II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 751

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11. Reigen
Berliner Börsen Courier, Berlin
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Esurde A.3.
Der „Reigen'-Prozeß, ####0
Die Sonderverhandlung vor einer Zivilabteilung
des Landgerichts III wegen des Widerspruchs der
Direktion Eysoldt=Sladek gegen das Verbot
der „Reigen=Aufführung“ hatte das Ergebnis, daß
zunächst die beiden Beisitzer der Vorstellung des Wer¬
kes im Kleinen Schauspielhaus beiwohnen wer¬
den, um sich selbst ein Urteil über das angefehdete
Stück zu bilden.
Die Hochschule für Musik hat sich Gutachten von
Maximilian Harden, Julius Bab und Tilly
Durieux verschafft, aus denen hervorzugehen
scheint, daß die Gutachter „Reigen“ nur aus der
Lektüre kennen. Ein Gutachten des Intendanten
Jessner machte den Eindruck, als habe Jessner es
abgegeben, weil er seiner vorgesetzten Behorde, dem
Kultusministerium, keine abschlägige Antwort erteilen
konnte, war aber im übrigen so zurückhaltend neutral
gefaßt, daß es für die Zwecke der Hochschule für
Musik kaum in Frage kam. Ein Gutachten von Pro¬
fessor Koch, dem Vorsitzenden des Musiksenats der
Atademie, wandte sich gegen

die Musik zu
„Reigen“. Der Vertreter des Kleinen Schauspiel¬
hauses, Justizrat Dr. Arthur Rosenberger
rachte demgegenüber die in ihrem Tenor überein¬
timmenden Berliner Kritiken über die „Reigen=Auf¬
führung“ ins Treffen und legte dar, es sei ein
wesentlicher Unterschied zwischen dem Buch und der
Darstellung dieses Werkes, die unter künstlerischer
Regie alle Härten mildern, alle Anstößigkeiten besei¬
tigen könne, wie es hier geschehen sei. Gegen Frau
Tilla Durieux' Gutachten wandte er ein, daß Frau
Turieux, die zwar absprechend urteile, zwei Monate
ang im Rotterschen Residenz=Theater Sudermanns
„Freundin“ gespielt habe und im übrigen wies er
darauf hin, daß die Hochschule für Musik nichts da¬
gegen eingewendet habe, als monatelang im Kleinen
Schauspielhause „Die Büchse der Pandora“ gegeben
urde. Der Verhandlung wohnten auch Dr. See¬
lig und Ministerialdirektor Nentwig vom Kul¬
tusministerium und Professor Schumann von der
Hochschule für Musik bei und dieser erklärte, die
Hochschule sei bereit, in die weiteren Aufführungen
des „Reigen“ zu willigen, wenn die Direktion
Eysoldt=Sladek ein Jahr früher aus
hrem Vertrage gehe. Allerdings dürften
auch nun die Aufführungen nur unter gewissen Kau¬
telen stattfinden, nämlich nur, wenn sie nicht en suite
erfolgten und wenn Jugendlichen der Zutritt ver¬
boten werde, wie es im Gesetz für die Lichtspieltheater
zum Ausdruck komme.
Natürlich widersprach Justizrat Rosenberger
aufs entschiedenste diesem merkwürdigen Vorschlage
und trat nachdrucklich dafür ein, daß auch die Bei¬
sitzer des Gerichts sich die Vorstellung von „Reigen“
ansähen, wie es der Vorsitzende bereits am Sonntag
getan habe. Diese Auregung fiel auf fruchtbaren
Boden und nachdem nun heute abend der lokale Ter¬
min im Kleinen Schauspielhause stattgefunden haben
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vird soll am Donnerstag vormittags 10 Uhr das
1 Urteil orfolgen
Cheater, Musik und Kunst
Theaterpolitisches.
Die Affären überwuchern wieder einmal die Lei¬
stungen. Auf der einen Seite keymen Schauspieler
den notwendigen Kampf gegen de Schädigung auf,
die die einseitige soziale Orientiering der Bühnen¬
genossenschaft für die Kunst bedeutes, aber diese Schau¬
pieler gehoren zum Teil den) — Rotter= und
Operettenbühnen an. Auf der anderen Seite kämpft
das sozialistische preußische Kultusministerium für die
durch die Aufführung von Schnitzlers „Reigen“
bedrohte Sittlichkeit, erklärt sich aber bereit, diese Un¬
sittlichkeit passieren zu lassen, wenn der Mietsvertrag
des Kleinen Schauspielhauses um ein Jahr verkürzt
wvird. Und drittens behauptet Herr Direktor Alt¬
man, daß seine künstlerische Stellung durch die Ver¬
bindung mit den Rotters für Berlin nicht geschwächt,
ondern gestärkt sei, da sich seine Macht spater vielleicht
auch auf das Lessingtheater ausdehnen würde.
Allen drei Fällen ist eins gleich: Die Vermengung
von Kunst (oder Moral) mit geschäftlichen (oder prak¬
tischen) Interessen. Wenn viele Schauspieler glau¬
ben, daß durch die Vergewerkschaftung der Genossen¬
schaft, das künstlerische Moment in den Hintergrund
gedrängt wird, so ist das ein Fall, der nicht ernst genug
diskutiert werden kann (und der mit Recht auch her¬
vorragende Darsteller Berlins herausfordert). Wenn
aber Herr Eugen Burg von den Rotterbühnen oder
Herr Sickla oder Herr Matzner die Kunst be¬
droht sehen, so meinen sie die Bedrohung ihrer
Gage durch den zweiprozentigen Mitgliedsbeitrag der
Bühnengenossenschaft.
Wenn das Kultusministerium der Direktion
Eysoldt=Sladek bei der Aufführung von
„Reigen“ geschäftliche Berechnung vorwirft, so hat
es mit der Tatsache des Vorwurfs recht, mit dem
Sinn des Vorwurfs aber Unrecht. Natürlich sollte
„Reigen“ ein Geschäft werden, (und gerade das Kul¬
tusministerium hat durch seine einstweilige Ver¬
fügung alles getan, das Geschäft sensationell aufzu¬
färben). Aber welcher Theaterdirektor in der Welt
wollte nicht, daß sein Stück gut ginge? Und wem ist
daraus ein Vorwurf zu machen? Klar gesehen, liegt
der Fall so, daß „Reigen“ als Dichtung unspekulativ
ist, daß auch die Art der Aufführung unspekulativ ist,
daß nur die Tatsache der Aufführung als Spe¬
kulation gedeutet werden kann. Aber selbst diese
Spekulation zugegeben, wäre es immer noch Aufgabe
einer in Zusammenhängen empfindenden, also auch
die Publikumspsychologie berücksichtigenden Kritik,
diese Aufführung zu verteidigen, weil hier mit dis¬
kreten Mitteln das Interesse auch einer tieferstehenden
Publikumsschicht erweckt wird, die sich sonst von den
skünsten der Rotters und der Orska angezogen fühlt.
Jeder Theaterbesucher, der durch die „Reigen“=Dar¬
stellung abgehalten wird, das Trianon=, das Residenz¬
theater oder die „Salome“=Aufführung in der König¬
grätzer Straße zu besuchen, ist der Dircktion Eysoldt
ils Leistung gutzuschreiben. Ich habe die künstlerischen
Taten des Kleinen Schauspielhauses sonst nicht hoch
eingeschätzt. Aber im Zusammenhang mit den Berliner
Theaterzuständen überhaupt kann man nicht energisch
genug für den „Reigen“ eintreten, weil er die Publi¬
kumsinstinkte mit Takt befriedigt. Und Herr Haenisch
sollte sich bewußt werden, daß er nicht nur eine Ver¬
antwortung für die Ausnutzbarkeit eines Hochschul¬
aales, sondern eine größere für die Situation der
Berliner Theater hat.
Der dritte Fall ist der kurioseste. Ein Theater¬
indem er sie
direktor verteidigt seine Künstlerschaft
preisgibt. Man nahm zuerst an, daß der Eintritt der
Rotters in die Direktion des Kleinen Theaters das
Ende der Direktion Altman bebeuten würde. Aber
die dunkje Ahnung, daß man Herrn Altmann immer
noch überschätzt habe, bestätigt sich. Herr Altman,
außerstande durch seine künstlerischen Leistungen sich
den Anspruch auf ein größeres Theater zu erwerben,
erwirbt ihn sich durch geschäftliches Paktieren mit den
Rotters. Die Rotters pachten Herrn Dr. Altman
als ihre germanistische Bildung und belohnen ihn
dafür später mit der Direktionsführung des Lessing¬
alles
.Daß die Rotters glauben
theaters.
ihrem Geldbeutel dienstbar machen zu können,
also auch den Geist, ist nach ihren Erfolgen verständ¬
lich. Nur begehn sie hier einen Irrtum: Herr
Dr. Altman wird sie enttäuschen. Sie werden bald
sehen, daß sie nicht einen fremden „Geist“ sondern
nur den eigenen „Ungeist“ eingehandelt haben. Da
sich bei ihnen jede Ausgabe lohnen muß, werden sie
diese bereuen. Den Dilettantismus konnten sie billi¬
H. Ih.
ger bei sich selbst haben.
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Berliner Börsen Ceurer, Berlin
Mergenassgabe
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