II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 769


Se

Die Arbeiterschaft will zur Selbsthilfe greifen.
Unter dem Vorsitze des Bundeskanzlers Dr. Mayr begann
müsse für sie die Todesstrafe und die Prüge!“
gestern die von der Regierung veranstaltete Enquete über den
strafe einführen. Wenn bis zum 20. Januar keine ernsten
Preisabbau. Der Bundeskanzler betonte die Schwierigkeit des
Maßnahmen getroffen würden, so müßten die Arbeiter
Problems, den bescheidensten Bedürfnissen weiter Bevölkerungs¬
zur Selbsthilfe greifen. Sie würden jeden Schieber.
kreise unter den heutigen Verhältnissen Rechnung zu tragen, da
den sie erwischen, eigenhändig aufhängen.
jede Steigerung der Einnahmen durch ein weiteres Hinaufschnellen
Notwendig sei auch die sofortige Einführung
der Warenpreise bald zunichte gemacht werde. Es gelte mit
der Zensur für Telephon und Telegraph.
Hilfe ausgiebiger ausländischer Kredite
Hofrat Dr. Sperl erklärte, es hänge vom Tem¬
unsere Valuta zu verbessern und zu
verament ab, wie weit man den Ausführungen des
stabilifieren, die Alusgaben des Staates
Vorredners folgen wolle, aber die Grundidee seiner
mit seinen Einkalmen möglichst in Ein¬
Darlegungen müsse von allen Seiten geteilt werden.
klang zu bringen#dem man besonders die Kriegs¬
Der Vertrauensmann der Südbahner Ruzicka wandte sich
gewinner kräftissot anziehe, und schließlich ein
gegen den Zwischenhandel und die Wirt¬
energisches Vos(Weugegen die Preis¬
chaftinden Zentralen. Wenn die Bevölkerung zum
treiberei. Er küntgis die Vorlage eines Preistreiberei¬
Aeußersten getrieben werde, so könne es am 20. Januar zum
gesetzentwurfes an, der Geldstrafen bis sünf
vollständigen Stillstande der Eisen¬
Millionen Kronen und Freiheitsstrafen
bahnen, des Telephons und des gesamten
bis zu zehnjährigem Kerker festsetze.
Verkehrs kommen. Der Experte Deutsch (Wirtschafts¬
In der sich hierauf entspinnenden Debatte erklärte der
genossenschaft der Invaliden) verlangte Z wangsarbeit für
Vertreter der Technischen Union Werner, daß wenn bis zum
Schieber und nicht bloß Entfernung wuchernder Ostjuden,
20. Januar in der Frage des Preisabbaues nicht wirklich
ondern auch gewisser Leute aus dem Westen. Der Delegierte des
ernst gemacht werde, so werden die Südbahner
Zentralverbandes der Staatsangestellten Neugebauer
soli¬
und die Technische Union
kündigte an, daß die Staatsangestellten dem¬
darisch in den Streik treten und solange im
nächst wieder mit gewaltigen Forderungen
Streik verharren, bis ein greifbares Resultat erzielt wird. Es
andie Regierung herantreten werden. Die Ver¬
genüge nicht, den Schiebern eine Geldbuße aufzuerlegen, man
handlungen wurden sodann auf heute vertagt.
Die Mindestgebühr beim Vorweisen eines ungültigen Fahrt¬
weil keine Deckung vorhanden war. Ueber Ersuchen Dr. Eislers
ausweises oder bei verspäteter Lösung eines Fahrscheines wurde von
Kronen 6°— auf Kronen 10•— erhöht.
neuer Termin festgesetzt, und zwar der 8. Januar. Dazu kam es
Die Anträge des Unternehmungsausschusses werden morgen den
aber nicht mehr, da inzwischen das Hochstaplerpaar entlarvt
Stadtsenat und Freitag den Gemeinderat beschäftigen.
wurde. Graf Josef Colloredo, seine Gattin Rosa Mels=Colloredo,
deren Mutter Maria Horsky und seine geschiedene Frau Manzierski
wurden heute dem Landesgericht eingeliefert.
Die Grazer Betrugsaffäre.
Die Bilder aus Schloß Plankenwarth in Wien
zustandegebracht.
Maximilian Harden gegen
(Privattelegramm des „Neuen Wiener Journals“.)
Graz, 10. Januar.
Artur Schnitzler.
Der Besitzer des Schlosses Plankenwarth Dr. v. Scarpadetti
Das Gutachten über Schnitzlers „Reigen“.
erhielt gestern die Mitteilung, daß die drei kostbaren Gemälde,
Maximilian Hardelt veröffentrihuesten
die aus dem Schlosse verschwunden waren, bei einem Altwaren¬
Nummer der „Zukunft“ das Gutachten über Schnitzlers
händler in Wien namens Paunsen beschlagnahmt wurden.
„Reigen“, welches die Hochschule füs Kunst und Musik
Rosa Mells=Colloredo hatte
sie ihm um
in Berlin von ihm erbeten hatte. „Wen##t wir uns auch
195.000 Kronen verkauft, während die Bilder einen Wert von
durchaus nicht mit der scharfettAbweis identifizieren
können, welche Harden dem Schnitzlersche Werk zuteil
über anderthalb Millionen besitzen. Paunsen hatte sich vor kurzem
werden läßt, so glauben wir doch mit Rücksicht auf die
im Schlosse Plankenwarth eingefunden und ließ sich dort dem
literarische Stellung Hardens und sen Ernst seiner Kritik
Besitzer des Schlosses, dem Dr. Scarpadetti, als Sekretär des
das überaus scharfe Urteil unseren Leserkreise nicht vor¬
Sohnes der Familie Colloredo vorstellen, der in Wirklichkeit
enthalten zu dürfen. Harden schreibt:
gur nicht existiert. Allerdings hält sich in Garmisch¬
Herr Artur Schnitzler ist ein Wortkünstler, in dem, nach
Partenkirchen ein junger Mann auf, der angeblich von der
seinem eigenen Urteil, niemand herzlicher als ich einst eine
Familie adoptiert werden sollte.
Hoffnung deutscher Dramatik begrüßt hat. Aus der Knospe dieser
Dr. v. Searpadetti war wiederholt vor dem Treiben der
Hoffnung ist nicht vollreife Frucht geworden. Der Dämon, der
Colloredo gewarnt worden. Sein Grazer Rechtsfreund Doktor
Genius war ausgeblieben; nur ein paar Donaugrazier
Rödiger riet ihm zu besonderer Vorsicht. Die Gattin Doktor
umschwebten, zu kurzer Rast, manchmal noch den Wiener.
v. Scarpadettis gab der Gräfin Colloredo die ihrem Mann ge¬
Der gehört einer Literatenplejade (von ungefähr 1890)
sandten Warnungsbriefe, worüber die Gräfin sehr erzürnt war und
an, die von der Gunst einer ihr durch mancherlei
sich entrüstet äußerte. Sie telephonierte dem Rechtsanwalt Doktor
Interessensträhnen verbündeten Rezensentenzunft mit Lob
Deutsch in Wien, der als seinen Grazer Vertreter den ehe¬
aufgepäppelt und deren übelster Blähung noch bescheinigt
maligen Unterstaatssekretär Advokaten Dr. Eisler mit der
wurde, daß sie nach Ambrosia dufte. Kaum jemals hat drum
Sache betraute. Dr. Eisler kam nach Schloß Plankenwarth und
dieser Schriftsteller, der in hellen Jugendstunden ein Dichter
verhandelte dort längere Zeit mit der Gräfin. Dr. v. Scarpadetti
schien, gehört, daß zwar seines Wollens Niveau stets ansehnlich
verlangte die Zuziehung seines Vertreters. Vor diesem erklärte er,
blieb, das Gespinst seines nach Schöpfung lüsternen, im
daßernur in dem Falle, wenn Geld dasei, in neue Verhandlungen eintrete.
Zeugervermögen, leider, nicht der Begierde gleichen Geistes
Dr. Eisler versicherte, daß das, was er bei dem gräflichen Ehe¬
aber von Jahrzehnt zu Jahrzeht dünner wurde; kaum je
paar gesehen habe, einwandfreie Dokumente seien. Mit dem Hin¬
die goethesche Warnung, den Turnierpreis außerhalb der
weis auf diese Erklärung versuchte Dr. v. Scarpadetti jene, die
Schranken zu suchen, Warnung, die in seinem Fall deutlich
Schecks von der gräflichen Familie erhalten hatten, zu beruhigen,
lauten mußte: Verirre dich nicht tiefer noch in die Sucht,
da diese Schecks nämlich durch die Banken nicht eingelöst wurden,
Wirkung, die beine Kunst nicht zu erlangen vermag, aus
entflammt, seine Liebe entheiligt. Rodenbach wie Maeterline
ein Oberflächenkünstler, löste die wirklich bei den Haarer
herbeigezogene Fabel in morbide Landschafts= und Seelen
stimmungen auf, um den Satz vom erotischen Zwang
der Aehnlichkeit zu beweisen. In dem vieraktiger
Schauspiel, das Rodenbach selbst aus seiner Novell
gezogen, wird der unselige Held, in dessen Gedankenwelt sick
Liebe und Lüste spalten, wahnsinnig. Es war ein
musikalischer Einfall, diese Fabel, die hart an der fataler
Ecke des Sexualmordes vorüberbiegt und ihre blasse Psychologie,