II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 672

11.
box 18/1
Reigen
Mose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Srusel Tageblatt
Zeitung:
Ort:
Datum:
LAOLLD
Artur Schnitzler: „Reigen“.
Kleines Schauspielhaus.
Darf man Stücke verbieten? — Nicht mal, wenn sie schlecht ge¬
schrieben sind und schlecht gespielt werden; (was ein Standpunkt sein
könnte).
Hier aber ist ein reizendes Werk, — und es wird annehmbar
gespielt.
Der Erfolg war gut; die Hörerschaft wurde nicht schlechter da¬
von. Und die Welt ist, zum Donnerwetter, kein Kindergarten.
Schnitzler schrieb das Buch vor vierundzwanzig Jahren Er hat's
damals nur den Freunden geschenkt. Im Deutschen Reich war es
nicht druckbar — unter einer Regierung, die für aller Wohl so sehr
sorgte, daß es allen heute so gut ergeht.
Einen Augenblick Rast und Besinnung! Es wird auf die Dauer
zu fad, vor allen wichtigsten Begleitumständen der menschlichen
Fortpflanzung sich tot zu stellen; sich dumm zu stellen. Eine lang¬
auernde Hypnose. Die Einteilung „Altertum, „Mittelalter“, „Neu¬
zeit“ ist im Grunde verfrüht.
II.
Reigen heißt hier Liebesreigen. Und Liebe heißt hier nicht
platonische, sondern ... Also: angewandte Liebe.
Sie wird angewandt (ohne Gröbliches, Lüsternes, Schmieriges)
zwischen zehn Menschenpaaren. Und zwischen allen Gesellschafts¬
klassen.
Stets das Hinübergreifen von einer Schicht zur andren. Folgen¬
vermaßen. Dirne, Soldat. Soldat, Stubenmädel. Stubenmädel,
junger Herr. Junger Herr, junge Frau. Junge Frau, ihr Mann.
Ihr Mann, süßes Mädel. Süßes Mädel, Poet. Poet, Schauspielerin.
Der Reigen ist geschlossen.
Schauspielerin, Graf. Graf, Dirne
Voltaire hat im „Candide“ Aehnliches vorgemacht. Die Reihen¬
folge bei ihm ist: Stubenmädel; Franziskaner; alte Gräfin; Ritt¬
meister; Marquise; Page; Jesuit; Matrose des Columbus
Auch hier ist also von der so oft erstrebten Ueberbrückung der Klassen¬
unterschiode wenigstens Einiges durchgeführt.
Die seelische Tragikomik des körperlichen Begebnisses hat ja auch der
himmlische Hogarth in zwei Bildern unsterblich festgelegt: „Vorher“
und „Nachher“ benannt. Die Welt steht immer noch.
III.
Schnitzler ist mehr launig als faunig. Er gibt mit nachdenklichem
Lächeln den irdischen Humor der unterirdischen Welt.
Nicht Schmutzereien: sondern Lebensaspekten. Auch das Ver¬
gängliche des Taumels; das komisch=trübe Schwinden der Trugs.
Alles umhaucht von leisem, witzigem Reiz.
Herr Huvert Reusch, der Spielwart, hat es nicht ganz ohne
Glück nachgestaltet. Der Erfolg ließe sich verstärken, wenn man die
Musik streicht — und einen Teil der Darsteller auf die Höhe der Aus¬
stattung bringt..
(Sie war von Stern; manchmal zu üppig — so im Zimmerl
des Poeten.)
Alles müßte leiser, leichter, ironisch=zarter im gesprochenen Wort
sein. Aber alles war, o Polizei, dezent.
Der Gewinn des Abends hieß Poldi Müller. Das ist niemand.
der Leopold heißt. Sondern jemand, der offenbar Leopoldine heißt.
Sie war das füße Pädel.
Ja, sie war es ...
Von der Schauspielerin, die es mit dem Dichter und dem Grafen
hat, holte Fräulein Dergan (Blanche mit Vornamen) bloß Einiges
heraus. Die Rolle schreit, brüllt nach der Sandrock, — wo die noch
keine grauen Herzoginnen gab.
Fräulein Dergan war liebenswürdig — aber die Gestalt braucht
noch mehr Feierliches, Unzusammenhängendes, Erhaben=Hunde¬
schnäuziges, Unbeirrbar=Ruhevolles — daß man vom Stuhl fällt.
Das köstliche Abschiedswort an den Offizier, „Adieu, Stein¬
amanger!“ verkitschte sie durch eine Weglassung.
Wie auch der Schauspieler Kurt Götz Ersatzwirkungen durch frei¬
williges Sichbegießen mit Wasser beitat. Er war nicht recht ein
woienerischer junger Herr.
Seine junge Frau, Fräulein Magda Mohr (neulich Magda
Madeleine) hatte den Namen geändert. Jetzt, wen## sie noch Einiges
indern möchte..
Herr Etlinger kam als Poet in der Maske Schnitzlers; wodurch
er ihm zu nahe trat. Undankbar gegen einen Autor. Doch
Phlegma blieb er ganz ullig.
IV.
Zum Beginn und zum Ochluß erschien die Prinzipalin, Fräu
Eysoldt. Sie trug mit Recht iyre Klage wider die Polizei vor die
Inwesenden.
Die Aufführung ist bei sechs Wochen Haft verboten worden, — da¬
ei hat die hineingreisende Stelle das Werk nur gelesen, nie gesehn.
Das alles geht vom Kultusministerium aus? Bestimmt nicht von
genisch.
Alfred Kerr.