II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 771

weites giünes Spihechen frinte im (amten unzere Aeri
Eine jenseits von deutscher Zensurmacht hergestellte Ausgabe („für
Liebhaber", „für Kunstfreunde“ oder wie man's, nach berüchtigtem
Musier, sonst nennen mochte), hätte dem Verfasser ein hübsches
Stück Geld eingebracht. Er hat's verschmäht: offenbar in dem noblen
Gefühl, daß so würzig an vespasianische Münze erinnernde Einkunst
ihm nicht zieme. Nur Freunden, ernsthaft in Kunstbetrachtung Versenkten
wurde zunächst, ohne jede Entgltsforderung, das Buch ge¬
chickt. Ob nach dem Niederbruch der österreichischen
Wirtschaft, in dem Wien, wo das Gulasch (nicht etwa in
Luxusschenken) sechzig Kronen kostet, Herrn Schnitzler der
Gedanke an „Verwertung“ der alten Nebenarbeit nahte und
übetmannte, weiß ich ni . Nach der Fassadenänderung, die der
deutsche Drang, „allen Komfort der Neuzeit“ auch in sein Haus
zu raffen, noch manchmal eine Revolution nennt, tauchte
auch bei uns der Wunsch auf, die Konjunktur hüllenloser
Sexualiendarstellung auszunutzen und den „Reigen“
offener Bühne, vor Zahlungsfähigen, tanzen zu lassen.
Der mit der Verantwortlichkeit für ein großes Heer An¬
gestellter bebürdete, von der Sorge für den über alles Erwarten
hinaus verteuerten Riesenbau des Großen Schauspielhauses
bedrückte Künstler Max Reinhardt war überredet worden
sich das Aufführungsrecht für seine Kammerspielbühne zu sichern
(„sonst erwirbt es morgen ein anderer"); stimmte mir aber sofort
zu, als ich seiner Frage, ob die Aufführung mir ratsam scheine,
antwortete: „Durch die Ausstellung von Akten, die den ...
vorbereiten, Geld zu verdienen, kann und muß Reinhardt anderen
überlassen. Er hat, trotz mancher Schwierigkeit in der Spielplan¬
gestaltung, aus seinem Recht nicht Zins gezogen, die . .. gespräche
nicht auf seine Bühne gebracht. Und er wäre, vielleicht, der Einzige
gewesen, dessen Theatergenie ihnen ein szenisches Phantasiegewand
von eigenem Kunstwert zu wirken vermochte.
Jetzt huschen sie über eine Bühne, der, nur zu diesem
ein Personal gemietet wurde und deren kränkelnde
4 ck,
Wirtschaft sie „sanieren“ sollen. Ueber die Bühne der staat¬
lichen Hochschule für Musik, die diesen Raum für einen
tief unter dem Selbstkostenauswand, gegen
Spottpreis,
das feierliche Versprechen priesterlich reiner Kunstpflege
hingegeben hal und deren jugendlichen, oft noch kindhaften Zög¬
lingen erleichterter Einlaß in diese Vorstellungen vom Direktorium
verbürgt ist. Auf solche Bühne taugte schon nicht die Lulu
Wedekinds (der neben dem seelisch elegantesten Schnitzler
doch wie ein Gigant neben einem Gigerl stünde), nicht
die in Winkelprostitution Hinabgesunkene, die der Zu¬
nach

schauer drei Männer von der Straße aufkobern,
einander über die Szene ködern sieht und nebenan mit ihrem
welken Leib sättigen (beinah) hört. Dort aber war immerhin noch
katholische Herrlichkeiten der Stadt selbst mit, der schauerlich¬
nhaulastische Glockenchor, ein Zug der Beghinen und dazwischen eine
Ganklerszene, die das dramatische Scherzo der Oper bildet, mit vielen
Figuren, wie eine italienische Commedia dell arte, toll, sprühend,
mit zahllosen geistreichen Einzelheiten, fliegenden Ensemble¬
stellen und dem Hauptstück eines zärtlichen, mit reizender
wienerischer Anmut ersundenen. Sechsachtel, in dessen Mitte
ein schwärmerischer Baßwalzer liegt. Das Ganze im
geisterhatten Kolerit eines Spukbildes. Diese zauberische
Szene hat nicht ihresgleichen in der Opernliteratur.
Nur die Hand eines geistsprühenden Lustspielkomponisten konnte
sie sormen. Als Aktabschluß schließt sich ein „geträumtes“ Liebesduett
an, in welchem die erolische Stimmung zu stark überspannt und
überhitzt ist. Das A-dur dieser Stretta kocht in Weißglut.
Zur Traumhandlung gehört im dritten Akt der groß
R##ecitionsmarsch, der sich im Orchester riesenhaft steigert und ein
Zeigen erltust Ir, eenen
auf seine Nerven reizend wirkt und das er an sich, an dem er
ich geschlechtlich zu erwärmen sucht?
Auch diese Darstellung, ruft man, sei erlaubt; denn der
Freiheit det Kunst sei nirgends eine Grenze gesetzt. Nirgends,
auch da, wo sie in öffentliches Gewerbe austritt? Euer
„Reigen“ zeugt gegen euch. Weshalb werden die Um¬
armungsakte selbst, in deren Verlauf oft die echtesten mensch¬
tierisch tiefsten Laute aus Mannheit und Weibheit aufheulen,
aufkeuchen, nicht vorgeführt, sondern durch kritische Fetzen
von Musik ersetzt, der hier (unter dem Dach der Hochschule
für Musik) das Amt des Stimmung machenden Klavierspielers in
einem verrufenen Hause zugewiesen ist? Weil dem Gewerbe öffent¬
licher Kunstausstellung eben doch eine Grenze gezogen ist.
Wo läuft sie? Auf der Linie, die leidenschaftliche Wallung
von Prostitution scheidet. Und Prostitution, scheint mir, ist da,
wo die Gebärde sexualer Begierde von dem Zweck des
Gelderwerbes bestimmt ist. Das Weib, das seinen Schoß
dem Stundenmieter öffnet und ihm eine der Höhe des Pacht¬
zinses angemessene Erregtheit oder Paarungslust vortäuscht,
gilt, obwohl es nur über sein Eigenstes verfügt und auf seine
Art durchaus „reell“ handelt, als prostituiert und geschändet.
Und ein Serienspiel, das dieselben Grimassen allabendlich ein paar
hundert Wohlhabenden, zum selben Zweck des Gelderwerbes, vor¬
führt, soll ich als ein Gebild reiner Kunst in Ehrfurcht an¬
staunen?
Herz und Nieren, Willen und Vorstellung der Direktion
des Kleinen Schauspielhauses zu prüfen, ist nicht meines Amtes;
ich habe Frau Eysoldt stets als ernste Künstlerin geschätzt und
bin weitab von jedem Wunsch, sie oder ihren Sozius übten
Wollens zu verdächtigen. Möglich, daß sie nicht sehen, was
ist. Was ist? An der Kasse werden bis zu hundert, dem Zwischen¬
händler bis zu vierhundert Mark für den Platz gezahlt: und um
diese Plätze rauft alltäglich die Menge. Welche? Dem aufstrebenden
Künstler, dem Beamten, Richter, Forscher, Gelehrten, dem
chlichten Bürger, gar dem Prolejarier sind noch die „billigen“
Plätze unerschwinglich. War ein Werk edler Kunst der deutschen
Bühne zu erobern: warum gab man's nicht dieser Schicht?
Warum reservierte man's denen, die Sprachgebrauch von heute
Schieber, Schleichhändler, Parasiten des Krieges und Umsturzes
nennt? Will ein Ernster im Ernst behaupten, diese
Leute drängten sich an die Kasse, um Kunst zu genießen?
Ist nicht ein Unterschied, ob ich leckere Zotenmalerei
zu
(von Rops oder Zichy: um nicht große Namen
nennen, von denen der zierliche Fein=Schnitzler erdrückt würde) in
in öffentliches Museum, unter andersartige Kunstwerke
hänge oder in einem nur gegen ungemein hohe Einla߬
gebühr zugänglichen Sälchen den von Stoffgier hingetriebenen
Schleckern zeige? Von hundert Reigensüchtigen wollen (min¬
destens) neunzig ohne Plumpheit, sacht angegeilt werden oder,
wenn das nicht mehr möglich ist, wohlig die Erinnerung
chlürsen, „wie das einmal war". Das sie „Mutti“
Verwegene sogar die Tochter mitnehmen, trüffelt die Lust
Einst zog Berlin in Lokale, an deren Gattengitter, weiß auf
Grün, stand: „Hier können Familien Kaffee kochen“. Long
ago. Jetzt sind die Otte beliebt, über deren Pforte, in Gold¬
lettern, stehen dürfte: „Hier können Familien Zoten hören“.
Ich möchte nicht zweifeln, daß der Künstler Schnitzler,
ist,
venn er diese Wirklichkeit sähe, wie sie, unbestreitbar,
lieber hungern als Einkunft aus so unsauberem Quell schöpfen
wvürde. Er kann nicht wünschen, daß die Menschen, die
in Deutschland Theaterbesuch noch zu eikausen vermögen,
nit der Nervenpeitsche und mit Kantharidenreiz so lange „trainiert“
werden, bis sie ganz und gar unfähig geworden sind, dem Wort
stiller Seelenkünstler still zu lauschen und dem Drama, das in
Hamlet und Cordelia, in Stella und Tasso hohe Ahnen verehrt.
ein würdiges Publikum zu sein. Und wir, alle, denen Kunst
ein Heiligtum und Sinnlichkeit ein unersetzlicher Hort
starken Menschentums ist, die jauchzen, wenn im Tanze
sich eines Weibes edler Leib völlig blößt, doch speien,
wenn daraus ein Härchengeschäft wird, wir müssen uns
gegen die von Tag zu Tag dreister werdenden Versuche
sträuben, durch Nackitänze, Aufklärungsfilme, Sexualtheatralik die
Freude an edler, freier, froh über alle Ränder von Sitte und
Brauch aufschäuteender Sinnenregung zu erwürgen. Denn diese
Freude lebt von dem Geheimnis des höchsten Geschlechtsvorganges,
das jeder selbst entschleiern, in seliger Nacktheit anstaunen und,
als wäts zuvor nie einem offenbar geworden, genießen muß.
wäre
Das wirksamste Mittel, diese Freude zu morden,
die Gründung einer „staatlichen Hochschule für den technischen
Betrieb der Sinnlichkeit". Deren Probierbühne mag dann mit
„Reigen“ eröffnet werden.