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Reigel
Theaterbriefe.
Berlin.
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Reigen.
Schnitzlers „Reigen“ soll in den Schmutz gezogen werden.
Zu diesem-Zmeck entsendet man nun noch ordentliche Richter ins
Kleine Schauspielhaus. Diese Richter aber werden sich nach den
ersten Szenen bei den feisten Händen fassen und den Reigen mit¬
machen. Denn der Reigen Schnitzlers ist ja doch nur ein Stück
Menschenleben, das Stück sogar, welches die gemeine Erotik ver
pönt und die richtige, echte, unkomplizierte, baumwollene und seidene
Erotik so hinstellt, wie sie ist. „Reigen“ ist ja nur eine akustische
Pholographie von dem, was uns durch dieses Leben treibt. „Reigen“
ist ja nur Erotik. Soll ja durch garnichts bemäntelt werden!
keinen Beifall.
Und das Publikum? Es spendete einmütig
50 Prozent, weil ihnen die Sache in ihrer Einfachheit der Ausführung
und des Gedankens gar nicht erheblich zu denken gob, und der Rest
weil die eigene hinter ihm liegende Triviulität schwer den glotzigen
Sollte
Schädel zerbimmerte. Also: erstklassige, reine Wirkung.
so
jedoch die aufrechte Direktion Sladek=Eysoldt verdonnert werden,
wäre das ein trauriges Zeugnis für die moralische Beschaffenheit
unserer Obrigkeit. — Wie soeben gemeldet wird, ist die Verfügung
vom Landgericht llI aufgehoben worden. Gracia madonna!
Inhalt: Es sind zehn Digloge, Anbändeleien, Liebeleten und
kleine Verruchtheiten. Eine Liebeskette, anfänglich geflochten aus
Papierrosen mit Patschuliduft, endend über Treibhausveilchen und
Papierrosen. Die Darstellung der einzelnen Ketten¬
Orchideen bei —
glieder war, dank einer zielsicheren Regie (Hubert Reusch), un¬
gekünstelt und abgerundet und verteilt sich so: Else Bäck (die
Dirne) — Louis Ralph (der Soldat) — Vera Skidelsky
— Ernst Hofmann (der junge Herr)
(das Stubenmädchen)
Viktor Schwanneke
Magda Mohr (die junge Frau) —
Karl
Poldi Müller (das süße Mädel) —
—
(der Ehemann)
Etlinger (der Dichter) — Blanche Dergan (die Schau¬
spielerin) — Robert Forster=Larrinaga (der Graf). Die
Dekoration nach Ernst Sterns Entwürfen zeigt während des
ganzen Stückes zwei von Schlingpflanzen umrankte blaßgrüne
Straßenlaternen auf der Vorderböhne. Dazwischen ein faltiger
Schleiervorhang in gleicher Farbe, hinter welchem die jeweils er¬
forderliche Szenerie wirkungsvoll erscheint. Auch verbindende Musik
Alles im
—
gibt es, von Forster=Larrinaga, nicht schlecht.
F. E. M.
Allem: Eine künstlerische, unantastbare Leistung.
Premiere mit Vorrede.
SchnitzlersReigen“ im Kleinen Schauspielhaus.
Das Spiel war halb gewonnen, noch ehe es über¬
haupt begonnen hatte. Gertrud Eysoldt. die
Frau Direktor, erschien vor der Gardine. Ihre Er¬
regung nur mühsam niederzwingend, berichtete sie,
es sei drei Stunden vor Beginn der Vorstellung eine
Verfügung des Landgericht III eingetroffen, gemäß
welcher die Aufführung verboten worden sei. Unter
Strafandrohung natürlich. Aber nicht Geldbuße
wurde bei Zuwiderhandlung angekündigt, sondern
echs Wochen Haft! Das Kultus¬
ministerium, das dieses gerichtliche Eingreifen ver¬
anlaßt habe, sei schon etliche Tage zuvor gebeten
worden, zu der Probe einen Vertreter zu entsenden,
da die Aufführung doch oft ein anderes Bild von
einem Werke gebe, als das Stück, indessen ungeachtet
der Zusage sei dies nicht geschehen. Nun werde
— es handle sich doch immerhin um einen
aber
Dichter, wie Schnitzler — die Aufführung dennoch
vor sich gehen.
Beifallssturm — Sympathiegetrampel. Und jetzt
konnte nach Frau Eysoldt der Dichter zu Worte
kommen. Schnitzlers „Reigen — vor langen Jahren
— ist wohl kaum irgendwo be¬
bereits erschienen
reits zur Aufführung gelangt. Auch Schnitzler hat
wohl nicht daran gedacht, diese zehn Dialoge jemals
Aber für unsere modernen
auf der Bühne zu sehen.
im „Reigen“ bewährte sich
Inszenierungsmacher —
gibt es, auch ohne Dreh¬
Hubert Reusch
bühne, keine Unmöglichkeiten mehr. Und so werden
Dialoge und Handlungsfetzen, denen sich das Theater
bisher aus technischen, oft auch aus künstlerischen
Gründen verschlossen hat, einem hochwohllöblichen
Publikum vorgeführt.
zwanzig Minuten Geplauder
—
Vorhang hoch
chneller Wechsel der kargen De¬
Vorhang runter
—
koration — in diesem Falle ist Hauptrequisit das
Ein Spiel, das
Bett — Vorhang hoch — weiter
*
im „Reigen“ in knapp zwei Stunden abschnurrte
Unter dem Beifall des anscheinend sehr befriedigten
und amüsierten Auditoriums.
Die Anfangs= und Schlußgestalt dieser Dialog¬
serie bildet die Dirne. Und von der Dirne schlingt
sich der Liebesreigen über den Soldaten, das Stuben¬
mädchen, den jungen Herrn, die junge Frau, den
Ehemann, das süße Mädel, die Schauspielerin und den
Dichter bis zum Grafen, der wiederum bei der Dirne
endet. Die Erotik cancaniert mit fliegenden Röcken.
Marke: Ins rarische gehobene Folies Caprice!
Durchgeistigte #olitäten in Wiener Parfumierung,
die einen Teil von Schnitzlers Geistesschaffen bilden.
Erfreulicherweise nur einen Bruchteil. Immer¬
hin, auch diese, aufs ganze gehenden Liebeleien sint
mit zarten Schnitzlerstrichen gezeichnet. Liebens¬
lich keine Ursache, sich zu entrüsten. Das flattert
behende vorüber, von Bild zu Bild, dieses sexuelle
Treiben. Erotik in ihren entgegengesetzten Polen:
Bemühen des Mannes um die Frau und seine.
24.12.1920:
Soi lmer Bütseh Beuug, Gerdie
Mergenausgabe
mmer nur seine Ernüchterung nach dem Liebes¬
ausch.
Den Schauspielern bietet die Dialogfolge keine
estaltungsaufgaben. Sie haben nur zu plaudern.
ezent zu plaudern. Gleichsam über das Thema
inwegzuhuschen, es nur anzudeuten, beileibe nicht
u unterstreichen. Und mit gutem Geschmack ent¬
prachen sie alle dieser Forderung: Else Bäck,
kurt Götz und Viktor Schwanneke, die sich
eide ganz in ihrem Elemente zu fühlen schienen
Poldi Müller, Blanche Dergan — sie gab
die Schauspielerin mit amüsanter Betonung des Ko¬
und Robert Forster=Lar¬
mödiantentums —
rinaga. Dieser hatte auch eine Musik geschrieben,
die als Lückenbüßerin beim Szenenwechsel gedacht
war, sich aber als überflüssig erwies.
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Theaterbriefe.
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Reigen.
Schnitzlers „Reigen“ soll in den Schmutz gezogen werden.
Zu diesem-Zmeck entsendet man nun noch ordentliche Richter ins
Kleine Schauspielhaus. Diese Richter aber werden sich nach den
ersten Szenen bei den feisten Händen fassen und den Reigen mit¬
machen. Denn der Reigen Schnitzlers ist ja doch nur ein Stück
Menschenleben, das Stück sogar, welches die gemeine Erotik ver
pönt und die richtige, echte, unkomplizierte, baumwollene und seidene
Erotik so hinstellt, wie sie ist. „Reigen“ ist ja nur eine akustische
Pholographie von dem, was uns durch dieses Leben treibt. „Reigen“
ist ja nur Erotik. Soll ja durch garnichts bemäntelt werden!
keinen Beifall.
Und das Publikum? Es spendete einmütig
50 Prozent, weil ihnen die Sache in ihrer Einfachheit der Ausführung
und des Gedankens gar nicht erheblich zu denken gob, und der Rest
weil die eigene hinter ihm liegende Triviulität schwer den glotzigen
Sollte
Schädel zerbimmerte. Also: erstklassige, reine Wirkung.
so
jedoch die aufrechte Direktion Sladek=Eysoldt verdonnert werden,
wäre das ein trauriges Zeugnis für die moralische Beschaffenheit
unserer Obrigkeit. — Wie soeben gemeldet wird, ist die Verfügung
vom Landgericht llI aufgehoben worden. Gracia madonna!
Inhalt: Es sind zehn Digloge, Anbändeleien, Liebeleten und
kleine Verruchtheiten. Eine Liebeskette, anfänglich geflochten aus
Papierrosen mit Patschuliduft, endend über Treibhausveilchen und
Papierrosen. Die Darstellung der einzelnen Ketten¬
Orchideen bei —
glieder war, dank einer zielsicheren Regie (Hubert Reusch), un¬
gekünstelt und abgerundet und verteilt sich so: Else Bäck (die
Dirne) — Louis Ralph (der Soldat) — Vera Skidelsky
— Ernst Hofmann (der junge Herr)
(das Stubenmädchen)
Viktor Schwanneke
Magda Mohr (die junge Frau) —
Karl
Poldi Müller (das süße Mädel) —
—
(der Ehemann)
Etlinger (der Dichter) — Blanche Dergan (die Schau¬
spielerin) — Robert Forster=Larrinaga (der Graf). Die
Dekoration nach Ernst Sterns Entwürfen zeigt während des
ganzen Stückes zwei von Schlingpflanzen umrankte blaßgrüne
Straßenlaternen auf der Vorderböhne. Dazwischen ein faltiger
Schleiervorhang in gleicher Farbe, hinter welchem die jeweils er¬
forderliche Szenerie wirkungsvoll erscheint. Auch verbindende Musik
Alles im
—
gibt es, von Forster=Larrinaga, nicht schlecht.
F. E. M.
Allem: Eine künstlerische, unantastbare Leistung.
Premiere mit Vorrede.
SchnitzlersReigen“ im Kleinen Schauspielhaus.
Das Spiel war halb gewonnen, noch ehe es über¬
haupt begonnen hatte. Gertrud Eysoldt. die
Frau Direktor, erschien vor der Gardine. Ihre Er¬
regung nur mühsam niederzwingend, berichtete sie,
es sei drei Stunden vor Beginn der Vorstellung eine
Verfügung des Landgericht III eingetroffen, gemäß
welcher die Aufführung verboten worden sei. Unter
Strafandrohung natürlich. Aber nicht Geldbuße
wurde bei Zuwiderhandlung angekündigt, sondern
echs Wochen Haft! Das Kultus¬
ministerium, das dieses gerichtliche Eingreifen ver¬
anlaßt habe, sei schon etliche Tage zuvor gebeten
worden, zu der Probe einen Vertreter zu entsenden,
da die Aufführung doch oft ein anderes Bild von
einem Werke gebe, als das Stück, indessen ungeachtet
der Zusage sei dies nicht geschehen. Nun werde
— es handle sich doch immerhin um einen
aber
Dichter, wie Schnitzler — die Aufführung dennoch
vor sich gehen.
Beifallssturm — Sympathiegetrampel. Und jetzt
konnte nach Frau Eysoldt der Dichter zu Worte
kommen. Schnitzlers „Reigen — vor langen Jahren
— ist wohl kaum irgendwo be¬
bereits erschienen
reits zur Aufführung gelangt. Auch Schnitzler hat
wohl nicht daran gedacht, diese zehn Dialoge jemals
Aber für unsere modernen
auf der Bühne zu sehen.
im „Reigen“ bewährte sich
Inszenierungsmacher —
gibt es, auch ohne Dreh¬
Hubert Reusch
bühne, keine Unmöglichkeiten mehr. Und so werden
Dialoge und Handlungsfetzen, denen sich das Theater
bisher aus technischen, oft auch aus künstlerischen
Gründen verschlossen hat, einem hochwohllöblichen
Publikum vorgeführt.
zwanzig Minuten Geplauder
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Vorhang hoch
chneller Wechsel der kargen De¬
Vorhang runter
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Ein Spiel, das
Bett — Vorhang hoch — weiter
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im „Reigen“ in knapp zwei Stunden abschnurrte
Unter dem Beifall des anscheinend sehr befriedigten
und amüsierten Auditoriums.
Die Anfangs= und Schlußgestalt dieser Dialog¬
serie bildet die Dirne. Und von der Dirne schlingt
sich der Liebesreigen über den Soldaten, das Stuben¬
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Ehemann, das süße Mädel, die Schauspielerin und den
Dichter bis zum Grafen, der wiederum bei der Dirne
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Marke: Ins rarische gehobene Folies Caprice!
Durchgeistigte #olitäten in Wiener Parfumierung,
die einen Teil von Schnitzlers Geistesschaffen bilden.
Erfreulicherweise nur einen Bruchteil. Immer¬
hin, auch diese, aufs ganze gehenden Liebeleien sint
mit zarten Schnitzlerstrichen gezeichnet. Liebens¬
lich keine Ursache, sich zu entrüsten. Das flattert
behende vorüber, von Bild zu Bild, dieses sexuelle
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Bemühen des Mannes um die Frau und seine.
24.12.1920:
Soi lmer Bütseh Beuug, Gerdie
Mergenausgabe
mmer nur seine Ernüchterung nach dem Liebes¬
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Den Schauspielern bietet die Dialogfolge keine
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ezent zu plaudern. Gleichsam über das Thema
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prachen sie alle dieser Forderung: Else Bäck,
kurt Götz und Viktor Schwanneke, die sich
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Poldi Müller, Blanche Dergan — sie gab
die Schauspielerin mit amüsanter Betonung des Ko¬
und Robert Forster=Lar¬
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rinaga. Dieser hatte auch eine Musik geschrieben,
die als Lückenbüßerin beim Szenenwechsel gedacht
war, sich aber als überflüssig erwies.
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