II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 764

11. Reigen
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Vom Bel zu Babel
mit der Nervenpeitsche und mit Kantharidenreiz so lange
„trainirt“ werden, bis sie ganz und gar unfähig geworden
sind, dem Wort stiller Seelenkünder still zu lauschen und
dem Drama, das in Hamlet und Cordelia, in Stella und Tasso
hohe Ahnen verehrt, ein würdiges Publikum zu sein. Und
wir, Alle, denen Kunst ein Heiligthum und Sinnlichkeit ein
unersetzlicher Hort starken Menschenthumes ist, die jauchzen,
wenn im Tanze sich eines Weibes edler Leibvölligblößt, doch
speien, wenn daraus ein Härchengeschäft wird, wirmüssen uns
gegen die von Tag zu Tag dreister werdenden Versuche
sträuben, durch Nackttänze, Aufklärungfilms, Sexualtheatralik
die Freude an edler, freier, froh über alle Ränder von Sitte
und Brauch aufschäumender Sinnenregung zu erwürgen.Denn
diese Freude lebt von dem Geheimniß des höchsten Ge¬
schlechtsvorganges, das Jeder selbst entschleiern, in seliger
Nacktheit anstaunen und, als wärs zuvor nie Einem offen¬
bar geworden, genießen muß. Das wirksamste Mittel, diese
Freude zu morden, wäre die Gründung einer „Staatlichen
Hochschulezfür den technischen Betrieb der Sinnlichkeit“.
Deren Probirbühne mag dann mit „Reigen“ eröffnet werden.
(Trau Durieux, Herr Bab, Intendantleßner, die Professo¬
ren Koester und Roethe, sämmtlich irgendwelcher Muckerei un¬
verdächtig, haben, wie ich las, der Dreckdrohung getrotzt und
dem Gefühl ihrer Abneigung von so duftigem Theatergeschäft
Ausdruck gegeben. Solchen Ausdruck hat Preußens Kultus¬
ministerium, dem die Hochschule untersteht, zu erwirken ge¬
strebt; selbst sich aber nicht einmal in ein Geheimrathsgut¬
achten vorgewagt. Der Rat Bock, der dem Gericht vorsaß,
hier also Kunstgärtner sein sollte, hat, wie in vielen Zeitungen
stand, vorgeschlagen, den Reigen „nur“ sechzigmal tanzen zu
lassen. Werzweifeltnoch, daß in Krähwinkel Revolution war?)
Asche im Tempel
„Aber Daniel lachte, wies auf die Fußspuren und fragte:
Wessen sind die Stapfen in der Asche?“ Hätten die Sieger
von 1918 in Deutschlands Staatstempel, um drin fortwal¬
tenden Trug zu erweisen, Asche gestreut: auch sie dürften
heute lachen. Die erste Session des Völkerbundes, das schönste,
von Frühlingsgeist trächtigste Ereigniß unserer Lebenszeit,
wurde mit höhnischen Reden bespeichelt, weil der Bund,
dem noch Amerika, Rußland, Deutschland fehlen, dessen
Häupter aber den Eintritt dieser drei Völker ersehnen, nicht