R
11. Bigen
box 18/1
Kleines Schauspielhaus.
„Reigen“, zehn Dialoge von Arthur
Schnitzler.
Dialoge im Buch das vör Ihr und Tag er¬
schien, beschlagnahmt und für junzüchtig erklärt
purde — was nicht hinderte, diß es leise weiter
von Hand zu Hand ging und mindestens ebenso vie
Liebe fand, wie es, bei Dunkelmännern, Abscheu
erregte. Nun auf der Bühne Szenen, Bildchen
aus dem Neben, wie es Schnitzler sah: Wien um
1900, leichtsinnig, spielerisch, frivol, und immer
etwas müde. All die Lieblingsgestalten des „Ana¬
tol,=Dichters treten auf: das süße Mädel, der
junge Herr, der Dichter, die Schauspielerin, die
junge Frau, der Graf, die Dirne. Und etliche
andere dazu. Und schließen sich, frei nach Casa¬
nova (den Schnitzler ja gut kennt), zu einem
Reigen zusammen, der in der Dirne Anfang und
Ende hat.
Das ist mit jenem tändelnden Esprit erzählt, der
nur Schnitzler eignet. Eine Komödie der Worte,
ein Zwischenspiel, eine Liebelei in zehn aparte hin¬
gehauchten Szenen. Kunst, so leicht, so flüchtig, so
prickelnd wie Sektschaum. Dest von Veilchen, die
schon leise welken. Erinnerung an ferne Aben¬
teuer. Nur ab und zu mischt sich ein strengeres
Parfüm ein: wenn aus dem Spiel der Worte Taten
werden, das Bett in Aktion tritt. Oder der
Diwan. Und darauf sind ja diese schillernden
Szenen alle zugespitzt. Das ist es, was sie verbindet
und die Menschen dieser Szenen zum Reigen ordnet
Aber selbst das Gewagteste dämpft die schmerzliche
Melancholie, die über das Ganze gebreitet ist, die
leise Tragik, in die all diese Menschen unbewußt
verstrickt sind. Denn immer klingt, wenn auch
unausgesprochen, als Refrain das müde Wort
C. F. Meyers: „Und alles war ein Spiel“.
Ist so das Leben? Die einen sagen: Ja, die
andern: Nein. Es ist Ansichtssache. Jedenfalls ist
das nicht eingetreten, was man doch, als man
0
C
von der geplanten Aufführung hörte, befürchten
konnte: daß die Bühne diese Szenen vergröbern,
ihnen ihren Duft und Schmelz nehmen würde.
Sie hat ihnen beides gewahrt. Selbst da, wo dann
der Vorhang fiel. Und er fiel zehnmal. Die Worte,
leicht wie Bälle, von Mund zu Mund geworfen,
funkelten, der Wiener Dialekt, schon an sich ein¬
chmeichelnde Musik, tat ein Uebriges, und wirkliche
Musik, von Robert Forster=Larrinaga sehr
übsch aus bekannten Motiven zusammengestellt,
schuf das Gefühlsklima, aus dem heraus Schnitzler
en „Reigen“ gedichtet. Dazu der etwas kokette
Rahmen, den Ernst Stern mit seinen graziösen
Dekorationen um das Ganze gespannt.
Die Darstellung ungleich. Immerhin: eine
Menge hübscher Frauen, von denen die Schauspie¬
lerin der Blanche Dergan, die junge Frau der
Magda Mohr sogar mehr als nur hübsch waren.
Und von den Herren hatten eigene Note der junge
Herr des Kurt Götz, der Dichter des Karl Etlin¬
ger, der Graf Robert Forster=Larrinagas.
Alle aber sehr fein und diskret von Hubert Reusch,
dem Spielleiter, auf das spezifisch Schnitzlerische ein¬
gestellt.
Prolog und Epilog, improvisiert, wie es die selt¬
amen Umstände erheischten, von Gertrud Ey¬
soldt, die für ihre Klage bereites Echo fand.
Keinerlei Skandal, wie mancher wohl erhofft. Nicht
einmal ein einziger Zischlaut. Nur einmütiger
Beifall. Ein hübscher Ausklang des hübschen
bends, der ja auch nicht für halbwüchsige Jugend
bestimmt war. Die allerdings hat hier auch nichts
zu suchen.
Ludwig Sternaux.
H Im Meistersaale trat dieser Tage vor
einem gewählten Auditorium Hellmut Schlü¬
ter mit eigenen Dichtungen und Kompositionen
auf. Kein hypermoderner „Ismus“ — dafür aber
ein frischer Sänger, ein Künstler der guten Art
und ein unleugbar starkes Talent. Die Dichtun¬
gen getragen von zugkräftigem Idealismuz und
doch von gesundem Wirklichkeitssinn. Besonders
tief wurde die schöne Dichtung „Tannenberg“ vom
11. Bigen
box 18/1
Kleines Schauspielhaus.
„Reigen“, zehn Dialoge von Arthur
Schnitzler.
Dialoge im Buch das vör Ihr und Tag er¬
schien, beschlagnahmt und für junzüchtig erklärt
purde — was nicht hinderte, diß es leise weiter
von Hand zu Hand ging und mindestens ebenso vie
Liebe fand, wie es, bei Dunkelmännern, Abscheu
erregte. Nun auf der Bühne Szenen, Bildchen
aus dem Neben, wie es Schnitzler sah: Wien um
1900, leichtsinnig, spielerisch, frivol, und immer
etwas müde. All die Lieblingsgestalten des „Ana¬
tol,=Dichters treten auf: das süße Mädel, der
junge Herr, der Dichter, die Schauspielerin, die
junge Frau, der Graf, die Dirne. Und etliche
andere dazu. Und schließen sich, frei nach Casa¬
nova (den Schnitzler ja gut kennt), zu einem
Reigen zusammen, der in der Dirne Anfang und
Ende hat.
Das ist mit jenem tändelnden Esprit erzählt, der
nur Schnitzler eignet. Eine Komödie der Worte,
ein Zwischenspiel, eine Liebelei in zehn aparte hin¬
gehauchten Szenen. Kunst, so leicht, so flüchtig, so
prickelnd wie Sektschaum. Dest von Veilchen, die
schon leise welken. Erinnerung an ferne Aben¬
teuer. Nur ab und zu mischt sich ein strengeres
Parfüm ein: wenn aus dem Spiel der Worte Taten
werden, das Bett in Aktion tritt. Oder der
Diwan. Und darauf sind ja diese schillernden
Szenen alle zugespitzt. Das ist es, was sie verbindet
und die Menschen dieser Szenen zum Reigen ordnet
Aber selbst das Gewagteste dämpft die schmerzliche
Melancholie, die über das Ganze gebreitet ist, die
leise Tragik, in die all diese Menschen unbewußt
verstrickt sind. Denn immer klingt, wenn auch
unausgesprochen, als Refrain das müde Wort
C. F. Meyers: „Und alles war ein Spiel“.
Ist so das Leben? Die einen sagen: Ja, die
andern: Nein. Es ist Ansichtssache. Jedenfalls ist
das nicht eingetreten, was man doch, als man
0
C
von der geplanten Aufführung hörte, befürchten
konnte: daß die Bühne diese Szenen vergröbern,
ihnen ihren Duft und Schmelz nehmen würde.
Sie hat ihnen beides gewahrt. Selbst da, wo dann
der Vorhang fiel. Und er fiel zehnmal. Die Worte,
leicht wie Bälle, von Mund zu Mund geworfen,
funkelten, der Wiener Dialekt, schon an sich ein¬
chmeichelnde Musik, tat ein Uebriges, und wirkliche
Musik, von Robert Forster=Larrinaga sehr
übsch aus bekannten Motiven zusammengestellt,
schuf das Gefühlsklima, aus dem heraus Schnitzler
en „Reigen“ gedichtet. Dazu der etwas kokette
Rahmen, den Ernst Stern mit seinen graziösen
Dekorationen um das Ganze gespannt.
Die Darstellung ungleich. Immerhin: eine
Menge hübscher Frauen, von denen die Schauspie¬
lerin der Blanche Dergan, die junge Frau der
Magda Mohr sogar mehr als nur hübsch waren.
Und von den Herren hatten eigene Note der junge
Herr des Kurt Götz, der Dichter des Karl Etlin¬
ger, der Graf Robert Forster=Larrinagas.
Alle aber sehr fein und diskret von Hubert Reusch,
dem Spielleiter, auf das spezifisch Schnitzlerische ein¬
gestellt.
Prolog und Epilog, improvisiert, wie es die selt¬
amen Umstände erheischten, von Gertrud Ey¬
soldt, die für ihre Klage bereites Echo fand.
Keinerlei Skandal, wie mancher wohl erhofft. Nicht
einmal ein einziger Zischlaut. Nur einmütiger
Beifall. Ein hübscher Ausklang des hübschen
bends, der ja auch nicht für halbwüchsige Jugend
bestimmt war. Die allerdings hat hier auch nichts
zu suchen.
Ludwig Sternaux.
H Im Meistersaale trat dieser Tage vor
einem gewählten Auditorium Hellmut Schlü¬
ter mit eigenen Dichtungen und Kompositionen
auf. Kein hypermoderner „Ismus“ — dafür aber
ein frischer Sänger, ein Künstler der guten Art
und ein unleugbar starkes Talent. Die Dichtun¬
gen getragen von zugkräftigem Idealismuz und
doch von gesundem Wirklichkeitssinn. Besonders
tief wurde die schöne Dichtung „Tannenberg“ vom