II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 632

11. Reigen
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Zeiteng, WWier 18 FEERUNR 1521
& Seite 2
Wien, Freitag
Arbeiter-Zeitung
Wenn also demnächst irgend eine Unterhaltung reicher
Die Apachen des Kardinals.
Bourgeois oder vornehmer Monarchisten oder irgend
eine Versammlung, in der christlichsoziale Redner die
Herr Piffl hat es zuerst mit seinen Weisungen
Arbeiterschaft beleidigen, oder die Hetzreden irgend eines
an den Herrn Glanz versucht. Famit ist es nicht
Pfaffen in der Wiener Arbeiterschaft, die sicherlich ein
gelungen. Also griff die streitbare Kinche zu anderen
Mitteln. Mit Stinkbomben und Schlagringen, mit
Großteil der Bevölkerung“ ist, „Mißstimmung
hervorrufen“ und ein paar hundert Arbeiter
geschwungenen Knüppeln und 'geworfenen Sesseln
dieser Mißstimmung „elementaren Ausdruck“ geben
ward die verletzte Moral glücklich wiederhergestellt,
wollen, nun, dann ist das nicht Terrorismus, sondern
Die Vorsehung liebt es, sich zuweilen sonderbarer
gerechte Selbsthilfe und die Polizei hat in diesem
Werkzeuge zu bedienen. Gestern dienten ihr, Wiens
Falle nicht wieder den Arbeitern entgegenzutreten,
bedrohte Sittlichkeitzu retten, ein paar hundert rauf¬
ondern die ihnen mißliebige Veraustaltung, sei es nun
tüchtige Jungen, die, nachdem sie den Kampf gegen
eine Schieberunterhaltung oder ein Monarchistenfest,
Sinneslust und Unzucht wacker bestanden, ein paar
eine christlichsoziale Versammlung oder eine Hetzpredigt,
Dutzend Wintermäntel aus der Garderobe mitgehen
einfach zu verbieten. Denn was der „christlichen
ließen. Die „Reichspost“ nennt die tapferen Kämpfer
Wiens „christliche Jugend“.
Jugend“ recht, ist der Arbeiterschäft billig; schlechter
als jene, als Bürger minderen Rechtes werden sich,
Da hat man so lange darüber gestritten, wem
dessen mögen die Herren Piffl, Glanz und Schober
das Zensurrecht zusteht. Man hat aus Dichtern und
gewiß sein, die Wiener Arbeiter nicht behandeln lassen.
Literaturhistorikern einen Zensurbeirat gebildet, damit
Zumal da, wenn die Wiener Arbeiter demonstrieren,
er die Behörden sachkundig berate, hat einen wahren
wenigstens keine Wintermäntel verschwinden.
Verfassungskampf darum geführt, ob dem Minister
oder dem Landeshauptmann das Recht zustehe, Auf¬
führungen zu erlauben und zu verbieten. Wie kindlich
das doch war! Das Verfassungsproblem ist gelöst. Ueber
den Kunstwert der Schöpfungen der Dichter entscheidet
der Knüppel, über ihren sittlichen Gehalt der Schlag¬
ring. Die Zensur der Stinkbombe löst alle ethischen,
ästhetischen, staatsrechtlichen Probleme im Nu. „Tuet
niemandem Gewalt und Unbill an!“ sagt der Herr.
Aber was gehen die Sprüche des Herrn den Kardinal
an? Er hält es lieber mit dem heiligen Paulus, der
die Frommen gemahnt: „Gehorchet euren Bischöfen
und seid ihnen untertan!“ Hat er es uns nicht schon
in seinem Fastenhirtenbrief vorausgesagt, daß sein
„Gottesrecht“ über jegliches „Staatsrecht“ siegen werde,
welches den Bischöfen den gebotenen Gehorsam nicht
ichert? Nun wissen wir, mie er es gemeint. Das
„Gottesrecht“ des Kardinals ist das Faustrecht seiner
Bravi.
O, auch sie sind gegen Gewalt, die frommen
Herren! Erinnert euch nur, wie sie entrüstet waren,
als die Neunkirchener Arbeiter einen frechen Ausbeuter,
der sich an einem Krüppel vergangen halte, gezüchtigt
haben! Wo bleibt jetzt Herr Dr. Mataja? Erinnert
ihr euch, wie sich ihr beleidigtes Rechtsgefühl auf¬
bäumte, wehn irgendwo Arbeiter, durch provokatorische
Reden gereizt, eine Versammlung gesprengt haben!
Wo bleibt jetzt der Herr Kunschak? Wenn Arbeiter
eine Versammlung sprengen,
ist es ein
unsühnbares Verbrechen; wenn
die
„christliche
Jugend“ eine Theatervorstellung sprengt, ist es,
wie die „Reichspost“ sagt, „Selbsthilfe christlicher
junger Männer gegen öffentliches Aergernis“. Heute
jubeln sie, weil es ihnen gelungen ist, mit Stink¬
bomben eine Theatervorstellung zu verhindern; morgen
werden sie wieden über den „Terrorismus“ der
Arbeiter Zeter und Mordio schreien!
Und die Behörden? Der Polizeipräsident hat
die weitere Aufführung verboten, weil die Sicherheit
der Zuschauer und der Darsteller gefährdet sei. Denn
„die in einem Großteil der Wiener Bevölkerung,“ so
schreibt Herr Schober, „durch die Aufführungen des
Bühnenwerkes „Reigen“ von Arthur Schnitzter hervor¬
gerufene Mißstimmung hat in der gestrigen Vorstellung
einen derartig elementaren Ausdruck gefunden, daß
das Theater der Schauplatz wüster Tumult¬
szenen wurde“.
Eine possierliche Begründung!
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