11. Reigen
box 18/1
Die Zukunft
wurde zunächst, ohne jede Entgeltsforderung, das Buch ge¬
schickt. Ob nach dem Niederbruch der österreichischen
Wirthschaft, in dem Wien, wo das Gulyas (nicht etwa in
Luxusschänken) sechzig Kronen kostet, Herrn Schnitzler der
Gedanke an „Verwerthung“ der alten Nebenarbeit nahte und
übermannte, weiß ich nicht. Nach der Fassadenänderung,
die der deutsche Drang, „allen Komfort der Neuzeit“ auch
in sein Haus zu raffen, noch manchmal eine Revolution nennt,
tauchte auch bei uns der Wunsch auf, die Konjunktur hüllen¬
loser Sexualiendarstellung auszunutzen und den „Reigen“
auf offener Bühne, vor Zahlungfähigen, tanzen zu lassen.
Der mit der Verantwortlichkeit für ein großes Heer Ange¬
stellter bebürdete, von der Sorge für den über alles Erwarten
hinaus vertheuerten Riesenbau des Großen Schauspielhauses
bedrückte Künstler Max Reinhardt war überredet worden,
sich das Aufführungrecht für seine Kammerspielbühne zu
sichern („sonst erwirbt es morgen ein Anderer“); stimmte
mir roer sofort zu, als ich seiner Frage, ob die Aufführung
mir rathsam scheine, antwortete: „Durch die Ausstellung
von Akten, die den Beischlaf vorbereiten, Geld zu verdienen,
kann und muß Reinhardt Anderen überlassen.“ Er hat, trotz
mancher Schwierigkeit in der Spielplansgestaltung, aus seinem
Recht nicht Zins gezogen, die Koitusgespräche nicht auf seine
Bühne gebracht. Und er wäre, vielleicht, der Einzige ge¬
wesen, dessen Theatergenie ihnen ein szenisches Phantasie¬
gewand von eigenem Kunstwerth zu wirken vermochte.
etzt huschen sie über eine Bühne, der, nur zu diesem
Zweck, ein Personal gemiethet wurde und deren kränkelnde
Wirthschaft sie „saniren“ sollen. Ueber die Bühne der Staat¬
lichen Hochschule für Musik, die diesen Raum für einen
Spottpreis, tief unter dem Selbstkostenaufwand, gegen das
feierliche Versprechen priesterlich reiner Kunstpflege hinge¬
geben hat und deren jugendlichen, oft noch kindhaften Zög¬
lingen erleichterter Einlaß in diese Vorstellungen vom Di¬
rektorium verbürgt ist. Auf solche Bühne taugte schon nicht
die Lulu Wedekinds (der neben dem seelisch elegantesten
Schnitzler doch wie ein Gigant neben einem Gigerl stünde),
nicht die in Winkelprostitution Hinabgesunkene, die der Zu¬
schauer drei Männer von der Straße aufkobern, nach ein¬
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Die Zukunft
wurde zunächst, ohne jede Entgeltsforderung, das Buch ge¬
schickt. Ob nach dem Niederbruch der österreichischen
Wirthschaft, in dem Wien, wo das Gulyas (nicht etwa in
Luxusschänken) sechzig Kronen kostet, Herrn Schnitzler der
Gedanke an „Verwerthung“ der alten Nebenarbeit nahte und
übermannte, weiß ich nicht. Nach der Fassadenänderung,
die der deutsche Drang, „allen Komfort der Neuzeit“ auch
in sein Haus zu raffen, noch manchmal eine Revolution nennt,
tauchte auch bei uns der Wunsch auf, die Konjunktur hüllen¬
loser Sexualiendarstellung auszunutzen und den „Reigen“
auf offener Bühne, vor Zahlungfähigen, tanzen zu lassen.
Der mit der Verantwortlichkeit für ein großes Heer Ange¬
stellter bebürdete, von der Sorge für den über alles Erwarten
hinaus vertheuerten Riesenbau des Großen Schauspielhauses
bedrückte Künstler Max Reinhardt war überredet worden,
sich das Aufführungrecht für seine Kammerspielbühne zu
sichern („sonst erwirbt es morgen ein Anderer“); stimmte
mir roer sofort zu, als ich seiner Frage, ob die Aufführung
mir rathsam scheine, antwortete: „Durch die Ausstellung
von Akten, die den Beischlaf vorbereiten, Geld zu verdienen,
kann und muß Reinhardt Anderen überlassen.“ Er hat, trotz
mancher Schwierigkeit in der Spielplansgestaltung, aus seinem
Recht nicht Zins gezogen, die Koitusgespräche nicht auf seine
Bühne gebracht. Und er wäre, vielleicht, der Einzige ge¬
wesen, dessen Theatergenie ihnen ein szenisches Phantasie¬
gewand von eigenem Kunstwerth zu wirken vermochte.
etzt huschen sie über eine Bühne, der, nur zu diesem
Zweck, ein Personal gemiethet wurde und deren kränkelnde
Wirthschaft sie „saniren“ sollen. Ueber die Bühne der Staat¬
lichen Hochschule für Musik, die diesen Raum für einen
Spottpreis, tief unter dem Selbstkostenaufwand, gegen das
feierliche Versprechen priesterlich reiner Kunstpflege hinge¬
geben hat und deren jugendlichen, oft noch kindhaften Zög¬
lingen erleichterter Einlaß in diese Vorstellungen vom Di¬
rektorium verbürgt ist. Auf solche Bühne taugte schon nicht
die Lulu Wedekinds (der neben dem seelisch elegantesten
Schnitzler doch wie ein Gigant neben einem Gigerl stünde),
nicht die in Winkelprostitution Hinabgesunkene, die der Zu¬
schauer drei Männer von der Straße aufkobern, nach ein¬