11. Reigen
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das 441
Tr 1—77
Vom Bel zu Babel
51
überzeugt, daß jedem Führer schon sein Militärauto zugewiesen,
sein Päckchen mit Geheimbefehlen eingehändigi und die Liste
Derer, die „an die Wand oder zunasnst wenigstens hinter Schloß
und Riege!“ gehören, längst treuen Gemüthern anvertraut ist.“
Reigen
Die „Staatliche Hochschule für Musik“, die vor die Wahl
gestellt ward, in ihrem Theatersaal die Aufführung schon sü߬
lich angeschimmelter, in jedem Sinn unplatonischer Gespräche
über Lust und Leid der Paarung zu dulden oder die Pächterin
des Saales einsperren zu lassen, hatte mich gebeten, ihr mein
Urtheil über den Fail (der Kunst) aufzuschreiben. Da ich
(richtig) voraussah, daß es mir Anwurf aus den Müllkisten
des Preßgesindes eintragen werde, hahe ichs abgeschrieben.
Hier ist der Brief, der mir die Neujahrsmuße nahm.
Grunewald, 1. 1. 21.
Sehr geehrte Herren,
ich bin in meinem Leben nicht nur oft für Das, was ein
als Scheidemünze der Sprache allenfalls annehmbarer Aus¬
druck „die Freiheit der Kunst“ nennt, sondern leidenschaft¬
lich auch gegen die Künstler eingetreten, die an einem senilen
Gesetz oder längst ranzig gewordenen Rechtsbrauch sich mit
der Betheuerung vorbei zu drücken trachteten, in ihrem Werk,
Gebild aus Worten, Farben, Stein oder Erz, sei „nicht die
winzigste Spur des Wunsches, die Sinnlichkeit anzuregen“.
Solche Betheuerung läßt den Wahn in Rechtskraft wachsen,
Anregung, Weckung, Kräftigung der Sinnlichkeit sei etwas
an sich Verwerfliches. Wahn, der zur Religion einer Sekte
an nahen Erduntergang Gläubiger, von dem über das Men¬
schengeschlecht verhängten Fluch und Todesurtheil Ueber¬
zeugter, auch für Skopzen und andere freiwillig Kastrirte
taugt, nicht für Völker, die leben, ihren Samen weithin über
die Erde ausstreuen, schöpferisch wirken, auch durch die
Fülle ihrer Individuen die Auslese der Tauglichsten sichern
wollen. Sinnlichkeit, die aus jeder Sonnengluth dröhnt, aus
jedem Meeresaufruhr gischtet, die Lenze durchduftet, alle
Sommerprächte reift, ist ein Kronkleinod des Menschen; nicht
das edelste (sonst theilte ers nicht mit der Thierheit), doch
das die breiteste Glücksfülle ausstrahlende. Ohne Sexual¬
sinnlichkeit wäre kein Leben; daß ihre Säfte die Wurzel¬
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Tr 1—77
Vom Bel zu Babel
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überzeugt, daß jedem Führer schon sein Militärauto zugewiesen,
sein Päckchen mit Geheimbefehlen eingehändigi und die Liste
Derer, die „an die Wand oder zunasnst wenigstens hinter Schloß
und Riege!“ gehören, längst treuen Gemüthern anvertraut ist.“
Reigen
Die „Staatliche Hochschule für Musik“, die vor die Wahl
gestellt ward, in ihrem Theatersaal die Aufführung schon sü߬
lich angeschimmelter, in jedem Sinn unplatonischer Gespräche
über Lust und Leid der Paarung zu dulden oder die Pächterin
des Saales einsperren zu lassen, hatte mich gebeten, ihr mein
Urtheil über den Fail (der Kunst) aufzuschreiben. Da ich
(richtig) voraussah, daß es mir Anwurf aus den Müllkisten
des Preßgesindes eintragen werde, hahe ichs abgeschrieben.
Hier ist der Brief, der mir die Neujahrsmuße nahm.
Grunewald, 1. 1. 21.
Sehr geehrte Herren,
ich bin in meinem Leben nicht nur oft für Das, was ein
als Scheidemünze der Sprache allenfalls annehmbarer Aus¬
druck „die Freiheit der Kunst“ nennt, sondern leidenschaft¬
lich auch gegen die Künstler eingetreten, die an einem senilen
Gesetz oder längst ranzig gewordenen Rechtsbrauch sich mit
der Betheuerung vorbei zu drücken trachteten, in ihrem Werk,
Gebild aus Worten, Farben, Stein oder Erz, sei „nicht die
winzigste Spur des Wunsches, die Sinnlichkeit anzuregen“.
Solche Betheuerung läßt den Wahn in Rechtskraft wachsen,
Anregung, Weckung, Kräftigung der Sinnlichkeit sei etwas
an sich Verwerfliches. Wahn, der zur Religion einer Sekte
an nahen Erduntergang Gläubiger, von dem über das Men¬
schengeschlecht verhängten Fluch und Todesurtheil Ueber¬
zeugter, auch für Skopzen und andere freiwillig Kastrirte
taugt, nicht für Völker, die leben, ihren Samen weithin über
die Erde ausstreuen, schöpferisch wirken, auch durch die
Fülle ihrer Individuen die Auslese der Tauglichsten sichern
wollen. Sinnlichkeit, die aus jeder Sonnengluth dröhnt, aus
jedem Meeresaufruhr gischtet, die Lenze durchduftet, alle
Sommerprächte reift, ist ein Kronkleinod des Menschen; nicht
das edelste (sonst theilte ers nicht mit der Thierheit), doch
das die breiteste Glücksfülle ausstrahlende. Ohne Sexual¬
sinnlichkeit wäre kein Leben; daß ihre Säfte die Wurzel¬