II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 755

11.
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Reigen
Frau Durieux und der „Neigen“.
Frau Tilla Durieux, die sich in einem
Gutachten gegen eine Aufführung von Schnitzlers
Reigen“ ausgesprochen hatte und dastr
Anwalt des Kleinen Schauspielhauses in der
Scérichtsverhandlung den Inkonsequenz geziehen
wurde weil sie im #enztheater in Suder¬
Imanns „Freundin“## Homosexuelle spielt,
schreibt uns:
Man wirft# vor, daß ich gegen die Auf¬
führung des „Reigens“ gewesen bin, nachdem ich
vor Kriegsg#cinnlern die „Freundin“ spielte.
Gestattened#e mir, zuerst zu bemerken, daß ich
nicht glzoe, daß sich ausschließlich verarmte
geistigz nochstehende Beamten= und Professoren¬
tö Plätze für 200 M. zum „Reigen“ kaufen
#eden. Also wird wohl die Zusammensetzung
es Publikums die gleiche wie in den Vorstellun¬
gen der „Freundin“ sein, wo ich manchen ernst¬
haften und bedeutenden Menschen unter den
Zuhörern wußte. — Aber eben vor diesem an¬
deren Publikum soll und kann man derartige
Stücke nicht spielen. Gerade meine Erfahrungen
bei den Aufführungen der „Freundin“, haben
mich das gelehrt.
Und nun darf ich Ihnen noch ein Wort über
meine, wie Sie vermuten, „reaktionäre“ Auf¬
fassung sagen. Man hätte Recht, mir Spießer¬
moral vorzuwerfen, wenn ich etwas dagegen
einwenden würde, sexuelle und —
was moralisch
wohl dasselbe ist — homosexuelle Motive auf
der Bühne dargestellt zu sehen Ganz etwas an¬
deres ist es, einen sexuellen Akt selbst auf die
Bühne zu bringen, vor einem Publikum, das sich
jeden Abend von den verschiedensten Wünschen
getrieben im Theater wahllos zusammenfindet.
Der literarische Wert der Stücke kommt nicht
in Betracht; denn das reizende Schnitzlersche Büch¬
lein aufgeführt vor einer unverständigen Menge
kann unerträglich wirken. Ich bin Heuchlerin
genug, um eine andere Empfindung mir zu glau¬
ben, wenn ich den „Reigen“ für mich allein lese
und eine andere, wenn ich ihn zusammengepfercht
mit Unbekannten in einem Theater anhören
muß. Uebrigens stehe ich mit meinem Urteil
nicht allein, denn der von mir hochverehrte Autor
Dr. Arthur Schnitzler selbst hat die Aufführung
jahrelang verhindert, und mein Kamerad Alex¬
ander Moissi hat sich wohl noch viel schärfer als
ich dagegen ausgesprochen.“
Tilla Durieux.


he
Der „Reigen'=Konflikt ist mit der Aufhebung
der einstweiligen Verfügungsgegen die Direktion
Ensoldm##alek zahrsstislich noch nicht er¬
ledigt? De die ## ein# rterung des Falls
in der heutigen Pressekonfe## hervorging, über¬
nimmt das Kultusministerium in der Person des
Ministers Haenisch, die staatsrechtliche Verant¬
wortung für den „Reigen“=Feldzug. Obwohl Herr
Haenisch gegen jede Zenfur ist, hat er die Partei der
Kräfte im Ministerium ergriffen, die versucht haben,
den Vertrag mit Frau Eysoldt in die für die Zwecke
der Hochschule geeignete Bahnen zu lenden. Sie hat
namlich das Kleine Schauspielhaus zu einem sehr
billigen Preis gemietet, und hatte sich, wie man weiß,
dafür verpflichtet, das Repertoire in einer Art
lebendiger Gemeinschaft mit der Hochschule zu ge¬
stalten — auch im Interesse der Hörer denen der
Zutritt gegen ermäßigte Gebühr zustehen sollte. Der
„Reigen“ wird vom Kultusministerium nur als das

letzte Glied in einer Kette von Aversionen betrachtet,

als das Tröpfchen, das das Faß zum Ueberlaufen
brachte. Und hingukommen noch mancherlei „schreck¬
liche" Dinge, die der Reserent im Kustusministerium
in einer Sitzung der Volksbühnen=Vereinigung ge¬
hört hatte, als die Rede auch auf „Reigen“ kam. Da
wurde mitgeteilt, daß Mitgliedern von Kayßlers
Volksbühne verweigert worden wäre im Kleinen
Schauspielhaus in dem verpönten Stück mitwirken
zu dürfen; man wußte von einer bemerkenswerten
Aeußerung Alexander Moisses zu erzählen die
jeder Darstellerin des „Reigen angeblich Verachtung
ausdrückte, und man kolportierte als Gegenstück einen
angeblichen Ausspruch Sladeks er habe ein so
schlechtes Sommergeschäft gemacht, daß er jetzt ein
tarkes Stück“ brauche. — Uebrigens hat man mit
Rücksicht auf die Empfindlichkeit der Hochschule dieses
„starke Stück“ sehr abgeschwächt, und z. B. gewisse
Szenen, deren Schauplatz ein Bett ist, außerhalb
dieses
Möbelstückes verlegt, auch an
die
Stelle der
immerhin für manche Empfin¬
dungen kränkenden Nachthemden volle Bekleidung ge¬
setzt usw. Die Inszenierung soll, nebenbei bemerkt,
iach dem angesangenen Regiebuch Max Rein¬
hardts erfolgt sein, der wohl noch irgendwie in
losen Beziehungen zu dem Kleinen Schauspielhaus
steht.
S
Dus Urteil im „Reigen“.=Prozesse, h(D rahtm. unsserer Beri¬
liner Schriftleitung.) Das Utteil iins „Reigen“=Prozesse ist
am Donnerstag gefällt worden. Das Berliner Landgericht hat dem
Einspruch der Direktion des Kleinen Schauspiel¬
auses gegen die einstweilige Verfügung, durch die unter Straf¬
androhung die Aufführung des Schnitzlerschen Stückes verboten worden
war, stattgegeben und das Verbot aufgehoben.
Uraufführung in Köln. Im ausverkauften Kölner Schau¬
pielhause hob man Paul Bourfeinds dreiaktiges Drama
„Der Ketzer“ aus der Taufe. Das Werk hat seines antiklerikalen
Inhalts wegen (im Mittelpunkt der Handlung steht Giordano
Bruno) zu Anfang der Spielzeit in der Stadtverordneten=Sitzung viel
Staub aufgewirbelt: die Aufführung ist jedoch schließlich durch einen
Kompromiß zustande gekommen. Bourfeind, ein Oberlehrer, und als
Sozialdemokrat Mitglied des Stadtrats, hat in seinem Drama keines¬
wvegs den Ideen= und Persönlichkeits=Komplex des Titelhelden Giordano
Bruno behandelt, sondern er bringt eine Episode, die, dichterischer Phan¬
tasie entsprungen, sich nur an der Grenze welthistorischer Erscheinung
ewegt. Geschichtlich ist nur das Gerüst der Gefangennahme und der
uslieferung Giordano Brunos, die übrige Fabel ist freie, auf Sen¬
sation gerichtete Erfindung. Donna Leonore; eine vornehme Vene¬
zianerin, ist von transzendentalen Zuständen befallen, die ihrer Um¬
1 welt Rätsel aufgeben. Der Arzt ist für Aderlaß, während die Kirche
1/ JMN 1934