II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 646

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Reigen
Zur Frage der Wiederaufnahme der
„Reigen“-Aufführungen.
Dr. Schnitzler hat an Direktor Bernau
das folgende Schreiben gerichtet:
„Verehrtester Herr Direktor! Zu meiner Verwunderung
lese ich in der Zeitung eine Notiz des Inhalts, daß ich
nach anfänglicher Weigerung meine Einwilligung zur
Wiederaufführung des „Reigen“ erteilt hätte. Diese Auf¬
fassung beruht auf einem schwer erklärlichen
Mißverständnis, das kaum in der Direktions¬
kanzlei seinen Ursprung genommen haben dürfte, wo man
ja über meinen Standpunkt hinreichend informiert war und
ist. Erlauben Sie mir aber in jedem Falle diesen meinen
Standpunkt noch einmal mit aller Klarheit zum Ausdruck
zu bringen:
ch werde die Wiederaufnahme der „Reigen“-Vor¬
stellungen an den Kammerspielen — oder an irgendeiner
anderen Wiener Bühne — nur dann gestatten,
wenn die hier in Betracht kommenden Behörden, die selbst¬
verständlich nach reiflicher Ueberlegung das Verbot er¬
lassen und es nun selbstverständlich nach ebenso reiflicher
Ueberlegung aufgehoben haben, sich geneigt erklären, die
Darsteller und das Publikum sowohl vor Ausbrüchen mehr oder
minder echter sittlicher Entrüstung als auch vor angezettelten
Pöbeleien zu schützen und wenn diese Behörden über¬
zeugt sind, solche Schutzmaßnahmen, wie es in anderen
zivilisierten Städten gelungen ist, mit Sicherheit praktisch
durchführen zu können. Ehe nach dieser Richtung hin die
mir im Interesse der Darsteller und des Publikums not¬
wendig erscheinenden Garantien nicht vorliegen, erhebe
ich in aller Form Protest gegen jeden Ver¬
such einer Wiederaufnahme meiner Szenenreihe „Reigen“
in den Spielplan der Kammerspiele.
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Aus den Theatern.
Im Burgtheater gelangt morgen „Das Glas
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Schluß mit dem „Reigen“!] Artur Schnitzler hat
sich zu der Frage geäußert, ob der „Reigen wieder in den
Spielplan der Kammerspiele ausgenommen werden solle, und man
darf dem Dichter ehrlichen und tiefgefühlten Dank dafür wissen,
daß er es en schieden ablehnt, sich und sein Werk als Mittel zu
Spekulätionszwecken mißbrauchen zu lassen. Aus einem Brief,
den Schnitzler an den Theaterdirektor gerichtet hat, spricht die
nur allzu begreifliche Kränkung und Erbitterung darüber, daß
die Behörden sich gegenüber planmäßig vorbereiteten und kalt
servierten „Sittlichkeits“=Ausbrüchen machtlos erwiesen haben.
Dieses Gefühl teilen übrigens mit dem Dichter auch alle jene, die
nicht geneigt waren, die Frage, ob der „Reigen auf die Bühne
gehöre, im vorhinein unbedingt zu bejahen Wichtiger aber ist
jedenfalls, daß Artur Schnitzlers Veto uns davor bewahrt, eine
neue, eventuell verbesserte und vermehrte Auflage jener ab¬
stoßenden Vorgänge zu erleben, bei denen die Erotik mittels
Stinkbomben ausgeräuchert werden sollte Man kann den Be¬
hörden in der „Reigen“=Affärz Mancherlei zum berechtigten Vor¬
wurf machen, aber es ist von ihnen keinesfalls zu verlangen, daß
sie neben jeden radaulustigen Theaterbesucher einen Schutzmann
hinstellen. Es unterliegt übrigens keinem Zweifel, daß es kaum
mehr viele Theaterbesucher gibt, die sich künstlerischen oder
darstellerischen Pröblemen zuliebe eine Karte zu einer „Reigen“=
Aufführung lösen würden. Eine Theaterdirektion, die heute in
Wien den „Reigen“ aufführt. vermag ausschließlich mit einem
Publikum zu rechnen, das sich Reizungen verspricht, auf die es
der Dichter wahrlich zuletzt abgesehen hat Auch ein Tizianbild
ist jedoch davor nicht gefeit, daß es durch Beschauer geschändet
wird, deren gieriges Auge nur die Blöße des üppigen Frauen¬
leibes auszunehmen vermag. Deswegen würde es aber gewieß ein
jeder Kunstfreund auf das tiefste bedauern, wenn ein solches Ge¬
mälde von einem feindlichen Schicksal dazu verurteilt würde, als
Wandschmuck in einem Lupanar zu dienen. Mit dieser Kon¬
statierung ist natürlich kein bestimmtes Theater gemeint, um so
weniger, als die Mehrzahl der Wiener Bühnen gegenwärtig er¬
folgreich bemüht ist, dem bekannten Ausspruch des Zolaschen
Theaterdirektors Vordenave nachzueifern. Artur Schnitzler,
dieses wertvolle österreichische Besitztum, ist uns jedenfälls viel
zu gut, als daß sein reiner Dichtername zum marktschreierischen
Aushängeschild für Unternehmungen mißöraucht würde, die mit
Theaterkünst, mit Kunst überhaupt blutwenig zu tun haben.
Nebenbei bemerkt ist es auch mehr als fraglich, ob nach den Er¬
fahrungen des vergangenen Jahres Darsteller und Theater¬
besucher bei einer „Reigen =Aufführung überhaupt die not¬
wendige Unbefangenheit aufzubringen vermöchten, künsilerische
Werte zu geben und zu empfangen. Aus allen diesen Gründen
wird man sich der Erklärung Artur Schnitzlers herzlich freuen,
die auf ein Aufführungsverbot herauskommt, das der Dichter
aus eigener Machtvollkommenheit erläßt.
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