II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 759

11. Reigen
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Die Zukunft
scholle aller Schöpferkräfte düngen, haben Denen, die noch
zweifeln konnten, allerneuste Forschungen und Heilversuche,
von den Hysteropathologen bis auf Steinach, wieder bewiesen.
Weshalb soll Kunst, die selbst da, wo sie, wie in Beethovens
sublimsten Tongedichten, dem Oberflächenbetrachter völlig
entsinnlicht scheint, ohne zeugende und empfangende Sinn¬
lichkeit undenkbar ist, nicht wiederum Sinnlichkeit anfachen,
schüren, dem aus Gefühlsasche sich hebenden Phoenix die
Schwingen stärken? Daß sie durch solches Wirken „sich
entwürdige“, ist die Meinung der von Spuk Geängsteten und
wird von der feinsten Ode der Sappho, von mancher Plastik
des ältesten Fernostens, von Philinens Liedern, von Giorgione
und Rodin, von Mozart, Verdi, dem Tristan-Wagner, von
einer Halle prangender Kunstgebilde, lächelnd oder jauchzend,
widerlegt. Wer ein Kunstwerk, weil es die Sinnlichkeit be¬
flügeln, in heißeren Puls erhitzen hönnte, um einen Theil
seiner Wirkungmöglichkeiten zu bringen, also in seinem Le¬
ben-zu hemmen strebt, wird der Sünde wider den Heiligen
Geist schuldig und müßte am Schandpfahl der Nation stehen,
deren unersetzlichen Schatz er, mit Vorsatz oder fahrlässig,
wärs auch nur für eine kurze Zeitspanne, geschmälert hat.
Aus dieser (knapp skizzirten) Auffassung kommt meine
Antwort auf Ihre Frage. Aber auch aus der unbeugsamen
Entschlossenheit, in ernster Prüfung als wahr Erkanntes nie¬
mals deshalb zu verschweigen, weil die Aussprache in den
Mißruf des Kunstfeindes, Philisters, Muckers, Heuchlers brin¬
gen könnte. Solcher heutzutage ringsum lauernden Einschüch¬
terung mag unterliegen, durch Hissung der Papierfahne mit
der Inschrift „Freiheit der Kunst“ mag Zeitungruhm ein¬
fangen, wer sein Leben auf Applaus gestellt hat. Mit grau¬
samer Eindringlichkeit lehrt unser Alltag, wie schnell da sich
das Leben entsittlicht, wo der große Inbegriff des Menschen¬
sehnens nach Freiheit zur leblosen, von keiner Seelenkraft
gläubig umfangenen Phrase entwerthet wird.
Herr Arthur Schnitzler ist ein Wortkünstler, in dem,
nach seinem eigenen Urtheil, Niemand herzlicher als ich einst
eine Hoffnung deutscher Dramatik begrüßt hat. Aus der
Knospe dieser Hoffnung ist nicht vollreife Frucht geworden.
Der Dämon, der Genius war ausgeblieben; nur ein paar