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publik während einer mehrstündigen Sitzung beschäftigen
werde und daß sich die Gemüter der christlichsozialen und
der sozialdemokratischen Nationalräte über die Frage, ol
dem Bundesministerium des Innern ein Aufführungs¬
verbotsrecht zustehe oder nicht, bis zum Siedepunkt erbit¬
zen werden.
Es ist aber doch so gekommen. Der österreichische Na¬
tionalrat hat über diese Angelegenheit drei Stunden lan
debattiert; man hat sich fast geprügelt und dem Bundes¬
minister des Innern suchtelten sogar die Fäuste einiger
besonders schlagfertiger Abgeordneter ins Gesicht. „Tant
de bruit pour une omelette“ könnte man lächelnd sagen
wenn die Sache im Grunde nicht so toternst wäre. Man
denke nur, was geschehen ist. Der Minister des Innern
hat es gewagt, über die „Majestät“ des Landeshaupt¬
mannes hinweg, das Stück von Schnitzler zu verbieten,
weil er und taufend andere der Ansicht waren, daß es
man verzeihe den Ausdruck — eine „Schweinerei“ ist, in
einer Zeit, da die Familien vor Hunger dahinsterben, Hun
derte und hunderte junger Leute in die Wiener Kammer¬
spiele laufen, nicht um sich an einem Erzeugnis der Kunst
zu erbauen, sondern damit sie sich an obszönen Szenen be¬
geilen können. Auf Wochen hinaus sind in den Kammer¬
spielen, wo „Der Reigen“ gespielt wird, alle Plätze ver¬
griffen.
„Dieses Verbot war für die Wiener Sozialdemokraten
#in gefundener Anlaß, die Verfassungsfrage aufzurollen.
Ihr Redner, der ehemalige Präsident der Nationalver¬
sammlung, Seitz, erklärte im Brusttone der Ueberzeu¬
gung, der für solche Fälle immer zur Verfügung steht, daß
ein Verfassungsbruch vorliege, da nur dem Bür¬
germeister von Wien als Landeshauptmann das Recht
zukomme, das Aufführungsverbot zu erlassen. Diese
schristlichsoziale Vergewaltigungspolitik“, werde
dem
schärfsten Widerstand seiner Parbei begegnen und wenn die
„Regierung von Angestellten und Söldlingen“ (so be¬
zeichnete Seitz die bürgerliche Regierung Dr. Mayr) es
wagen sollte, „den Widerstand Wiens gegen Verfassungs¬
brüche mit bewaffneter Gewalt zu brechen, so werde
sie Gefahr laufen, daß der Gewalt mit Gewalt
begegnet werde.
Der Parlamentsbericht bemerkt hiezu: „Lebhafter Bei¬
fall und Händeklatschen bei den Sozialdemokraten; andau¬
ernde Zwischenrufe bei den Christlichsozialen“.
Wir glauben wohl mit Recht fragen zu dürfen: Wie
soll es verstanden werden, wenn ein Mann in der Stel¬
lung des Präsidenten Seitz sich vom Parteifanatismus
soweit hinreißen läßt, um förmlich die Revolution
an die Wand zu malen. Heute ist nicht die Zeit für parla¬
die „Neue Freie Presse“, daß es heute ein Volksver¬
rat an Oesterreich ist, über elwas anderes zu ver¬
handeln, als über die Rettung von Volk und Staat vor
dem nabenden Untergange.
Unsere Nationalräte haben es allerdings für wichtiger
gehalten, einen ganzen Sitzungstag über den „Reigen“
zu reden, während bereits das Messer gewetzt wird, um
uns den letzten Rest unserer Freiheit abzuschneiden. Den
Tag vorher hält der Finanzminister vor ein puar Dul¬
zend gelangweilten, sichtlich gähnenden Nationalrät.
sein Exposee, in dem er mit dürren Worten darlegt, das
unser Staat mehr als 100 Milliarden Schulden hat; kein
Abgeordneter findet Vorschläge, um in letzter Stunde
vielleicht doch noch irgendwelche Mittel zu finden, die uns
vor gänzlicher Versklavung retten könnten, und die zum
mindesten dem Auslande unseren guten Willen zeigen
würden, daß wir uns nach Möglichkeit selbst hellen möch¬
ten. Nichts davon! Ein lähmendes Wierstigkeitsgefühl,
gleich dem russischen Nilschewo, hat auch ratsere Volksver¬
treter erfaßt: der Bericht wird nach einigen belanglosen
Bemerkungen zur Kenntnis genommen. Komme es, wie
es wolle! Ganz gleich, wer uns zu essen verschafft, irgend
jemand wird es schon tun
Taucht aber von der Ferne die Möglichkeit auf, daß
Parteidogmen verletzt werden könnten, dann er¬
nene
artungen gedeihen, noch mehr auszubauen und alle Ver¬
schleppungsgefahren dieser Seuche in unser Land zu ban¬
nen. Auch im Tiroler Landtag hai leider eine kleine Par¬
tei oft tagelang wegen Nichtigkeiten den Fortgang der Ver¬
handlungen verzögert, nur aus dem Grunde, weil die
Gefahr vorlag, daß in Wien geschaffene Parteigrundsätze,
die für das Wohl und Wehe des Tiroler Volkes gänzlich
belanglos sind, verletzt werden könnten.
Die Autorität der Wiener Regierung ist durch diese und
ähnliche Entgleisungen gänzlich untergraben: es vegiert
in Wien ein rücksichtsloser Parteiterror. Traurig, wenn
wir in Tirol uns das Wiener Regime widerstandslos ge¬
fallen ließen.
Ist es bei solchen Verhältnissen nicht selbstverständlich,
daß ein Amerikaner, der unsere Verhältnisse genau kennt,
Mister ####ver, sich dahin äußert, daß er Ifroh wäre,
wenn die Reparationskommission die Regierungsgeschäft
in Oesterreich übernehmen würde, damit die Oesterrei¬
cher selbst sehen, welchen Schaden ihre Regierungen an¬
gerichtet hätten.“
Hoover steht mit seiner Meinung nicht allein. Auch
anderwärts gibt es genug Leute, die glauben, daß mit
dem Wiener „Milieu“ nichts mehr zu machen ist. Der
„Reigen“=Rummel war ein Blitzlicht in diese abstoßende
Mentalität an der Donau.
publik während einer mehrstündigen Sitzung beschäftigen
werde und daß sich die Gemüter der christlichsozialen und
der sozialdemokratischen Nationalräte über die Frage, ol
dem Bundesministerium des Innern ein Aufführungs¬
verbotsrecht zustehe oder nicht, bis zum Siedepunkt erbit¬
zen werden.
Es ist aber doch so gekommen. Der österreichische Na¬
tionalrat hat über diese Angelegenheit drei Stunden lan
debattiert; man hat sich fast geprügelt und dem Bundes¬
minister des Innern suchtelten sogar die Fäuste einiger
besonders schlagfertiger Abgeordneter ins Gesicht. „Tant
de bruit pour une omelette“ könnte man lächelnd sagen
wenn die Sache im Grunde nicht so toternst wäre. Man
denke nur, was geschehen ist. Der Minister des Innern
hat es gewagt, über die „Majestät“ des Landeshaupt¬
mannes hinweg, das Stück von Schnitzler zu verbieten,
weil er und taufend andere der Ansicht waren, daß es
man verzeihe den Ausdruck — eine „Schweinerei“ ist, in
einer Zeit, da die Familien vor Hunger dahinsterben, Hun
derte und hunderte junger Leute in die Wiener Kammer¬
spiele laufen, nicht um sich an einem Erzeugnis der Kunst
zu erbauen, sondern damit sie sich an obszönen Szenen be¬
geilen können. Auf Wochen hinaus sind in den Kammer¬
spielen, wo „Der Reigen“ gespielt wird, alle Plätze ver¬
griffen.
„Dieses Verbot war für die Wiener Sozialdemokraten
#in gefundener Anlaß, die Verfassungsfrage aufzurollen.
Ihr Redner, der ehemalige Präsident der Nationalver¬
sammlung, Seitz, erklärte im Brusttone der Ueberzeu¬
gung, der für solche Fälle immer zur Verfügung steht, daß
ein Verfassungsbruch vorliege, da nur dem Bür¬
germeister von Wien als Landeshauptmann das Recht
zukomme, das Aufführungsverbot zu erlassen. Diese
schristlichsoziale Vergewaltigungspolitik“, werde
dem
schärfsten Widerstand seiner Parbei begegnen und wenn die
„Regierung von Angestellten und Söldlingen“ (so be¬
zeichnete Seitz die bürgerliche Regierung Dr. Mayr) es
wagen sollte, „den Widerstand Wiens gegen Verfassungs¬
brüche mit bewaffneter Gewalt zu brechen, so werde
sie Gefahr laufen, daß der Gewalt mit Gewalt
begegnet werde.
Der Parlamentsbericht bemerkt hiezu: „Lebhafter Bei¬
fall und Händeklatschen bei den Sozialdemokraten; andau¬
ernde Zwischenrufe bei den Christlichsozialen“.
Wir glauben wohl mit Recht fragen zu dürfen: Wie
soll es verstanden werden, wenn ein Mann in der Stel¬
lung des Präsidenten Seitz sich vom Parteifanatismus
soweit hinreißen läßt, um förmlich die Revolution
an die Wand zu malen. Heute ist nicht die Zeit für parla¬
die „Neue Freie Presse“, daß es heute ein Volksver¬
rat an Oesterreich ist, über elwas anderes zu ver¬
handeln, als über die Rettung von Volk und Staat vor
dem nabenden Untergange.
Unsere Nationalräte haben es allerdings für wichtiger
gehalten, einen ganzen Sitzungstag über den „Reigen“
zu reden, während bereits das Messer gewetzt wird, um
uns den letzten Rest unserer Freiheit abzuschneiden. Den
Tag vorher hält der Finanzminister vor ein puar Dul¬
zend gelangweilten, sichtlich gähnenden Nationalrät.
sein Exposee, in dem er mit dürren Worten darlegt, das
unser Staat mehr als 100 Milliarden Schulden hat; kein
Abgeordneter findet Vorschläge, um in letzter Stunde
vielleicht doch noch irgendwelche Mittel zu finden, die uns
vor gänzlicher Versklavung retten könnten, und die zum
mindesten dem Auslande unseren guten Willen zeigen
würden, daß wir uns nach Möglichkeit selbst hellen möch¬
ten. Nichts davon! Ein lähmendes Wierstigkeitsgefühl,
gleich dem russischen Nilschewo, hat auch ratsere Volksver¬
treter erfaßt: der Bericht wird nach einigen belanglosen
Bemerkungen zur Kenntnis genommen. Komme es, wie
es wolle! Ganz gleich, wer uns zu essen verschafft, irgend
jemand wird es schon tun
Taucht aber von der Ferne die Möglichkeit auf, daß
Parteidogmen verletzt werden könnten, dann er¬
nene
artungen gedeihen, noch mehr auszubauen und alle Ver¬
schleppungsgefahren dieser Seuche in unser Land zu ban¬
nen. Auch im Tiroler Landtag hai leider eine kleine Par¬
tei oft tagelang wegen Nichtigkeiten den Fortgang der Ver¬
handlungen verzögert, nur aus dem Grunde, weil die
Gefahr vorlag, daß in Wien geschaffene Parteigrundsätze,
die für das Wohl und Wehe des Tiroler Volkes gänzlich
belanglos sind, verletzt werden könnten.
Die Autorität der Wiener Regierung ist durch diese und
ähnliche Entgleisungen gänzlich untergraben: es vegiert
in Wien ein rücksichtsloser Parteiterror. Traurig, wenn
wir in Tirol uns das Wiener Regime widerstandslos ge¬
fallen ließen.
Ist es bei solchen Verhältnissen nicht selbstverständlich,
daß ein Amerikaner, der unsere Verhältnisse genau kennt,
Mister ####ver, sich dahin äußert, daß er Ifroh wäre,
wenn die Reparationskommission die Regierungsgeschäft
in Oesterreich übernehmen würde, damit die Oesterrei¬
cher selbst sehen, welchen Schaden ihre Regierungen an¬
gerichtet hätten.“
Hoover steht mit seiner Meinung nicht allein. Auch
anderwärts gibt es genug Leute, die glauben, daß mit
dem Wiener „Milieu“ nichts mehr zu machen ist. Der
„Reigen“=Rummel war ein Blitzlicht in diese abstoßende
Mentalität an der Donau.