11. Reigen
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„Reigen.“
Zehn Dialoge von Artur Schnitzler.
Kleines Schauspielhaus¬
Eiß Drama ist's nicht. Es macht auch nicht den Versuch dazu. In
Dialogform zehn kritische Räsonnements über das Geschlechtleben. Wie
ein „Holbeinscher Totentanz“ flitzt ein Lebensreigen von Männlein
und Weiblein, die die Liebe genießen wollen oder genossen haben, am
Auge vorüber. Und wie bei jedem Genuß, so ist's auch bei diesem.
Vorher möcht's man überaus gern, und nachherbleibt einem ein fader
Nachgeschmack im Munde.
Der Eros Artur Schnitzlers ist schon ein Objekt rein vernünftiger,
naturwissenschaftlicher und politisch=soziologischer Betrachtung, und ge¬
wiß der illusionsärmste Geselle von der Welt. Die brünstigen Men¬
schenkinder seiner bürgerlichen Weltordnung verrichten eine leibliche
Funktion, von Urnatur her ihnen bestimmt, in der sie nichts vor den
Tieren voraus haben, und wofür die wissenschaftliche Einheit und
Gleichheit aller ohne weiteres hergestellt wird. Hier hat keiner vor
dem anderen etwas voraus, und Soldat und Graf, das Dienst¬
mädchen und der junge Herr, Ehefrau und Dirne, Dichter und Schau¬
spielerin gehören alle zu derselben Crapule. Artur Schnitzler, der
Menschheitskenner, der Realist, der exakte Beobachter, gewappnet mit
dem Rüstzeug der neunziger Jahre, analysiert den Eros mit Geist,
Witz, Ironie, vielleicht, vielleicht sogar, wie uns Gertrud Eysoldt sagte,
mit etwas schmerzlichem Bedauern: Seht, das, das ist eure Liebe...
Bei ihm ergeht es dieser, wie es leider in diesem Kriege unserer
Nahrung auf Grund chemischer Wissenschaft erging. Für die macht
es auch keinen Unterschied aus, ob man Schweinebraten oder Regen¬
würmer verschmaust. Aufs Eiweiß und die Kohlenhydrate kommt's
ihr allein an. Eine nette Suppe hatten sie uns damit schon ein¬
gebrockt, . . und hoffentlich lernen Wissenschaft und Kunst daraus,
nicht mehr nur so abstrakt zu sehen.
Fast hätte man den „Reigen“ nicht zu schauen bekommen. Die
Herren Juristen wollten ihn durchaus verbieten — als unmoralisch.
Schnitzlers Dialoge sind schon aufs treulichste dem Leben abgelauscht
und sagen nichts, was sich nicht millionenfach alltäglich, allnächtlich
abspielt. Da müßte man schon den größten Teil der Menschheit auch
als unmoralisch verbieten. . .. Die Natur des Liebesgenusses, der eine
rein physische Notdurft ausmacht, ist noch eine Natur vfllig jenseits
von Gut und Böse, Schön und Häßlich. Der gesellschaftliche Anstand
bei Europäern wie bei Wilden hat's allerdings von jeher so einge¬
richtet, daß dergleichen nur im stillen Kämmerlein vollzogen wird.
Aber in einem Lande, wo die „Büchse der Pandora“ und „Schloß
Wetterstein“ Wallfahrtsorte sind, hat man kein Recht mehr, einen
„Reigen“ zu verbieten.
Nun, mit dem, was die Dichter Liebe nennen und als Liebe ver¬
herrlicht haben, hat der Eros Schnitzlers nichts zu schaffen. Ein Pro¬
dukt aus der naturwissenschaftlichen Poetenschule der neunziger
Jahre, das wir allerdings jetzt leichtesten Herzens entbehren können.
Im Sumpf und Kot dieser Zeit ist uns nicht eine Wissenschaft, nur
eine Kunst notwendig, die etwas mehr und noch etwas Besseres sein
kann und will als nur Natur, Wirklichkeit, Alltäglichkeit, die uns
Illusionen, Ideale, neue Seelen beschert und Geschlechtsakte wieder zu
Liebesseligkeiten zu steigern und zu erhöhen vermag.
Unter den Plauderern und Plaudrerinnen im Kleinen Schauspiel¬
haus entfaltete Kurt Goetz als „junger Herr“, an Dienstmädchen und
die Ehefrauen anderer seine Gaben gleich huldvoll austeilend, den
größten Reiz, Munterkeit und Liebenswürdigkeit. Louis Etlinger
egte ganz hübsch ironisch dar, wie wenig Unterschied zwischen
Dichter und Philister existiert, und mit bester Laune spottete Blanche
Dryan über die Liebes= und Verführungskünste der Schauspielerin.
Julius Hart.
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„Reigen.“
Zehn Dialoge von Artur Schnitzler.
Kleines Schauspielhaus¬
Eiß Drama ist's nicht. Es macht auch nicht den Versuch dazu. In
Dialogform zehn kritische Räsonnements über das Geschlechtleben. Wie
ein „Holbeinscher Totentanz“ flitzt ein Lebensreigen von Männlein
und Weiblein, die die Liebe genießen wollen oder genossen haben, am
Auge vorüber. Und wie bei jedem Genuß, so ist's auch bei diesem.
Vorher möcht's man überaus gern, und nachherbleibt einem ein fader
Nachgeschmack im Munde.
Der Eros Artur Schnitzlers ist schon ein Objekt rein vernünftiger,
naturwissenschaftlicher und politisch=soziologischer Betrachtung, und ge¬
wiß der illusionsärmste Geselle von der Welt. Die brünstigen Men¬
schenkinder seiner bürgerlichen Weltordnung verrichten eine leibliche
Funktion, von Urnatur her ihnen bestimmt, in der sie nichts vor den
Tieren voraus haben, und wofür die wissenschaftliche Einheit und
Gleichheit aller ohne weiteres hergestellt wird. Hier hat keiner vor
dem anderen etwas voraus, und Soldat und Graf, das Dienst¬
mädchen und der junge Herr, Ehefrau und Dirne, Dichter und Schau¬
spielerin gehören alle zu derselben Crapule. Artur Schnitzler, der
Menschheitskenner, der Realist, der exakte Beobachter, gewappnet mit
dem Rüstzeug der neunziger Jahre, analysiert den Eros mit Geist,
Witz, Ironie, vielleicht, vielleicht sogar, wie uns Gertrud Eysoldt sagte,
mit etwas schmerzlichem Bedauern: Seht, das, das ist eure Liebe...
Bei ihm ergeht es dieser, wie es leider in diesem Kriege unserer
Nahrung auf Grund chemischer Wissenschaft erging. Für die macht
es auch keinen Unterschied aus, ob man Schweinebraten oder Regen¬
würmer verschmaust. Aufs Eiweiß und die Kohlenhydrate kommt's
ihr allein an. Eine nette Suppe hatten sie uns damit schon ein¬
gebrockt, . . und hoffentlich lernen Wissenschaft und Kunst daraus,
nicht mehr nur so abstrakt zu sehen.
Fast hätte man den „Reigen“ nicht zu schauen bekommen. Die
Herren Juristen wollten ihn durchaus verbieten — als unmoralisch.
Schnitzlers Dialoge sind schon aufs treulichste dem Leben abgelauscht
und sagen nichts, was sich nicht millionenfach alltäglich, allnächtlich
abspielt. Da müßte man schon den größten Teil der Menschheit auch
als unmoralisch verbieten. . .. Die Natur des Liebesgenusses, der eine
rein physische Notdurft ausmacht, ist noch eine Natur vfllig jenseits
von Gut und Böse, Schön und Häßlich. Der gesellschaftliche Anstand
bei Europäern wie bei Wilden hat's allerdings von jeher so einge¬
richtet, daß dergleichen nur im stillen Kämmerlein vollzogen wird.
Aber in einem Lande, wo die „Büchse der Pandora“ und „Schloß
Wetterstein“ Wallfahrtsorte sind, hat man kein Recht mehr, einen
„Reigen“ zu verbieten.
Nun, mit dem, was die Dichter Liebe nennen und als Liebe ver¬
herrlicht haben, hat der Eros Schnitzlers nichts zu schaffen. Ein Pro¬
dukt aus der naturwissenschaftlichen Poetenschule der neunziger
Jahre, das wir allerdings jetzt leichtesten Herzens entbehren können.
Im Sumpf und Kot dieser Zeit ist uns nicht eine Wissenschaft, nur
eine Kunst notwendig, die etwas mehr und noch etwas Besseres sein
kann und will als nur Natur, Wirklichkeit, Alltäglichkeit, die uns
Illusionen, Ideale, neue Seelen beschert und Geschlechtsakte wieder zu
Liebesseligkeiten zu steigern und zu erhöhen vermag.
Unter den Plauderern und Plaudrerinnen im Kleinen Schauspiel¬
haus entfaltete Kurt Goetz als „junger Herr“, an Dienstmädchen und
die Ehefrauen anderer seine Gaben gleich huldvoll austeilend, den
größten Reiz, Munterkeit und Liebenswürdigkeit. Louis Etlinger
egte ganz hübsch ironisch dar, wie wenig Unterschied zwischen
Dichter und Philister existiert, und mit bester Laune spottete Blanche
Dryan über die Liebes= und Verführungskünste der Schauspielerin.
Julius Hart.