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11. Reigen
Erklärung Franz Schrekers zum „Neigen“=Perbos.
Zu den Erörterungen über die Aufführung von Artur
Schnitlers „Reigen“ wird uns vom Ditektor der Ara¬
Bemischen Hochschule für Musik mitgeteilt: „Bei der Er¬
wirkung der einstweiligen Verfügung, nach der die Aufführung un¬
tersagt wurde, waren lediglich die Interessen der mir anvertrauten
Anstalt maßgebend. Der Charakter des Hauses als staatliche
Schulgebäude ist im Vertrage mit Frau Eysoldt besonder
berücksichtigt, da die in § 1 enthaltene erste Bedingung des Ver¬
trages Stücke ausschließt, die in sittlicher, religiöser, politischer oder
künstlerischer Hinsicht Anstoß erregen. Dazu hat Frau Eysoldt bei
Verhandlungen über den Vertrag, als es sich um dessen Anerkennung
handelte, wiederholt und feierlichst zugesichert, daß ihre Direktions
führung von den Theatern eine staatliche und künstlerische Er¬
ziehungsanstalt höchsten Ranges schaffen würde, deren Leistungen
nicht nur für die Studierenden der Musikhochschule, sondern für bie
gesamte Jugend vorbildlich werden würden. Nur so ließen si
die für das Theater ungewöhnlich günstigen Vertragsbedingunge
rechtfertigen. Frau Eysoldt hat denn auch den Studierenden des¬
Hochschule ermäßigte Eintriktskarten bewilligt. Tatsächlich ergal
sich, daß für die Direktionsführung im Gegensatz zu den gemachte#
Zusicherungen geschäftliche Tendenzen maßgebend waren und
sind. Diesen Tendenzen gegenüber habe ich pflichtgemäß meine
Haus= und Vertragsrechte und die Schulinteressen gewahrt, wie ich
dus auch weiter tun werde. Mit Zensur= und Polizeima߬
nahmen hat mein Vorgehen nichts zu tun.“ Damit wird die von
anderer Seite gebrachte Meldung hinfällig, daß das Kultusmini¬
sterium seinen Einspruch zurückgezogen habe. Der Bühnenver¬
ein, der von der bedrohten Direktion Sladek=Eysoldt um ein
Einschreiten ersucht wurde, hat mit der Ausarbeitung seines Gut¬
achtens den Theaterkritiker der „Vossischen Zeitung“, Professor Dr.
Alfred Klaar betraut. Professor Klaar spricht dem Schnitzler¬
schen Zyklus jeden unzüchtigen Charakter ab; er sieht in ihm eine
Satire auf Sienenrausch, Selbstbetrug und Heuchelei von eher als
schreckender #ls aufreizender Tendenz.
Weihnachtsstreik an den Berliner Obenettenbühnen V.
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin HO. 43, Georgenkirchplatz 21
20
Die rote Fahne
Zeitung.
Berlin
Ort:
7 10
Datum:
„Reigen“
von Arthur Schnitzler.
Erstaufführung im Kleinen Schauspielhaus:
Eine Blamage des Kultusministeriums. Und das
kam so. Gertrud Eysold, die Direktion, trat vor den
Vorhang und teilte mit, daß das Landgericht 3 vor drei
Stunden, unter Androhung von sechs Wochen Haft für
die zwei Direktoren Eysold und Sladek, die Aufführung
des Stückes verboien habe. Und das im Auftrage des
Kultusministeriums, an dessen Spitze bekanntlich Kon¬
rad Haenisch steht, der sich noch immer Sozialdemokrat
iennt. Formell hatte sich das Kultusministerium hin¬
ter einen Paragraphen des Pachtvertrages gesteckt, wo¬
nach der Theaterdirektion verhoten ist, im Hause der
Hochschule für Musik politische, religiöse und unzüchtige
Stücke auszuführen. Und um ein unzüchtiges Stück sollte
es sich diesmal handeln. Als solches wurde es vom Kul¬
tusministerium empfunden und zur Reitung von Zucht
und Sitte setzte es das Landgericht 3 in Bewegung. Mit
demonstrativem Beifall wurde die Erklärung der Direk¬
tion entgegengenommen, daß trotz der angedrohten sechs
Wochen Haft der Vorhang aufgehen werde. Es gelie der
Freiheit des Theaters und dem Recht des Dichters.
Und so begann das Spiel. Zu den sechs Wochen
Haft dürfte es kaum kommen, denn der „Reigen“ wurde
von der Direktion in so dezenter Weise auf die Bühne
gestellt, daß nicht einmal eine Pastorentochter hätte zu
erröten brauchen. Und die sollen doch das Muster der
Züchtigkeit sein. Leider war auf die Vertretung
der
weiblichen Rollen nicht das Gewicht gelegt worden, wie
auf die der männlichen, sodaß von den Schnitzlerschen
Geistreicheleien viel verloren ging.
Der „Reigen“ besteht aus zehn aneinandergereihten
Gesprächen zwischen Liebespärchen der verschiedensten Ge¬
sellschaftsklassen. Gesprächen, die unmittelbar vor und
nach dem Geschlechtsakt geführt werden. Aber bei diesen
Gesprächen handelt es sich nicht etwa wie bei Wedekind
und Strindberg um die Erörterung ernster Geschlechts¬
probleme, nicht um den Kampf zwischen den Geschlech¬
tern, sondern um Tändeleien, um erotische Spielereien,
wobei der Zerfall der bürgerlichen Moral und die er¬
bärmliche Rolle, die die bürgerliche Gesellschaftsordnung
„Reigen“ beginnt mit der Dirne und endet mit ihr. Da
Probleme nicht erörtert werden, so lohnt sich eine Aus¬
einandersetzung mit dem Inhalt des Stückes nicht.
Die Aufführung war gut und wurde von dem „erst¬
lissigen“ Publikum mit starkem Beifall aufgenommen,
odaß am Schlusse die Direktion ihren Dank für die „Un¬
terstützung“ ihres Kampfes gegen das Kultusministerium
abstatten konnte, das um eine Blamage reicher ist. wp.
11. Reigen
Erklärung Franz Schrekers zum „Neigen“=Perbos.
Zu den Erörterungen über die Aufführung von Artur
Schnitlers „Reigen“ wird uns vom Ditektor der Ara¬
Bemischen Hochschule für Musik mitgeteilt: „Bei der Er¬
wirkung der einstweiligen Verfügung, nach der die Aufführung un¬
tersagt wurde, waren lediglich die Interessen der mir anvertrauten
Anstalt maßgebend. Der Charakter des Hauses als staatliche
Schulgebäude ist im Vertrage mit Frau Eysoldt besonder
berücksichtigt, da die in § 1 enthaltene erste Bedingung des Ver¬
trages Stücke ausschließt, die in sittlicher, religiöser, politischer oder
künstlerischer Hinsicht Anstoß erregen. Dazu hat Frau Eysoldt bei
Verhandlungen über den Vertrag, als es sich um dessen Anerkennung
handelte, wiederholt und feierlichst zugesichert, daß ihre Direktions
führung von den Theatern eine staatliche und künstlerische Er¬
ziehungsanstalt höchsten Ranges schaffen würde, deren Leistungen
nicht nur für die Studierenden der Musikhochschule, sondern für bie
gesamte Jugend vorbildlich werden würden. Nur so ließen si
die für das Theater ungewöhnlich günstigen Vertragsbedingunge
rechtfertigen. Frau Eysoldt hat denn auch den Studierenden des¬
Hochschule ermäßigte Eintriktskarten bewilligt. Tatsächlich ergal
sich, daß für die Direktionsführung im Gegensatz zu den gemachte#
Zusicherungen geschäftliche Tendenzen maßgebend waren und
sind. Diesen Tendenzen gegenüber habe ich pflichtgemäß meine
Haus= und Vertragsrechte und die Schulinteressen gewahrt, wie ich
dus auch weiter tun werde. Mit Zensur= und Polizeima߬
nahmen hat mein Vorgehen nichts zu tun.“ Damit wird die von
anderer Seite gebrachte Meldung hinfällig, daß das Kultusmini¬
sterium seinen Einspruch zurückgezogen habe. Der Bühnenver¬
ein, der von der bedrohten Direktion Sladek=Eysoldt um ein
Einschreiten ersucht wurde, hat mit der Ausarbeitung seines Gut¬
achtens den Theaterkritiker der „Vossischen Zeitung“, Professor Dr.
Alfred Klaar betraut. Professor Klaar spricht dem Schnitzler¬
schen Zyklus jeden unzüchtigen Charakter ab; er sieht in ihm eine
Satire auf Sienenrausch, Selbstbetrug und Heuchelei von eher als
schreckender #ls aufreizender Tendenz.
Weihnachtsstreik an den Berliner Obenettenbühnen V.
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin HO. 43, Georgenkirchplatz 21
20
Die rote Fahne
Zeitung.
Berlin
Ort:
7 10
Datum:
„Reigen“
von Arthur Schnitzler.
Erstaufführung im Kleinen Schauspielhaus:
Eine Blamage des Kultusministeriums. Und das
kam so. Gertrud Eysold, die Direktion, trat vor den
Vorhang und teilte mit, daß das Landgericht 3 vor drei
Stunden, unter Androhung von sechs Wochen Haft für
die zwei Direktoren Eysold und Sladek, die Aufführung
des Stückes verboien habe. Und das im Auftrage des
Kultusministeriums, an dessen Spitze bekanntlich Kon¬
rad Haenisch steht, der sich noch immer Sozialdemokrat
iennt. Formell hatte sich das Kultusministerium hin¬
ter einen Paragraphen des Pachtvertrages gesteckt, wo¬
nach der Theaterdirektion verhoten ist, im Hause der
Hochschule für Musik politische, religiöse und unzüchtige
Stücke auszuführen. Und um ein unzüchtiges Stück sollte
es sich diesmal handeln. Als solches wurde es vom Kul¬
tusministerium empfunden und zur Reitung von Zucht
und Sitte setzte es das Landgericht 3 in Bewegung. Mit
demonstrativem Beifall wurde die Erklärung der Direk¬
tion entgegengenommen, daß trotz der angedrohten sechs
Wochen Haft der Vorhang aufgehen werde. Es gelie der
Freiheit des Theaters und dem Recht des Dichters.
Und so begann das Spiel. Zu den sechs Wochen
Haft dürfte es kaum kommen, denn der „Reigen“ wurde
von der Direktion in so dezenter Weise auf die Bühne
gestellt, daß nicht einmal eine Pastorentochter hätte zu
erröten brauchen. Und die sollen doch das Muster der
Züchtigkeit sein. Leider war auf die Vertretung
der
weiblichen Rollen nicht das Gewicht gelegt worden, wie
auf die der männlichen, sodaß von den Schnitzlerschen
Geistreicheleien viel verloren ging.
Der „Reigen“ besteht aus zehn aneinandergereihten
Gesprächen zwischen Liebespärchen der verschiedensten Ge¬
sellschaftsklassen. Gesprächen, die unmittelbar vor und
nach dem Geschlechtsakt geführt werden. Aber bei diesen
Gesprächen handelt es sich nicht etwa wie bei Wedekind
und Strindberg um die Erörterung ernster Geschlechts¬
probleme, nicht um den Kampf zwischen den Geschlech¬
tern, sondern um Tändeleien, um erotische Spielereien,
wobei der Zerfall der bürgerlichen Moral und die er¬
bärmliche Rolle, die die bürgerliche Gesellschaftsordnung
„Reigen“ beginnt mit der Dirne und endet mit ihr. Da
Probleme nicht erörtert werden, so lohnt sich eine Aus¬
einandersetzung mit dem Inhalt des Stückes nicht.
Die Aufführung war gut und wurde von dem „erst¬
lissigen“ Publikum mit starkem Beifall aufgenommen,
odaß am Schlusse die Direktion ihren Dank für die „Un¬
terstützung“ ihres Kampfes gegen das Kultusministerium
abstatten konnte, das um eine Blamage reicher ist. wp.