11
Reigen
box 18/1
Die Sensation.
Berkin, 25. Dezbr.
Berlin hat seine Sensation. Vor der Aufführung im Klei¬
jen Schauspielhaus von Schnitzlers „Reigen“ be¬
tat Frau Eysoldt, die neben Hermn Stadek die Direktion
5## Theaters führt, die Bühne, um mitzuteilen, daß die Hochschule
in deren Gebäudekomplex sich der Saal des Kleinen Schauspielhauses
befindet, auf Grund der Bestimmungen des Vertrages Einspruch
gegen die Aufführung des „Reigens“ erhoben und daß daraufhin
das Kultusministerium, dem die Hochschule unterstehe, einen Ge¬
richtsbeschluß herbeigeführt habe, der die Aufführung des „Rei¬
gens“ unter Androhung einer sechswöchentlichen Haft für beide
Direktoren untersagt habe. Gegen diesen Gerichtsbeschluß verwahrte
sich Frau Eysoldt: im Namen der Kunst. Das war ihr gutes
Necht. Sie ließ die Aufführung trotzdem stattfinden. Das spricht
ür ihren Mut. Daß sie aber der Ansicht Raum gab, die Hano¬
lung weise des Kultusministeriums sei nur daraus zu erklären,
daß das Kultusministerium gegen die Verpachtung der Bühne über¬
haupt gewesen sei, da es den Saal zu Lehrzwecken verwenden
wolle, und sich nun dieser Gelegenheit bediene, des lästigen Päch¬
ters ledig zu werden, scheint mir jenseits der Grenzen dessen zu
liegen, was wir als „Recht" und „Mut“, auch aus der dunklen
Bühnenperspektive heraus, zu achten pflegen. Noch erhob Frau
Eysoldt den Vorwurf, die Vertreter des Kultusministeriumg hätten
es nicht der Mühe wert erachtet, einer Bühnenprobe des verurteilten
Werkes beizuwohnen: es bestehe aber zwischen einem Drama als
Buch und demselben Drama als Bühnenhandlung ein schwer zu
Überblickender Unterschied. Sehr wahr! Merkwürdig nur, daß sich
Frau Eysoldt in anderer und gerade sie angehender Beziehung das¬
elbe nicht selbst gesagt hat.
Genug, Berlin hat seine Sensation, ja, hat es sie wirklich?
Es hat sie in dem Sinne, der auf alle Sensationen zutrifft: du
kaufst einen Königstiger, und trägst ein Kätzlein nach Haus.
Sensation ist ein Spuk, hergestellt aus einem Bettlaken und ein
Stück Phosher. Schon während es gespenstert, überzeugt man
sich davon, daß es wirklich nur ein Bettlaken und ein Stück Phos¬
phor ist, was da so dräuend aufgeht. Man kehrt aber nach Hause
grück und gewahrt nunmehr, daß es das eigene Bettlaken war,
das einem inzwischen gestohlen wurde, in das sich das Gespenst so
schröcklich, verführerisch, aufregend einkleidete.
Wie sehr sollte doch Frau Eysoldt recht behalten! O ja, es ist
ein Unterschied zwischen einem Drama als Buch und demselben
Drama als Bühnenhandlung, zumal dann, wenn das Drama wie
Schnitzlers „Reigen“ nur eben eine Folge von zehn Dialogen ist.
die niemals in Hinblick auf die Bühne geschrieben wurden. Als
Buch ist Schnitzlers „Reigen“ frech und entzückend. Das ganze
Buch ist wie das helle Lachen eines, der zum Zuschauer geworden
ist, meil er an sich selber gelinde verzweifern lernte. Oder Ge¬
fühlsseligkeit! — aber war sie echt und griff sie tief? Und er
schatt um sich und erblickt den Reigen der Seelenlosen. Sein
Spott trifft, sein Lachen schallt, aber in seiner Ironie ist bereits
der wehe Unterton, daß all diese Alltäglichkeiten Menschlichkeiten
sind, und daß der Reigen auch ihn selbst in seinen Bann ziehen
wird, oder schon längst hineingezogen hat. O ja, Schnitzlem
„Reigen“ ist ein Werk ernst zu nehmender Kunst.
Aber was blieb von all diesem heiteren Spott, dieser über¬
legenen Frechheit, dieser versklavten Ironie auf der Bühne übrig?
Seien wir ehrlich: Langeweile. Was bei dem Lesen des Buches
auflebt, eine verwegen gewordene Phantasie, erstirbt in der An¬
chauung der Bühne. Das Bett auf der Bühne steht in Kübeln
von Eis. Der Liebhaber auf der Bühne, den keine Empfindung
fortreißt, wird zur Marionette. Die vielen geistreichen, psychologisch
geschärften Wendungen der Dialoge fallen in die Vertiefung zwi¬
schen Bühne und Zuschauerraum.
Für die Aufführung des Kleinen Schauspielhauses
waren die Dialoge in einen Barockrahmen gestellt. Schön und
gut; aber das, worauf es bei jeder Bühnenhandlung ankommt,
den Zuschauer seelisch zum Mitspieler zu machen, konnte daburch,
daß man das Spiel im Spiel betonte, nicht erreicht werden. Dazu
hätten doch eben darstellerische Leistungen aufleven müssen; die
aber scheiterten an der Kurzatmigkeit dieser Dialoge. Ein Dar¬
teller, wie Herr Götz, kam als „der junge Herr“ überhaupt nicht
zur Geltung. Physiognomie gewann im Grunde nur der Ehe¬
nann des Herrn Schwaneke. Von all der holden Weiblichken
aber, die den Reigen anführen soll, trat nichts greifbar in die
Erscheinung. Ich weiß nicht, ob der Phosphor wirklicher Phos¬
phor war?
Nun aber hat Berlin seine Sensation. Sie wird all denen,
die es nach Gespenstern lüstelt, das ersehnte Gruseln höllisch ab¬
gewöhnen, und wieder versteht sich das Moralische von selbst, auch
Ernst Heilborn.
der Sensation.
Reigen
box 18/1
Die Sensation.
Berkin, 25. Dezbr.
Berlin hat seine Sensation. Vor der Aufführung im Klei¬
jen Schauspielhaus von Schnitzlers „Reigen“ be¬
tat Frau Eysoldt, die neben Hermn Stadek die Direktion
5## Theaters führt, die Bühne, um mitzuteilen, daß die Hochschule
in deren Gebäudekomplex sich der Saal des Kleinen Schauspielhauses
befindet, auf Grund der Bestimmungen des Vertrages Einspruch
gegen die Aufführung des „Reigens“ erhoben und daß daraufhin
das Kultusministerium, dem die Hochschule unterstehe, einen Ge¬
richtsbeschluß herbeigeführt habe, der die Aufführung des „Rei¬
gens“ unter Androhung einer sechswöchentlichen Haft für beide
Direktoren untersagt habe. Gegen diesen Gerichtsbeschluß verwahrte
sich Frau Eysoldt: im Namen der Kunst. Das war ihr gutes
Necht. Sie ließ die Aufführung trotzdem stattfinden. Das spricht
ür ihren Mut. Daß sie aber der Ansicht Raum gab, die Hano¬
lung weise des Kultusministeriums sei nur daraus zu erklären,
daß das Kultusministerium gegen die Verpachtung der Bühne über¬
haupt gewesen sei, da es den Saal zu Lehrzwecken verwenden
wolle, und sich nun dieser Gelegenheit bediene, des lästigen Päch¬
ters ledig zu werden, scheint mir jenseits der Grenzen dessen zu
liegen, was wir als „Recht" und „Mut“, auch aus der dunklen
Bühnenperspektive heraus, zu achten pflegen. Noch erhob Frau
Eysoldt den Vorwurf, die Vertreter des Kultusministeriumg hätten
es nicht der Mühe wert erachtet, einer Bühnenprobe des verurteilten
Werkes beizuwohnen: es bestehe aber zwischen einem Drama als
Buch und demselben Drama als Bühnenhandlung ein schwer zu
Überblickender Unterschied. Sehr wahr! Merkwürdig nur, daß sich
Frau Eysoldt in anderer und gerade sie angehender Beziehung das¬
elbe nicht selbst gesagt hat.
Genug, Berlin hat seine Sensation, ja, hat es sie wirklich?
Es hat sie in dem Sinne, der auf alle Sensationen zutrifft: du
kaufst einen Königstiger, und trägst ein Kätzlein nach Haus.
Sensation ist ein Spuk, hergestellt aus einem Bettlaken und ein
Stück Phosher. Schon während es gespenstert, überzeugt man
sich davon, daß es wirklich nur ein Bettlaken und ein Stück Phos¬
phor ist, was da so dräuend aufgeht. Man kehrt aber nach Hause
grück und gewahrt nunmehr, daß es das eigene Bettlaken war,
das einem inzwischen gestohlen wurde, in das sich das Gespenst so
schröcklich, verführerisch, aufregend einkleidete.
Wie sehr sollte doch Frau Eysoldt recht behalten! O ja, es ist
ein Unterschied zwischen einem Drama als Buch und demselben
Drama als Bühnenhandlung, zumal dann, wenn das Drama wie
Schnitzlers „Reigen“ nur eben eine Folge von zehn Dialogen ist.
die niemals in Hinblick auf die Bühne geschrieben wurden. Als
Buch ist Schnitzlers „Reigen“ frech und entzückend. Das ganze
Buch ist wie das helle Lachen eines, der zum Zuschauer geworden
ist, meil er an sich selber gelinde verzweifern lernte. Oder Ge¬
fühlsseligkeit! — aber war sie echt und griff sie tief? Und er
schatt um sich und erblickt den Reigen der Seelenlosen. Sein
Spott trifft, sein Lachen schallt, aber in seiner Ironie ist bereits
der wehe Unterton, daß all diese Alltäglichkeiten Menschlichkeiten
sind, und daß der Reigen auch ihn selbst in seinen Bann ziehen
wird, oder schon längst hineingezogen hat. O ja, Schnitzlem
„Reigen“ ist ein Werk ernst zu nehmender Kunst.
Aber was blieb von all diesem heiteren Spott, dieser über¬
legenen Frechheit, dieser versklavten Ironie auf der Bühne übrig?
Seien wir ehrlich: Langeweile. Was bei dem Lesen des Buches
auflebt, eine verwegen gewordene Phantasie, erstirbt in der An¬
chauung der Bühne. Das Bett auf der Bühne steht in Kübeln
von Eis. Der Liebhaber auf der Bühne, den keine Empfindung
fortreißt, wird zur Marionette. Die vielen geistreichen, psychologisch
geschärften Wendungen der Dialoge fallen in die Vertiefung zwi¬
schen Bühne und Zuschauerraum.
Für die Aufführung des Kleinen Schauspielhauses
waren die Dialoge in einen Barockrahmen gestellt. Schön und
gut; aber das, worauf es bei jeder Bühnenhandlung ankommt,
den Zuschauer seelisch zum Mitspieler zu machen, konnte daburch,
daß man das Spiel im Spiel betonte, nicht erreicht werden. Dazu
hätten doch eben darstellerische Leistungen aufleven müssen; die
aber scheiterten an der Kurzatmigkeit dieser Dialoge. Ein Dar¬
teller, wie Herr Götz, kam als „der junge Herr“ überhaupt nicht
zur Geltung. Physiognomie gewann im Grunde nur der Ehe¬
nann des Herrn Schwaneke. Von all der holden Weiblichken
aber, die den Reigen anführen soll, trat nichts greifbar in die
Erscheinung. Ich weiß nicht, ob der Phosphor wirklicher Phos¬
phor war?
Nun aber hat Berlin seine Sensation. Sie wird all denen,
die es nach Gespenstern lüstelt, das ersehnte Gruseln höllisch ab¬
gewöhnen, und wieder versteht sich das Moralische von selbst, auch
Ernst Heilborn.
der Sensation.