II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 676

box 18/1
11. Reigen
Der verbotene „Reigen“.
Das Kleine Schauspielhaus in der Fasanenstraße hatte
für gestern abend die Erstaufführung von Arthur Schnitzlers
„Reigen“ angekündigt. Mittags wurde ein hehötdliches Verbot
der Vorstellung mitgeteilt — bei Androhunt seiner Strafe von
echs Wochen Haft im Fall der Zuwiderhandluyt. Am Abend
hat die Aufführung trotzdem stattgefunden: Frau Eysoldt, die
Leiterin des Theaters, erschien vor dem Vorhäng, teilte den
Tatbestand mit und erklärte, daß man trotz des Yerbots spielen
wolle.
Polizeiliche Verbote der Aufführung eines Dramas, hinter
denen als Verfasser ein Mann von dem literarischen Ruf
Arthur Schnitzlers steht, haben immer ihr Mißliches. Hier
liegt die Sache aber doch so daß sie nicht so ohne weiteres
mit Für oder Wider zu entscheiden ist, selbst ganz abgesehen
davon, daß der Einspruch zunächst von der Hochschule für
Musik, der Eigentümerin des Theaters, erhoben worden ist.
Schnitzlers „Reigen“ liegt seit mehr als zwanzig Jahren ge¬
druckt vor: der Dichter selbst hat aber bisher aus einem sehr
richtigen Gefühl heraus jede öffentliche Aufführung des Werkes
untersagt. Szenen, Dialoge vor und nach dem letzten Liebes¬
erlebnis zwischen je zwei Menschen von denen der eine in der
nächsten Szene mit einem neuen Gegenüber das Thema neu
variiert — sie mögen als Literatur ihren Reiz haben: ihre
Aufführung, im Theater bringt sie aber vor Kreise, die, Hand
aufs Herz, keineswegs um dieser Qualitäten willen die Vor¬
stellung besuchen. Schnitzler selbst hatte ein ganz richtiges
Empfinden dafür, als er öffentliche Aufführungen bisher
so
untersagte. Wenn er dies Verbot jetzt zurückgezogen hat,
ist das menschlich begreiflich aus der drückenden Lage heraus,
in der die Wiener Schriftsteller heute leben. Er wird damit
entlastet nicht aber das Theater. Denn es gibt viele andere
und bessere Stücke von Schnitzler, die man aufführen konnte,
wenn man ihm helfen wollte. Um so mehr, als die Ver¬
bietenden sich hier auf den Verfasser selbst und seine frühere
Haltung berufen können. Es wäre etwas ganz anderes wenn
es sich um ein wesentliches Hauptwerk eines Schaffenden
handelte, dem mit der Nichtaufführung als Mensch und
Dichter schweres Unrecht geschähe. Das aber ist hier nicht
der Fall — das Theater hat nur einen Mann, der selbst ge¬
chmackvoll genug war, bisher dieses Werk auf die Wenigen
zu beschränken, in eine peinliche Situation gebracht. Was bei
einiger Ueberlegung und einem starken Verantwortlichkeitsge¬
fühl gegenüber dem Ganzen zu vermeiden gewesen wäre.
Wie wir hören, will die Leitung der Hochschule für Musik
über die Gründe, die sie zu ihrem Einspruch veranlaßt haben,
selbst noch eine Erklärung abgeben
24. 12.1920
Destsche allgemeine Zeitung.
Berliner Universität und olitik. Für politische Ver¬
sammlungen und Vorträge in der B eliner Universität hat soeben der
Universitätssenat einen Beschluß gefo t, der die ganze, der Ordnung
in der Universität schon einmal gefährlich gewordene Frage neu regelt.
Politische Versammlungen irgendwelcher Art dürfen in den Universitäts¬
Wissen¬
räumen, so beginnt der Senatsbeschluß, nicht stattfinden.
schaftliche Vorträge über politische Gegenstände in den Räumen der
Universität können genehmigt werden, wenn die Vortragenden dem
Lehrkörper der Hochschule angehören oder als Studierende an einer
Universität immatrikuliert sind oder wenn sich für die Wissenschaft¬
lichkeit des Vortragenden Mitglieder des Lehrkörpers der Berliner
Universität verbürgen. An Versammlungen studentischer Vereine und
Gruppen in Universitätsräumen, mögen die Versammlungen politisch
oder nicht politisch sein, dürfen nur Angehörige der Universität teil¬
nehmen. Studentische Vereine und Gruppen dürfen an ihren Ver¬
ammlungen, in denen politische Gegenstände behandelt werden, nur
hre Mitglieder, nicht andere Studierende oder die Gesamtheit der
Studentenschaft einladen. Alle Versammlungen studentischer Vereine
und Gruppen in den Räumen der Universität bedürfen der Genehmi¬
gung des Rektors. Die Bekanntmachungen und Anschläge über
olche Versammlungen sind vorher dem Rektor zur Genehmigung
vorzulegen.
Schluß der Friedmann=Debatte. In der Berliner
medizinischen Gesellschaft wurde in der letzten Sitzung
vor Weihnachten die lange Reibe der Diskussionsredner über die
Vertreter beider
Tuberkulosebehandlung nach Friedmann beendet.
Richtungen kamen noch einmal zum Wort (Unverricht, Engels, Kausch,
Fritz Meyer, Kraus. Fritz Schlesinger, Jungmann, Pionkowskt,
Bergell, Palmié, Rosenthal, Wossidlo); eine Einigung wurde nicht
erreicht. Immerhin hat es den Anschein, als ob die Mehrzahl der
Kliniter, die ibre Fälle mit allen Hilfsmitteln der modernen
Diagnostik untersucht und längere Zeit beobachtet haben, dem Mittel
den Wert eines Schütz= und Hellmittels nicht zusprechen können.
Trotzdem ist man, wie Fr. Kraus, der Direktor der II. medizinischen
Klinik an der Berliner Universität, bemerkte, verpflichtet, das Mittel
weiter zu prüfen, um ein endgültiges Urteil über seine Wirkung zu
ermöglichen. Diesem Zweck soll ja auch die vom Ausschuß der
preußischen Landesversammlung auf Anregung des Ministers ernannte
Kommission dienen, der sich aus berufenen Vertretern der theore¬
tichen und praktischen Mebizin, Anhängern und Gegnern des Fried¬
mannschen Mittels, zusammensetzt. Ihrem — hoffentlich endgültigen
und nur sachlichen — Urteil wird man in absehbarer Zeit entgegen¬
G. W.
sehen müssen.
Bode kommissarischer Direktor des Kaiser=Friedrich¬
Museums. Wilhelm von Bode, der am 1. Oktober seinen Posten
als Generaldirektor der preußischen Kunstsammlungen in die Hände
Otto von Falkes gelegt hat, übernahm nunmehr, um mit seiner Lieb¬
ingsschöpfung in Verbindung zu bleiben, das neugeschaffene Amt
eines kommissarischen Direktors des Kaiser=Friedrich=Museums.
Die Juryfreie Kunstschau im Landesausstellungsgebäude am
Lehrter Bahnhof ist bis einschließlich 2. Januar 1921 verlängert
worden und auch während der Weihnachtsfeiertage täglich von 10 bis
4 Uhr geöffnet.