II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 752

11. Reigen
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pieler gehoren zum Teil den —
Rotter= und
Operettenbühnen an. Auf der anderen Seite kämpft
das sozialistische preußische Kultusministerium für die
durch die Aufführung von Schnitzlers „Reigen
bedrohte Sittlichkeit, erklärt sich aber bereit, diese Un¬
sittlichkeit passieren zu lassen, wenn der Mietsvertrag
des Kleinen Schauspielhauses um ein Jahr verkürz
wird. Und drittens behauptet Herr Direktor Alt¬
man, daß seine künstlerische Stellung durch die Ver¬
bindung mit den Rotters für Berlin nicht geschwächt,
sondern gestärkt sei, da sich seine Macht später vielleicht
auch auf das Lessingtheater ausdehnen würde.
Allen drei Fällen ist eins gleich: Die Vermengung
von Kunst (oder Moral) mit geschäftlichen (oder prak¬
tischen) Interessen. Wenn viele Schauspieler glau¬
ben, daß durch die Vergewerkschaftung der Genossen¬
chaft, das künstlerische Moment in den Hintergrund
gedrängt wird, so ist das ein Fall, der nicht ernst genug
diskutiert werden kann (und der mit Recht auch her¬
vorragende Darsteller Berlins herausfordert). Wenn
aber Herr Eugen Burg von den Rotterbühnen oder
Herr Sickla oder Herr Matzner die Kunst be¬
droht sehen, so meinen sie die Bedrohung ihrer
Gage durch den zweiprozentigen Mitgliedsbeitrag der
Bühnengenossenschaft.
Wenn das Kultusministerium der Direktion
Eysoldt=Sladek bei der Aufführung von
„Reigen“ geschäftliche Berechnung vorwirft, so hat
es mit der Tatsache des Vorwurfs recht, mit dem
Sinn des Vorwurfs aber Unrecht. Natürlich sollte
„Reigen“ ein Geschäft werden, (und gerade das Kul¬
tusministerium hat durch seine einstweilige Ver¬
ügung alles getan, das Geschäft sensationell aufzu¬
färben). Aber welcher Theaterdirektor in der Welt
vollte nicht, daß sein Stück gut ginge? Und wem ist
daraus ein Vorwurf zu machen? Klar gesehen, liegt
der Fall so, daß „Reigen“ als Dichtung unspekulativ
st, daß auch die Art der Aufführung unspekulativ ist,
daß nur die Tatsache der Aufführung als Spe¬
kulation gedeutet werden kann. Aber selbst diese
Spekulation zugegeben, wäre es immer noch Aufgabe
einer in Zusammenhängen empfindenden, also auch
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die Pucnkumspsychologie berücksichtigenden Kritik,
diese Aufführung zu verteidigen, weil hier mit dis¬
kreten Mitteln das Interesse auch einer tieferstehenden
Publikumsschicht erweckt wird, die sich sonst von den
künsten der Rotters und der Orska angezogen fühlt.
Jeder Theaterbesucher, der durch die „Reigen“=Dar¬
tellung abgehalten wird, das Trianon=, das Residenz¬
theater oder die „Salome“=Aufführung in der König¬
grätzer Straße zu besuchen, ist der Direktion Eysoldt
als Leistung gutzuschreiben. Ich habe die künstlerischen
Taten des Kleinen Schauspielhauses sonst nicht hoch
eingeschätzt. Aber im Zusammenhang mit den Berliner
Theaterzuständen überhaupt kann man nicht energisch
genug für den „Reigen“ eintreten, weil er die Publi¬
kumsinstinkte mit Takt bofriedigt. Und Herr Haenisch
sollte sich bewußt werden, daß er nicht nur eine Ver¬
antwortung für die Ausnutzbarkeit eines Hochschul¬
saales, sondern eine größere für die Situation der
Berliner Theater hat.
Der dritte Fall ist der kurioseste. Ein Theater¬
direktor verteidigt seine Künstlerschaft — indem er sie
preisgibt. Man nahm zuerst an, daß der Eintritt der
Rotters in die Direktion des Kleinen Theaters das
Ende der Direktion Altman bedeuten würde. Aber
die dunkje Ahnung, daß man Herrn Altmann immer
noch überschatzt habe, bestätigt sich. Herr Altman,
außerstande durch seine künstlerischen Leistungen sich
den Anspruch auf ein größeres Theater zu erwerben,
erwirbt ihn sich durch geschäftliches Paktieren mit den
Rotters. Die Rotters pachten Herrn Dr. Altman
als ihre germanistische Bildung und belohnen ihn
dafür später mit der Direktionsführung des Lessing¬
theaters.
.Daß die Rotters
glauben,
alles
hrem Geldbeutel dienstbar machen zu können,
also auch den Geist, ist nach ihren Erfolgen verständ¬
lich.
Nur begehn sie hier einen Irrtum: Herr
Dr. Altman wird sie enttäuschen. Sie werden bald
sehen, daß sie nicht einen fremden „Geist“, sondern
nur den eigenen „Ungeist“ eingehandelt haben. Da
sich bei ihnen jede Ausgabe lohnen muß, werden sie
diese bereuen. Den Dilettantismus konnten sie billi¬
ger bei sich selbst haben.
H. Ih.
Berliner Börsen Ceuriar, Berlin
Mergenansgale
5. 1. 1921