II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 738

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11. Reigen
Theater, Kunft und Wissenschaft.
Beilmer Theater.
*# Schnitzlers „Reigen“.
Berlin, 24,1 Mmber.
Die Aufführung fand untHindernissen
Kleine Schauspielhaus gehört, be¬
ann sich auf einen Paragraphen des Miets¬
vertrages, nach dem Stücke, die in politischer,
religiöser und sittlicher Beziehung Anstoß erre¬
gen, von den Pächten nicht aufgeführt werden
dürfen. Da die Hechschule für Musik dem preu¬
ßischen Kultusministerium untersteht, setzte die¬
ses das Landgelicht III in Bewegung, das mit
einer einstweiligen Verfügung die Vorstellung
drei Stunden vor Beginn verbot und im Ueber¬
tretungsfalle der Direktorin Gertrud Eysoldt
und Maximilian Sladez eine — Haftstrafe
von sechs Wochen androhte. Die Uraufführung
fand trotzdem statt. Gerirnd Eysoldt stellte sich
in einer Ansprache vor Schnitzler und die Dar¬
tellung und nahm alle Folgen auf sich. Das
Verbot war widersinnig, denn Schnitzlers „Rei¬
gen“ ist ein erotisches Stück von solcher Gra¬
zie, daß ein begründetes Bedenken dagegen
nicht aufkommen kann. Und wenn man Erotik
in der Kunst für unsittlich erklären wollte
müßte man vor allem die Hochschule für Musik
selbst schließen weil die Musik die erotischste
aller Künste ist. Das Verbot war, zweitens,
leichtsinnig, denn man hatte sich, trotz Aufforde¬
rung, nicht die Mühe gemacht, die Darstellung
auf den Proben zu sehen, und die Darstellung
war diskret (in manchen Partien sogar lang¬
weilig).
So blieb denn auch dem Kultusministerium
und der Hochschule für Musik nach der Premiere
nichts anderes übrig, als das voreilige Verbot
zurückzuziehen. Und das Kleine Schauspielhaus
hatte die Reklame. (Wobei die Verwunderu#g
zurückbleibt, daß eine Hochschule, an deren Spitze
solchen drakonischen Vorgehen gegen
einem
Künstler beteiligt.)
Schnitzlers Dramen haben, soweit sie reden,
oweit sie Lebensweisheiten, Probleme be¬
sprechen, soweit sie psychologisieren, soweit sie
euilletonistisch sind viel von ihrer Unmittelbar¬
keit verloren. „Reigen“ aber behält seine Leich¬
tigkeit und Freiheit, weil er sich nirgend pro¬
blematisch vertieft. Weil der Dichter sich nicht
(wie er dem heute schwer erträglichen „Anatol“
geistig balanciert, sondern nichts tut, als ero¬
tische Schwingungen in Worte ftrömen zu lassen.
Die erotische Vioration ist entzückend. „Reigen“
ist der geschlechtliche Reigen, der sich zwischen
dirne und Soldat, Soldat und Stubenmädchen,
Stubenmädchen und jungem Herrn, jungem
Herrn und junger Frau, junger Frau und Ehe¬
nann, Ehemann und süßem Mädel, süßem
Mädel und Dichter, Dichter und Schauspielerin,
Schauspielerin und Graf, Graf und wieder
Dirne schlingt. Diese zehn Dialoge die mit
Witz und Laune den Geschlechtsakt umspielen,
würden heute allerdings nicht geschrieben wer¬
den. Wenn sie aber geschrieben wurden, würden
sie plumper geschrieben werden.
Das Kleine Schauspielhaus, sonst eine
Stätte des Provinzspiels, hatte sich diesmal
mit der Aufführung Mühe gegeben.
h. i.
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WE.

Franz Schreker über die
„Reigen“ Aufführung.
Franz Schreler hat als Direktor der#
Berliner akademischen Hochschule für Musik be¬g
kannntlich den Protest unterzeichnet, auf
welchen hin das Verbot des „Reigen“ er¬
folgte.
In einer Zuschrift an die Berliner Blätter,
die wir nachstehend im Wortlaut veröffentlichen,
begründet Schreker sein Vorgehen:
„Bei Erwirkung der einstweiligen gericht¬
lichen Verfügung, nach der die Aufführung unter
sagt wurde, waren lediglich die Interessen der
mir anvertrauten Anstalt maßgebend. Der
Charakter des Hauses als staatliches
Schulgebäude ist im Vertrage mit Frau
Eysoldt besonders berücksichligt, da die im
§ 1 enthaltene erste Bedingung des Vertrages
Stücke ausschließt, die in sittlicher, religiöser,
politischer oder künstlerischer Hinsicht Anstoß
erregen. Dazu hat Frau Eysoldt bei Verhand¬
lungen über den Vertrag, als es sich um dessen
Anerkennung handelte, wiederholt und
feierlichst zugesichert, daß ihre Direl¬
tionsführung aus dem Theater eine sittliche
und künstlerische Erziehungsanstalt
höchsten Ranges schaffen würde, deren
Leistungen nicht nur für die Studierenden der
Musik=Hochschule, sondern für die gesamte
Jugend vorbildlich werden würden. Nur so
ließen sich die für das Theater ungewöhnlich
günstigen Vertragsbedingungen rechtfertigen.
Frau Eysoldt hat denn auch den Studierenden
der Hochschule ermäßigte Eintrittskarten bes
willigt. Tatsächlich ergab sich, daß für
Ne
Direktionsführung im Gegensatz zu den
*
machten Zusicherungen geschäftliche Ten¬
denzen maßgebend waren und sind. Diesen
Tendenzen gegenüber habe ich pflichtgemäß
mein Haus-, Vertragsrecht und die Schul¬
interesien gewahrt, wie ich das auch weiter tun
werde. Mit Zensur= und Polizeima߬
nahmen hat mein Vorgehen nichts
zu kun.“