II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 633

memandem Gewalt und Unbill an!“ sagt der Herr.
Aber was gehen die Sprüche des Herrn den Kardinal
an? Er hält es lieber mit dem heiligen Paulus, der
die Frominen gemahnt: „Gehorchet euren Bischöfen
und seid ihnen untertan!“ Hat er es uns nicht schon
in seinem Fastenhirtenbrief vorausgesagt, daß sein
„Gottesrecht“ über jegliches „Staatsrecht“ siegen werde,
welches den Bischöfen den gebotenen Gehorsam nicht
sichert? Nun wissen wir, wie er es gemeint. Das
„Gottesrecht“ des Kardinals ist das Faustrecht seiner
Bravi.
O, auch sie sind gegen Gewalt, die frommen
Herren! Erinnert euch nur, wie sie entrüstet waren,
als die Neunkirchener Arbeiter einen frechen Ausbeuter,
der sich an einem Krüppel vergangen hatte, gezüchtigt
haben! Wo bleibt jetzt Herr Dr. Mataja? Erinnert
ihr euch, wie sich ihr beleidigtes Rechtsgefühl auf¬
bäumte, wehn irgendwo Arbeiter, durch provokalorische
Reden gereizt, eine Versammlung gesprengt haben!
Wo bleibt jetzt der Herr Kunschak? Wenn Arbeiter
eine Versammlung sprengen,
ist
es ein
unsühnbares Verbrechen; wenn
die „christliche
Jugend“ eine Theatervorstellung sprengt, ist es,
wie die „Reichspost“ sagt, „Selbsthilfe christlicher
junger Männer gegen öffentliches Aergernis“. Heute
jubeln sie, weil es ihnen gelungen ist, mit Stink¬
bomben eine Theatervorstellung zu verhindern; morgen
werden sie wieder über den „Terrorismus“ der
Arbeiter Zeter und Mordio schreien!
Und die Behörden? Der Polizeipräsident hat
die weitere Aufführung verboten, weil die Sicherheit
der Zuschauer und der Darsteller gefährdet sei. Denn
„die in einem Großteil der Wiener Bevölkerung,“ so
chreibt Herr Schober, „durch die Aufführungen des
Bühnenwerkes „Reigen“ von Arthur Schnitzter hevvor¬
gerufene Mißstimmung hat in der gestrigen Vorstellung
einen derartig elementaren Ausdruck gefunden, daß
das Theater der Schauplatz wüster Tumult¬
szenen wurde". Eine possierliche Begründung!
Die Vorstellungen, die, von
ein paar
hundert Literaten und ein paar tausend Betschwestern
beiderlei Geschkechts abgesehen, wahrlich keinem Menschen
mehr waren, als ein beliebiges anderes Theater¬
ereignis, wir haben „in einem Großteil der Wiener
Bevölkerung“ so arge Mißstimmung hervorgerufen!
Natürliche, andere Gründe zur Mißstimmung hat ja
unter der segensreichen schwarzen Regierung der
„Großteil der Wiener Bevölkerung“ nicht! Und wenn
ein paar hundert Leute, auf den Theatersaal und der
Straße sorgsam verteilt, mit Schlagringen, faulen Eiern
und Stinkbomben ausgerüstet, auf verabredetes Zeichen
zu verabredeter Stunde gewaltsam vorbrechen, die
Wachleute niederrennen, Frauen mißhandeln und
Wintermäntel
stehlen, ist es immer nach
Herrn Schobers Darstellung, ein „elementarer
Ausbruch“ begreiflicher Mißstimmung! Welcher psycho¬
logischen Einsicht die hohe Polizeidirektion doch fähig
ist, wenn es sich um die „christliche Jugend“ handelt!
Man erinnere sich nur, wie sich derselbe Herr Schober
bei anderen Gelegenheiten aufgeführt hat! Bei jener
Bürgerratsversammlung zum Beispiel, deren provo¬
katorische Ankündigung in der Wiener Arbeiterschaft,
also wirklich in einem „Großteil der Wiener Bevöl¬
kerung“, „Mißstimmung hervorgerufen“ hat! Damals
hat Herr Schober nicht die Versammlung verboten,
damit nicht ein „elementarer Ausdruck“ jener Mi߬
stimmung die „öffentliche Ruhe und Ordnung“ störe;
er hat vielmehr gegen den „Großteil der Wiener Be¬
völkerung“ ein ganzes Heer aufgeboten, um die
Sicherheit der versammelten Schieber und Aus¬
beuter gegen jeden „elementaren Ausdruck“ zu
schützen! Herr Schober weiß eben zwischen der „christ¬
lichen Jugend“ und dem notigen Arbeiterpack zu
unterscheiden. Denmächst wird er sich uns wieder als
„unparteiischer Beamter“ vorstellen wollen. Er wird
niemanden mehr täuschen. Er ist als würdig erkannt,
der Nachfolger des Herrn Glanz zu werden.
Uns aber kann die Lehre, die Kirche und Staat
auf diese Weise dem Völke geben, schließlich recht sein.