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igen
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Schnitzlers. „Reigen“ im Kleinen Schauspiethau
Im Kleinen Schauspielhause ist gestern abend Schnitzle
„Reigen“ unter den erstaunlichsten Umständen gespielt worde
Das Werk, das vor 20 Jahren erschienen und in etwa 75 (
Exemplaren verbreitet ist, konnte bisher, gegen die Absicht
Dichters, nicht aufgeführt werden, weil die Polizei es „unsittli
fand. Inzwischen haben wir aber eine Revolution erlebt,
zwar die Zensur abgeschafft und dies sogar in der Verfassu
(Artikel 118) festgesetzt hat, die aber auch, ein Unglück kom
selten allein, Herrn Haenisch direkt von der Bierbank und aus
Gartenlaube ins Kultusministerium gebracht hat. Und infol
dessen ist es nun erreicht, daß die Polizei nicht mehr die Bet
der Dichter durchschnüffelt, ob dort etwas Verbotenes liegen
blieben ist, Herr Haenisch aber die Gerichte aufruft, die A
führung des „Reigen“ zu verbieten, gegen den die Berliner Poli
vernünftiger Weise nichts mehr einzuwenden hat.
Jeder, der die deutschen Gesetze kennt, wird nun voll Neug
fragen, wie der Haenisch es fertig gebracht hat, sich vor den Ri
tern als berufen zu seiner Verbotsbitte zu legitimieren. Das 1
nun nicht so schwer. Gibt es doch nicht nur Richter, sondern a
Rechtsanwälte und Geheimräte in Berlin. Und die alle
sammen knobelten aus, daß das Theater, in dem dieses Schand
gespielt werden soll, im Gelände der Staatlichen Musikhochsch
liegt, daß die Musikhochschule dem preußischen Kultusmini
untersteht und daß das Theater einen Pachtvertrag mit der hol
Behörde geschlossen hat (vor der Revolution), laut dem es ke
Werke aufführen darf, die das religiöse, moralische, sittliche Ge
verletzen. (Das monarchische Gefühl ist nicht extra erwähnt,
selbstverständlich miteingeschlossen.) So hatte denn das Kult
ministerium die Möglichkeit, dem Richter zu sagen: Schnitz
„Reigen“ ist ein Stück, das aus zehl Szenen besteht. Jede Sz
endet im Liebesbett, nur eine im Ehebett. Die Aufführung die
Schmutzstückes stellt einen Vertragsbruch dar (Stürmi
langanhaltende Heiterkeit), das Gericht hat daher durch einstr
lige Verfügung diesen Vertragsbruch zu verhindern.
Vor Beginn der gestern angesetzten Aufführung trat Gertr
Eysoldt vor den Vorhang und stellte den Fall kurz dar. Nach il
Ansicht handelt es sich um nichts anderes, als um den Versuch
Behörde, das Theater herauszuschmeißen und den Saal, der
Schulzwocke gebraucht wird, freizubekommen. Das Kul
ministerium hat nichts getan, um sich vom Charakter des Stü
und der Aufführung zu überzeugen. Es hat, trotz wiederh#
Bitte des Theaters, es nicht der Mühe wert gefunden, eine Pr
oder die Generalprobe zu besuchen. Es hat dagegen bei Ge¬
erreicht, daß die Eysoldt und ihr Mitdirektor für jede Aufführ
es Stückes mit je 6 Wochen Gefängnis bestraft werden
lso schon für die Erstaufführung mit 12 Wochen.
Hat man eine solche Schamlosigkeit schon erlebt? Die düm
md eisenstirnigsten Mucker haben mit solchen Mitteln der
enannten „Schmutz“ in der Kunst niemals bekämpft. Das
inem rechtssozialistischen Kultusminister vorbehalten.
Ein einziger Ruf des Unwillens ging durch den Saal. Er
dandelte sich in stürmischen Beifall, als Frau Eysoldt erk
er Vorhang wird heute abend trotzdem in die Höhe gehen
Der Vorhang ging in die Höhe, es wurde gespielt. Es
in nach mehreren Szenen starker und reiner Erfolg des Did
die seelische Zartheit des Werkchens wurde durch die Auffül
berhaupt erst entdeckt, obwohl gerade die Frauenrollen
hwach gespielt wurden.
Schnitzler hat seit gut zehn Jahren nichts mehr von B
eschrieben. Der „Reigen“ ist eins seiner besten, sein eige
Ver Es hat nicht seinesgleichen in der deutschen Literatur.
s hat ein Recht auf die Bühne, auf die es den Liebeselkt b
wie „Romeo und Julia“, „Die Walküre“ „Die Büch
estimmten Gesellschaft in einem Liebesreigen dar, der sich
lle Klassen schlingt, Paar folgt auf Paar, indem sich jedes
nd die eine Hälfte einer neuen zueilt. Durch alke Szenen
ine vernehmliche Skepsis — der Mann ist stets der schlechtere.
iese Weise „erzieht“ die Dichtung sogar den Mann. Was
in Kultusminister nicht zu merken braucht.)
So wie der „Vorwärts“ alle Schritte Noskes verteidigt
hützt er jetzt Haenisch. Er findet kein Wort des Tadels dafür
in Mietsvertrag (!) zur Begründung eines Verbots einer
ung vorgeschoben wird. Für das Verbot selbst hat er sogar
ändnis. Er meint, daß „die zum Teil krassen Szenen best
icht Paradestücke (!) der Bühne sind. Man führt auch Are
dialoge nicht auf.“ Paradestücke zum Parteitag hat Schi
ewiß nicht geschrieben. Der Vergleich mit dem Italiener
no beweist dagegen, daß die Kenntnis von Aretino und
schnitzler beim betreffenden Redakteur gleich gering ist. Wä
ämlich Aretino der größte Zotendichter aller Zeiten ist,
sialoge zum Teil krasse Anleitungen zu Perversionen enthi
nd Schnitzlers Dialoge zarte Charakteristiken, in denen die
hen mehr als die Ereignisse von Bedeutung sind. Der Ver
tit Aretino hat daher nur den Zweck, das Verbot „sittlic
echtfertigen.
Ob Herr Haenisch Frau Eysoldt einsperren wird, wollen
bwarten. Aber das Gerücht davon möchten wir doch er
kur um lesen zu können, wie der „Vorwärts“ auch das noch
idigen wird.
u Aie Has use P
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Schnitzlers. „Reigen“ im Kleinen Schauspiethau
Im Kleinen Schauspielhause ist gestern abend Schnitzle
„Reigen“ unter den erstaunlichsten Umständen gespielt worde
Das Werk, das vor 20 Jahren erschienen und in etwa 75 (
Exemplaren verbreitet ist, konnte bisher, gegen die Absicht
Dichters, nicht aufgeführt werden, weil die Polizei es „unsittli
fand. Inzwischen haben wir aber eine Revolution erlebt,
zwar die Zensur abgeschafft und dies sogar in der Verfassu
(Artikel 118) festgesetzt hat, die aber auch, ein Unglück kom
selten allein, Herrn Haenisch direkt von der Bierbank und aus
Gartenlaube ins Kultusministerium gebracht hat. Und infol
dessen ist es nun erreicht, daß die Polizei nicht mehr die Bet
der Dichter durchschnüffelt, ob dort etwas Verbotenes liegen
blieben ist, Herr Haenisch aber die Gerichte aufruft, die A
führung des „Reigen“ zu verbieten, gegen den die Berliner Poli
vernünftiger Weise nichts mehr einzuwenden hat.
Jeder, der die deutschen Gesetze kennt, wird nun voll Neug
fragen, wie der Haenisch es fertig gebracht hat, sich vor den Ri
tern als berufen zu seiner Verbotsbitte zu legitimieren. Das 1
nun nicht so schwer. Gibt es doch nicht nur Richter, sondern a
Rechtsanwälte und Geheimräte in Berlin. Und die alle
sammen knobelten aus, daß das Theater, in dem dieses Schand
gespielt werden soll, im Gelände der Staatlichen Musikhochsch
liegt, daß die Musikhochschule dem preußischen Kultusmini
untersteht und daß das Theater einen Pachtvertrag mit der hol
Behörde geschlossen hat (vor der Revolution), laut dem es ke
Werke aufführen darf, die das religiöse, moralische, sittliche Ge
verletzen. (Das monarchische Gefühl ist nicht extra erwähnt,
selbstverständlich miteingeschlossen.) So hatte denn das Kult
ministerium die Möglichkeit, dem Richter zu sagen: Schnitz
„Reigen“ ist ein Stück, das aus zehl Szenen besteht. Jede Sz
endet im Liebesbett, nur eine im Ehebett. Die Aufführung die
Schmutzstückes stellt einen Vertragsbruch dar (Stürmi
langanhaltende Heiterkeit), das Gericht hat daher durch einstr
lige Verfügung diesen Vertragsbruch zu verhindern.
Vor Beginn der gestern angesetzten Aufführung trat Gertr
Eysoldt vor den Vorhang und stellte den Fall kurz dar. Nach il
Ansicht handelt es sich um nichts anderes, als um den Versuch
Behörde, das Theater herauszuschmeißen und den Saal, der
Schulzwocke gebraucht wird, freizubekommen. Das Kul
ministerium hat nichts getan, um sich vom Charakter des Stü
und der Aufführung zu überzeugen. Es hat, trotz wiederh#
Bitte des Theaters, es nicht der Mühe wert gefunden, eine Pr
oder die Generalprobe zu besuchen. Es hat dagegen bei Ge¬
erreicht, daß die Eysoldt und ihr Mitdirektor für jede Aufführ
es Stückes mit je 6 Wochen Gefängnis bestraft werden
lso schon für die Erstaufführung mit 12 Wochen.
Hat man eine solche Schamlosigkeit schon erlebt? Die düm
md eisenstirnigsten Mucker haben mit solchen Mitteln der
enannten „Schmutz“ in der Kunst niemals bekämpft. Das
inem rechtssozialistischen Kultusminister vorbehalten.
Ein einziger Ruf des Unwillens ging durch den Saal. Er
dandelte sich in stürmischen Beifall, als Frau Eysoldt erk
er Vorhang wird heute abend trotzdem in die Höhe gehen
Der Vorhang ging in die Höhe, es wurde gespielt. Es
in nach mehreren Szenen starker und reiner Erfolg des Did
die seelische Zartheit des Werkchens wurde durch die Auffül
berhaupt erst entdeckt, obwohl gerade die Frauenrollen
hwach gespielt wurden.
Schnitzler hat seit gut zehn Jahren nichts mehr von B
eschrieben. Der „Reigen“ ist eins seiner besten, sein eige
Ver Es hat nicht seinesgleichen in der deutschen Literatur.
s hat ein Recht auf die Bühne, auf die es den Liebeselkt b
wie „Romeo und Julia“, „Die Walküre“ „Die Büch
estimmten Gesellschaft in einem Liebesreigen dar, der sich
lle Klassen schlingt, Paar folgt auf Paar, indem sich jedes
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iese Weise „erzieht“ die Dichtung sogar den Mann. Was
in Kultusminister nicht zu merken braucht.)
So wie der „Vorwärts“ alle Schritte Noskes verteidigt
hützt er jetzt Haenisch. Er findet kein Wort des Tadels dafür
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dialoge nicht auf.“ Paradestücke zum Parteitag hat Schi
ewiß nicht geschrieben. Der Vergleich mit dem Italiener
no beweist dagegen, daß die Kenntnis von Aretino und
schnitzler beim betreffenden Redakteur gleich gering ist. Wä
ämlich Aretino der größte Zotendichter aller Zeiten ist,
sialoge zum Teil krasse Anleitungen zu Perversionen enthi
nd Schnitzlers Dialoge zarte Charakteristiken, in denen die
hen mehr als die Ereignisse von Bedeutung sind. Der Ver
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Ob Herr Haenisch Frau Eysoldt einsperren wird, wollen
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