II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 736

11. Reigel
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Nleie & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung; Hamburger Fremdenblatt
Ort:
Hamburg
Datum;
2.8.0E 1. 1020
Theater, Kunst und Wissenschaft.
Berliner Theater.
Schnitzlers „Reigen“.
Berlin, 23. Dezember.
„ Die Aufführung fand unter Hindernissen
statt.
Die Hochschule für Musik, der das
Kleine Schausplelhaus gehört, be¬
ann sich auf einen Paragraphen des Miets¬
vertrages, nach dem Stücke, die in politischer,
religiöser und sittlicher Beziehung Anstoß erre¬
gen, von den Pächtern nicht aufgeführt werden
dürfen. Da die Hochschule für Musik dem preu¬
ßischen Kultusministerium untersteht, setzte die¬
ses das Landgericht III in Bewegung, das mit
einer einstweiligen Verfügung die Vorstellung
drei Stunden vor Beginn verbot und im Ueber¬
retungsfalle der Direktorin Gertrud Eysoldt
Haftstrafe
und Maximilian Sladez eine

von sechs Wochen androhte. Die Uraufführung
and trotzdem statt. Gertrud Eysoldt stellte sich
in einer Ansprache vor Schnitzler und die Dar¬
stellung und nahm alle Folgen auf sich. Das
Verbot war widersinnig, denn Schnitzlers „Rei¬
ie, daß ein begründetes Bedenken dagegen
nicht aufkommen kann.
Und wenn man Erotik
in der Kunst für unsittlich erklären wollte,
müßte man vor allem die Hochschule für Musik
selbst schließen, weil die Musik die erotischste
aller Künste ist. Das Verbot war,
zweitens,
leichtsinnig, denn man hatte sich, trotz Aufforde¬
rung, nicht die Mühe gemacht, die Darstellung
auf den Proben zu sehen, und die Darstellung
war diskret (in manchen Partien sogar lang¬
weilig).
So blieb denn auch dem Kultusministerium
und der Hochschule für Musik nach der Premiere
nlichts anderes übrig, als das voreilige Verbot
zurückzuziehen. Und das Kleine Schauspielhaus
hatte die Reklame. (Wobei die Verwunderung
zurückbleibt, daß eine Hochschule, an deren Spitze
ein Künstler wie Franz Schrekker steht, sich an
einem solchen drakonischen Vorgehen gegen
Künstler beteiligt.)
Schnitzlers Dramen haben, soweit sie reden,
soweit sie Lebensweisheiten, Probleme be¬
prechen, soweit sie psychologisieren, soweit sie
euilletonistisch sind, viel von ihrer Unmittelbar¬
keit verloren. „Reigen“ aber behält seine Leich¬
tigkeit und Freiheit, weil er sich nirgend pro¬
blematisch vertieft. Weil der Dichter sich nicht
(wie er dem heute schwer erträglichen „Anatol“)
geistig bal. st. sondern nichts tut, als ero¬
##

tische Schwingungen in Worte strömen zu lassen.
Die erotische Vivration ist entzückend. „Reigen“
ist der geschlechtliche Reigen, der sich zwischen
Dirne und Soldat, Soldat und Stubenmädchen,
Stubenmädchen und jungem Herrn, jungem
Herrn und junger Frau, junger Frau und Ehe¬
mann, Ehemann und süßem Mädel, süßem
Mädel und Dichter, Dichter und Schauspielerin,
Schauspielerin und Graf, Graf und wieder
Dirne schlingt. Diese zehn Dialoge, die mit
Witz und Laune den Geschlechtsakt umspielen,
vürden heute allerdings nicht geschrieben wer¬
den. Wenn sie aber geschrieben wurden, würden
sie plumper geschriefen werden.
Das Kleine Schauspielhaus, sonst eine
Stätte Prerinzspiels, hatte sich diesmal
mit der ##gührung Mühe gegeben.
h. i.