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box 18/1
11. Reigen
1 Am den „Reigen“,
Zu dem Könfrilt de## sen der Aufführung
des „Reigen“ zwischen der keitung des Kleinen
Schauspielhauses ung dem Kultusministerium ent¬
sponnen hat, wird von zuverlässiger Seite mit¬
geteilt:
Mit Frau Eysoldt wurde seinerzeit ein Vertrag
abgeschlossen, nach dem ihr die Benutzung des
Theaters auf 2½ Jahre zusteht. Dieser Vertrag
9
kam ohne Wissen des Kultusministeriums zustande.
Es erhoben sich Bedenken. Man verhandelte darauf
mit Frau Eysoldt. Im Verlaufe dieser Verhand¬
lungen wurde es wohl Frau Eysoldt klar, daß der
Verlrag auf recht schwachen Füßen steht. Das Mi¬
nisterium nahm Abstand, den Vertrag zu annullie¬
ren. Frau Eysoldt führte in einer Erllärung aus:
Das geringe Entgelt — 170 M. pro Abend — lasse
ihr volle Freiheit in der Auswahl des Re¬
pertoires. Sie
habe daber die
Absicht.
62
aus dem Theater ein litexarisches Unternohmen
ersten Rtanges zu machen. Das Theater solle eine
ohe Schule der Kunst werden. Aus diesem
Grunde sah das Ministerium von einer Beanstan¬
dung des Vertrages ab. Als Korrelat zu dem ge¬
ringen Pachtgalt unterwarf sich Frau Eysoldt fsei¬
willig dam
§ 1 des Pertrages, nach dem Stücke,
die in sittlicher, künstlerischer und politischer Hin¬
icht Aergernis erregen könnten, ausgeschlossen
ein sollten. Da wurde die Aufführung des
Reigen vorbereitet. Es erhoben sich schwere
Bedenken, ob man die Aufführung den Mitglie¬
dern der Volkskühne zugänglich michen sollte. Das
war zwei Wochen vor der Aufführung. Es wurde
auf eine Absetzung hingewirkt. Sigdek wies
darauf hin, daß er ein starkes Zugstück
rauche, um über den Wintor hinwegzukommen.
In Besprechungen mit Vertretenn des Ministe¬
riums wurde erwogen, ob Mitglieder des Kultus¬
ministeriums der Aufführung beiwohnen sollten.
Daten wurde Abstand genommen, denn Frau Eh¬
oldt erklärte dem Refarenten: „Kommen Sie;
das Stück wird doch aufgeführt.
Seitens der Theater=Leitung wurden
an dem Stücke „Milderungen“ vorgenommen.
Sig waren durchaus unorbsblicher Natur. Frau
Eysoldt wurde nicht im unklaren darüber gelassen,
daß die Verhandlungon scheitern und das Mini¬
steriums den gerichtlichen Weg beschrei¬
ten würde, wenn das Stük zur Aufführung käme.
Das Vorgehen des Ministeriums wurde
aus technischon Gründen verzögert.
So kam es, daß die Verfügung erst am
Tage der Aufführung zugestellt werden
konnte. Trotzdom wurde das Stück aufgeführt.
Gestern ist die einstweilige Verfü¬
gung vorläufig zurückgezogen worden.
Ueber die
Stellungnahme des Kultusministers
wird mitgeteilt, daß er anfangs mit einem Vor¬
gehen gegen Frau Cysoldt nicht einverstanden
war. Er orklärts sich aber schließlich doch damit
einvorstanden, daß Schritte gegen Frau Eysoldi er¬
griffen würden. Kurz vor Weihnachten trat diese
Aonderung feiner Stellungnahme ein.
Wie von amtlicher Stelle mitgeteilt wird, ist ein
besetzentwurf zur Bekämpfung von Schmutz
ind Schund in Litoraiur und Kunst im Ministe¬
ium des Innexn in Ausarbeitung.
Glgen.
Der freigegebene „Neigen“. Der Ein¬
spruch der Direktion des Kleinen Schau¬
pielhauses gegen die einstweilige Ver¬
fügung vom 23. Dezember, durch die
— unter
Androhung einer Haftstrafe von sechs Wochen —
die Aufführung von
Schnitzlers „Reigen“
intersagt wurdeh# gehrhr die Ver¬
ügung ist aufgehoben worden. Diese Entschei¬
dung ist heute von dem Vorsitzenden der gleichen
Kammer des Landgerichts III bekanntgegeben
worden, die am 23. Dezember die einstweilige
Verfügung erlassen hat. Die Verschiedenheit der
Urteile erklärt sich aus der Verschiedenheit ihrer
Grundlagen. Die einstweilige Versügung war
getroffen worden auf Grund der Lektüre des
22
Buches, die Aushebung der Verfügung auf Grund
220
eines „Lokalaugenscheines“ im Kleinen
gn.
Schauspielhaus. Vorsitzender und Beisitzender der
Kammer hatten einer Vorstellung des „Reigen
—
eigewohnt. Der „Reigen“ darf also unangesoch¬
ten weitergespielt werden, unangefochten wird
wohl auch jetzt der Mietvertrag zwischen der Hoch¬
schule für Musik und dem Kleinen Schauspiel¬
hause bleiben. Zwei verschiedene Aktionen, die
dennoch einen inneren Zusammerhang haben.
Freigabe des „Reigen“ in Berlin.
Schauspielerin Durieux gegen die Auf¬
19% führung.
Wie aus Berlin gemel#wird, ist
Schnitzlers „Reigen“ durch U# des Land¬
gerichtes freigegeben wirden. Das Urteil
vertritt die Auffassung, daß die Aufführung im
Kleinen Schauspielhaus. „Ficht geeignet sei, das
sittliche Empfinden Werletzen.
Dem Berline# Lanogericht, das mit dieser
Begründung dies Freigabe verfügte, lag ein Gut¬
achten der # Tilla Durieux vor, in welchem
sie ausspecht daß die Aufführung von Schnitzlers
Reig### die schlimmsten Instinkte des Puolikums
#nei# vom künstlerischen Standpunkte nicht zu
verantwortenden Weise fördere. Darauf erwiderte,
wie die „B. Z. am Mittag“ mitteilt, der Anwalt
des Kleinen Schauspielhauses: „Frau Durieux ist
befreundet mit Herrn Kestenberg, dem allmächtigen
Mann im Kultusministerium. Die geschäftlichen
Beziehungen des Herrn Kestenberg zu dem Verlage
Paul Cassierers, des Gatten der Frau Durieux.
sind bekannt. Man merkt die Fäden, die sich
zwischen Kultusministerium und diesem Gutachten
spinnen. Es ist übrigens merkwürdig, daß Frau
Durieux sich so äußert, die sich von der Direktion
Rotter hat kaufen lassen, um im Residenztheater
vor Schiebern und Kriegsgewinnern monatelang
in Sudermanns „Freundin“ eine Homosexuelle zu
spielen. Das ist vermutlich sittlicher!“
Die erste Pariser Wagner=Aufführung nach
dem Krieg.
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11. Reigen
1 Am den „Reigen“,
Zu dem Könfrilt de## sen der Aufführung
des „Reigen“ zwischen der keitung des Kleinen
Schauspielhauses ung dem Kultusministerium ent¬
sponnen hat, wird von zuverlässiger Seite mit¬
geteilt:
Mit Frau Eysoldt wurde seinerzeit ein Vertrag
abgeschlossen, nach dem ihr die Benutzung des
Theaters auf 2½ Jahre zusteht. Dieser Vertrag
9
kam ohne Wissen des Kultusministeriums zustande.
Es erhoben sich Bedenken. Man verhandelte darauf
mit Frau Eysoldt. Im Verlaufe dieser Verhand¬
lungen wurde es wohl Frau Eysoldt klar, daß der
Verlrag auf recht schwachen Füßen steht. Das Mi¬
nisterium nahm Abstand, den Vertrag zu annullie¬
ren. Frau Eysoldt führte in einer Erllärung aus:
Das geringe Entgelt — 170 M. pro Abend — lasse
ihr volle Freiheit in der Auswahl des Re¬
pertoires. Sie
habe daber die
Absicht.
62
aus dem Theater ein litexarisches Unternohmen
ersten Rtanges zu machen. Das Theater solle eine
ohe Schule der Kunst werden. Aus diesem
Grunde sah das Ministerium von einer Beanstan¬
dung des Vertrages ab. Als Korrelat zu dem ge¬
ringen Pachtgalt unterwarf sich Frau Eysoldt fsei¬
willig dam
§ 1 des Pertrages, nach dem Stücke,
die in sittlicher, künstlerischer und politischer Hin¬
icht Aergernis erregen könnten, ausgeschlossen
ein sollten. Da wurde die Aufführung des
Reigen vorbereitet. Es erhoben sich schwere
Bedenken, ob man die Aufführung den Mitglie¬
dern der Volkskühne zugänglich michen sollte. Das
war zwei Wochen vor der Aufführung. Es wurde
auf eine Absetzung hingewirkt. Sigdek wies
darauf hin, daß er ein starkes Zugstück
rauche, um über den Wintor hinwegzukommen.
In Besprechungen mit Vertretenn des Ministe¬
riums wurde erwogen, ob Mitglieder des Kultus¬
ministeriums der Aufführung beiwohnen sollten.
Daten wurde Abstand genommen, denn Frau Eh¬
oldt erklärte dem Refarenten: „Kommen Sie;
das Stück wird doch aufgeführt.
Seitens der Theater=Leitung wurden
an dem Stücke „Milderungen“ vorgenommen.
Sig waren durchaus unorbsblicher Natur. Frau
Eysoldt wurde nicht im unklaren darüber gelassen,
daß die Verhandlungon scheitern und das Mini¬
steriums den gerichtlichen Weg beschrei¬
ten würde, wenn das Stük zur Aufführung käme.
Das Vorgehen des Ministeriums wurde
aus technischon Gründen verzögert.
So kam es, daß die Verfügung erst am
Tage der Aufführung zugestellt werden
konnte. Trotzdom wurde das Stück aufgeführt.
Gestern ist die einstweilige Verfü¬
gung vorläufig zurückgezogen worden.
Ueber die
Stellungnahme des Kultusministers
wird mitgeteilt, daß er anfangs mit einem Vor¬
gehen gegen Frau Cysoldt nicht einverstanden
war. Er orklärts sich aber schließlich doch damit
einvorstanden, daß Schritte gegen Frau Eysoldi er¬
griffen würden. Kurz vor Weihnachten trat diese
Aonderung feiner Stellungnahme ein.
Wie von amtlicher Stelle mitgeteilt wird, ist ein
besetzentwurf zur Bekämpfung von Schmutz
ind Schund in Litoraiur und Kunst im Ministe¬
ium des Innexn in Ausarbeitung.
Glgen.
Der freigegebene „Neigen“. Der Ein¬
spruch der Direktion des Kleinen Schau¬
pielhauses gegen die einstweilige Ver¬
fügung vom 23. Dezember, durch die
— unter
Androhung einer Haftstrafe von sechs Wochen —
die Aufführung von
Schnitzlers „Reigen“
intersagt wurdeh# gehrhr die Ver¬
ügung ist aufgehoben worden. Diese Entschei¬
dung ist heute von dem Vorsitzenden der gleichen
Kammer des Landgerichts III bekanntgegeben
worden, die am 23. Dezember die einstweilige
Verfügung erlassen hat. Die Verschiedenheit der
Urteile erklärt sich aus der Verschiedenheit ihrer
Grundlagen. Die einstweilige Versügung war
getroffen worden auf Grund der Lektüre des
22
Buches, die Aushebung der Verfügung auf Grund
220
eines „Lokalaugenscheines“ im Kleinen
gn.
Schauspielhaus. Vorsitzender und Beisitzender der
Kammer hatten einer Vorstellung des „Reigen
—
eigewohnt. Der „Reigen“ darf also unangesoch¬
ten weitergespielt werden, unangefochten wird
wohl auch jetzt der Mietvertrag zwischen der Hoch¬
schule für Musik und dem Kleinen Schauspiel¬
hause bleiben. Zwei verschiedene Aktionen, die
dennoch einen inneren Zusammerhang haben.
Freigabe des „Reigen“ in Berlin.
Schauspielerin Durieux gegen die Auf¬
19% führung.
Wie aus Berlin gemel#wird, ist
Schnitzlers „Reigen“ durch U# des Land¬
gerichtes freigegeben wirden. Das Urteil
vertritt die Auffassung, daß die Aufführung im
Kleinen Schauspielhaus. „Ficht geeignet sei, das
sittliche Empfinden Werletzen.
Dem Berline# Lanogericht, das mit dieser
Begründung dies Freigabe verfügte, lag ein Gut¬
achten der # Tilla Durieux vor, in welchem
sie ausspecht daß die Aufführung von Schnitzlers
Reig### die schlimmsten Instinkte des Puolikums
#nei# vom künstlerischen Standpunkte nicht zu
verantwortenden Weise fördere. Darauf erwiderte,
wie die „B. Z. am Mittag“ mitteilt, der Anwalt
des Kleinen Schauspielhauses: „Frau Durieux ist
befreundet mit Herrn Kestenberg, dem allmächtigen
Mann im Kultusministerium. Die geschäftlichen
Beziehungen des Herrn Kestenberg zu dem Verlage
Paul Cassierers, des Gatten der Frau Durieux.
sind bekannt. Man merkt die Fäden, die sich
zwischen Kultusministerium und diesem Gutachten
spinnen. Es ist übrigens merkwürdig, daß Frau
Durieux sich so äußert, die sich von der Direktion
Rotter hat kaufen lassen, um im Residenztheater
vor Schiebern und Kriegsgewinnern monatelang
in Sudermanns „Freundin“ eine Homosexuelle zu
spielen. Das ist vermutlich sittlicher!“
Die erste Pariser Wagner=Aufführung nach
dem Krieg.