierung einfach ignoriert, weil er
eine Stütze in dem reaktionär=christlichsozialen
Landeshauptmann Rintelen hat, der der Zentral¬
regierung Trotz bietet. Und dabei ist die Gendarmerie
Sache des Bundes, des Gesamtstaates. Rintelen
hat also in die Verfügungen des Bundesministers
für Inneres gar nichts dareinzureden. Trotzdem
macht der Herr Glanz keine Miene, seiner Ver¬
ügung den Nachdruck zu verleihen, um auch ihre
Durchführung zu erzwingen. Allerdings wurde die
Pensionierung ausgesprochen, als noch ein Sozial¬
demokrat Minister des Innern war. In einigen
Tagen werden die Gendarmen in den Streik treten,
wenn der Kommandant nicht entfernt wird. Hier
versagte die Energie des Herrn Glanz. Hingegen
war er ohneweiters bereit sich auszuwirken, als der
Fürsterzbischof von Wien, der Kardinal Piffl, die
Stirne über das in Rede stehende Theaterstück —
es handelt sich um die Szenenreihe „Reigen“ von
dem bekannten heimischen Dichter Arthur Schnitzler-
runzelte und die „Reichspost“ es nach den „Grund¬
ätzen“ der Muckermoral kritisierte und offen auf¬
orderte, den „Reigen“ in Wien, ebenso wie es
in München seitens des kerikal=lausbübischen Pöbels
geschehen war, auszupfeifen, die Schauspieler zu
beschimpfen und mit Stinkbomben und faulem Obst
zu bewerfen.
Das Verbot wird selbstverständlich nicht be¬
achtet werden. Der Bürgermeister als Landes¬
hauptmann der Stadt Wien hat verfügt, daß die
Durchführung des Erlasses des Glanz einzustellen
sei. Das Stück wird weiter aufgeführt werden, da
die Zustellung eines Verbotes nur durch die Exekutiv¬
organe des Landes bewirkt werden kann. Das
Stück — auf dessen sittlichen Gehalt einzugehen
wir uns noch vorbehalten — spielt hier selbstver¬
Der Sternsteinhof.
Eine Dorfgeschichte von L. Anzengruber.
(61. Fortsetzung.)
Sali hielt dem Alten vor, wie schad' es um das
Anwesen wär' und daß der Toni, wenn gleich recht un¬
besinnt, doch sein einziger sei, — und so bettelte und
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„Steyren Tagslatt“
ständlich nur eine nebensächliche Rolle. In Frage
kommt hier einzig die freche Verletzung der Bundes¬
verfassung durch den Minister, die nach berühmt
reaktionärem Muster offenbar einer der Tastversuche
der Reaktion sein soll, die durch die Revolution
errungenen Freiheiten in Frage zu stellen. Die
Erlässe des Glanz als Chef der Herresverwaltung
sind ja bekannt. Nun versucht sich die Reaktion
durch ihr Werkzeug, den Herrn Glanz, auch auf
größerem Gebiete. Und da hat denn Seitz den Herr¬
chaften unzweideutig zu verstehen gegeben, daß ein
Rühren an den errungenen Freiheitsrechten ein¬
fach den Bürgerkrieg bedeute. Gewalt wird
ewalt entgegengesetzt werden, wenn der unfähige
Minister und fähige Beauftragte seiner Herrschaft,
der klerikalen Reaktion und der sie unterstützenden
Deutschnationalen es wagen sollte, irgendwie in
die Rechte des einzigen sozialdemokratischen Landes¬
hauptmannes einzugreifen, also etwas wagen sollte,
was zu wagen etwa gegen die christlichsoziale
Landesregierung in Steiermark er nie unternehmen
würde, weil er da der Ungnade derer gewiß wäre,
die — nach dem Hirtenbrief der Bischöfe — Staats¬
verfassungen nicht zu beachten bereit sind, wenn
sie mit den sogenannten göttlichen Geboten in
Widerspruch zu stehen scheinen.
Die Geschichte des bürgerlichen Staates ist
eine Geschichte der Verfassungsbrüche. Versprochene
oder zugestandene Rechte des Volkes wurden in
den Staub getreten, wenn die Kirche und die
Dynastien ihren Vorteil gekommen wähnten. Das
Wort von dem „Fetzen Papier“, das Bethmann¬
Hollweg im August 1914 auf die Geltung von
Verträgen zwischen den Staaten anwendete, es gilt
in womöglich noch höherem Maße von Verfassungen.
Es war Lasalle, der den Arbeitern verstehen lehrte,
daß das Recht nur Recht bleibt, wenn hinter ihm
die Macht steht. Wir Sozialisten verfallen nicht
mehr dem parlamentarischen Kretinismus, dem die
von Marx unsäglich verhöhnte Frankfurter National¬
versammlung im Jahre 1849 verfallen war, da
sie meinte, mit Resolutionen und papiernen Ver¬
fassungen über die Soldaten der preußischen Reaktion
obsiegen zu können. Wir wissen, daß, wenn die
Wehrmacht heute reaktionär wäre, unser Protest
gegen die Glanz=Leistung vergeblich und leere
Demonstration bliebe. Deshalb: Es gibt kein
Rütteln an der Wehrmacht und deshalb auch nicht
an den Rechten der Arbeiter und der ganzen Be¬
völkerung, die verfassungsmäßig festgelegt sind. Das
hat der Herr Glanz und seine reaktionär=muckerischen
Auftraggeber wie wir meinen mit einer Deutlichkeit
erfahren, die nicht zu mißverstehen war.