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Der Staatsanwalt hat das Wort.
Eine Betrachtung der Freigabe des
Schnitzlerschen „Reigen¬
Erich Schlattzer.
Die einstweilige Verfügung des Landgerichts, die gegen
die erotischen Dialoge des Herrn Schnitzler Einspruch erhob,
ief in der Presse eine Unklarheit hervor, die den Hinter¬
männern des Unternehmens leider sehr zustatten kam. Im
„Vorwärts“ wurde davon gesprochen, daß die Theaterzensur
„von hinten herum“ wieder eingeführt werden solle, und der
Rezensent des Blattes begriff nicht, worauf der Einspruch be¬
grundet werden könne, da ja die Theaterzensur aufgehoben
ei. Die „Deutsche Tageszeitung“ sprach von einem Unter¬
nehmen des Staatsanwalts, und die gleiche Begriffs¬
verwirrung fand sich leider auch in anderen Blättern. Die
Wahrheit ist natürlich, daß der Einspruch weder mit Staats¬
anwalt noch mit Zensur auch nur das mindeste zu tun hatte,
ondern ein privatre## Unternehmen gegen die Direktion
des Kleinen Schauspsshaufes darstellte, die durch ih Ver¬
trag verpflichtet war, unsittliche Stücke nicht zu spielen, und
diese Verpflichtung in brastischer Weise verletzte.
LhtsSr
Die einstweilige Verfügung ist im Konkurrenzkampf der
Berliner Direktoren untereinander so oft als Waffe ge¬
schwungen worden, daß man sie nachgerade kennen sollte.
In Dutzenden von Fällen wurde einem bestimmten Direktor
auf Antrag eines Interessenten untersagt, ein bestimmtes
Stück zu spielen oder einen bestimmten Schauspieler auftreten
zu lassen, und die Presse hat in diesen Konflikten selbst¬
verständlich nie etwas anderes gesehen als eben privatrecht¬
liche Kollisionen, über die die Beteiligten sich im Wege de¬
gerichtlichen Verfahrens zu einigen hätten. Man begreift leicht
daß in diesem Falle die Mosse=Ullstein=Presse ein Jammer¬
geschrei über die bedrohte Freiheit erhob; denn sie pflegt ihre
züchtigen Geschäfte ja im Namen der Freiheit zu führen,
die Begenseite hätte ihr aber nicht den Gefallen tun dürfen,
darauf hineinzufallen. Was vorliegt, ist die schlichte Tatsache,
daß die Direktion des Kleinen Schauspielhauses einen Ver¬
trag, den sie unterzeichnet hatte, nun auch halten sollte, und
die Entrüstung im „Berliner Tageblatt“ beschränkt sich darauf,
daß nicht einmal ein lumpiger Vertragsbruch zulässig sein soll
wenn es sich um die so dringend notmendige Schändung des
christlichen Weihnachtsfestes handelt. Wir fahren um so
besser, je deutlicher wir unseren Lesern diesen klaren Sach¬
verhalt vor Augen stellen.
Wenn aber der irdene Topf mit dem eisernen zusammen¬
stößt, muß er daran glauben, und wenn eine Vertrags¬
bestimmung mit den Interessen der Seelenvergifter kollidiert,
wird sie gebrochen, denn die Seelenvergifter sind die Träger
der eigentlichen Macht im gegenwärtigen Deutschland. Was
hinter den Kulissen geschehen ist, wissen wir nicht, aber es
hatte jedenfalls den Erfolg, daß der Widerstand unwirksam
und der „Reigen“ gespielt wurde. Die einstweilige Verfügung
wurde dem Landgericht, das sie erlassen hatte, zerbrochen
vor die Füße geworfen. Die Autorität des Rechts wurde zu
einem Popanz, zu einer Vogelscheuche, durch die Kinder und
Spatzen sich schrecken lassen, niemals aber Schieber und
Schieberdirektionen. Zwar ließ man zum Trost der deutschen
Menschheit verkünden, daß man nunmehr auf Lösung de¬
Vertragsverhältnisses klagen werde, das aber war, mit Ver¬
laub, eine klägliche Deckung des Rückzugs. Nachdem man die
Aufführung, die zu verhindern man die Macht hatte, indem
man ihre frechen Urheber nach allem künstlerischen und
juristischen Recht hinter Schloß und Riegel brachte, in trau¬
riger Schwäche zuließ, war nicht mehr einzusehen, wie man
die Vertragslösung noch wirkungsvoll begründen wollte.
Wenn ein Mensch in einem privaten Rechtshandel einen Geg¬
ner vor sich hat, der mit eiskalter Skrupellosigkeit arheitet
und den Riesenapparat der Berliner Presse zu seinen Gunsten
pielen lassen kann, muß er seibstverständlich stählerne Ener¬
gie zeigen, wenn er gewinnen will, um so mehr als es sich
um die ##urteilung eine künstlerischen Frage handelte, in
der die juristischen Richter unsicher sein konnten. Die Be
hörde zeigt in diesem Fall keine Energie, sie erschien viel¬
mehr in völlig gebrochenem Zustand am Verhandlungstisch
und so verlor sie. Der ästhetische Kult des Geschlechtsakts hat
in diesem Fall nicht nur über die stille Majestät des Naza¬
reners gesiegt, er hat auch die des Rechts mit einem hohn¬
lachenden Fußtritt beiseite gestoßen, um sie schließlich unter
seinen Willen zu beugen, und bei diesem Sachverhalt müssen
wir uns, soweit das Kultusministerium in Frage kommt,
nunmehr beruhigen.
Soweit das Kultusministerium in Frage
kommt: denn im übrigen gedenken wir uns keineswegs in
die Dreistiakeit der offenhar
Frauenzimmer tagelang auftreten konnte, ohne daß
dieser krasse Fall von Exhibitionismus an ihr oder ihren
dramatischen Zuhältern geahndet wurde. Was sonst ein
gemeines Sittlichkeitsverbrechen war und mit Gefängnis
bestraft würde, hörte auf, eins zu sein, als es im Theater
unter dem Schutz der bürgerlich=bolschewistischen Presse ge¬
schah. Es besteht also leider die Gefahr, daß der Staats¬
anwalt auch in diesem Fall einen ungewöhnlich gesunden
Schlaf zeigen wird, und darum fordern wir unsere Leser
auf, ihn zu mecken. Wenn euch die blanke
Barbarei, die novellistische Dialoge auf
die Bühne schleppt, nur um in den Weih¬
nachtstagen zu einem unzüchtigen „Reigen“
zusgelangen, nicht alarmieren kann, dann
verdient ihr das Fest, das man euch be¬
reitet hat. Kommt uns zu Hilfe, wenn ihr nicht ver¬
faulen wollt! Wo ihr auch immer zu finden seid, der Ab¬
geordnete eures Kreises darf vor euch keine Ruhe haben.
A
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box 18/1
Der Staatsanwalt hat das Wort.
Eine Betrachtung der Freigabe des
Schnitzlerschen „Reigen¬
Erich Schlattzer.
Die einstweilige Verfügung des Landgerichts, die gegen
die erotischen Dialoge des Herrn Schnitzler Einspruch erhob,
ief in der Presse eine Unklarheit hervor, die den Hinter¬
männern des Unternehmens leider sehr zustatten kam. Im
„Vorwärts“ wurde davon gesprochen, daß die Theaterzensur
„von hinten herum“ wieder eingeführt werden solle, und der
Rezensent des Blattes begriff nicht, worauf der Einspruch be¬
grundet werden könne, da ja die Theaterzensur aufgehoben
ei. Die „Deutsche Tageszeitung“ sprach von einem Unter¬
nehmen des Staatsanwalts, und die gleiche Begriffs¬
verwirrung fand sich leider auch in anderen Blättern. Die
Wahrheit ist natürlich, daß der Einspruch weder mit Staats¬
anwalt noch mit Zensur auch nur das mindeste zu tun hatte,
ondern ein privatre## Unternehmen gegen die Direktion
des Kleinen Schauspsshaufes darstellte, die durch ih Ver¬
trag verpflichtet war, unsittliche Stücke nicht zu spielen, und
diese Verpflichtung in brastischer Weise verletzte.
LhtsSr
Die einstweilige Verfügung ist im Konkurrenzkampf der
Berliner Direktoren untereinander so oft als Waffe ge¬
schwungen worden, daß man sie nachgerade kennen sollte.
In Dutzenden von Fällen wurde einem bestimmten Direktor
auf Antrag eines Interessenten untersagt, ein bestimmtes
Stück zu spielen oder einen bestimmten Schauspieler auftreten
zu lassen, und die Presse hat in diesen Konflikten selbst¬
verständlich nie etwas anderes gesehen als eben privatrecht¬
liche Kollisionen, über die die Beteiligten sich im Wege de¬
gerichtlichen Verfahrens zu einigen hätten. Man begreift leicht
daß in diesem Falle die Mosse=Ullstein=Presse ein Jammer¬
geschrei über die bedrohte Freiheit erhob; denn sie pflegt ihre
züchtigen Geschäfte ja im Namen der Freiheit zu führen,
die Begenseite hätte ihr aber nicht den Gefallen tun dürfen,
darauf hineinzufallen. Was vorliegt, ist die schlichte Tatsache,
daß die Direktion des Kleinen Schauspielhauses einen Ver¬
trag, den sie unterzeichnet hatte, nun auch halten sollte, und
die Entrüstung im „Berliner Tageblatt“ beschränkt sich darauf,
daß nicht einmal ein lumpiger Vertragsbruch zulässig sein soll
wenn es sich um die so dringend notmendige Schändung des
christlichen Weihnachtsfestes handelt. Wir fahren um so
besser, je deutlicher wir unseren Lesern diesen klaren Sach¬
verhalt vor Augen stellen.
Wenn aber der irdene Topf mit dem eisernen zusammen¬
stößt, muß er daran glauben, und wenn eine Vertrags¬
bestimmung mit den Interessen der Seelenvergifter kollidiert,
wird sie gebrochen, denn die Seelenvergifter sind die Träger
der eigentlichen Macht im gegenwärtigen Deutschland. Was
hinter den Kulissen geschehen ist, wissen wir nicht, aber es
hatte jedenfalls den Erfolg, daß der Widerstand unwirksam
und der „Reigen“ gespielt wurde. Die einstweilige Verfügung
wurde dem Landgericht, das sie erlassen hatte, zerbrochen
vor die Füße geworfen. Die Autorität des Rechts wurde zu
einem Popanz, zu einer Vogelscheuche, durch die Kinder und
Spatzen sich schrecken lassen, niemals aber Schieber und
Schieberdirektionen. Zwar ließ man zum Trost der deutschen
Menschheit verkünden, daß man nunmehr auf Lösung de¬
Vertragsverhältnisses klagen werde, das aber war, mit Ver¬
laub, eine klägliche Deckung des Rückzugs. Nachdem man die
Aufführung, die zu verhindern man die Macht hatte, indem
man ihre frechen Urheber nach allem künstlerischen und
juristischen Recht hinter Schloß und Riegel brachte, in trau¬
riger Schwäche zuließ, war nicht mehr einzusehen, wie man
die Vertragslösung noch wirkungsvoll begründen wollte.
Wenn ein Mensch in einem privaten Rechtshandel einen Geg¬
ner vor sich hat, der mit eiskalter Skrupellosigkeit arheitet
und den Riesenapparat der Berliner Presse zu seinen Gunsten
pielen lassen kann, muß er seibstverständlich stählerne Ener¬
gie zeigen, wenn er gewinnen will, um so mehr als es sich
um die ##urteilung eine künstlerischen Frage handelte, in
der die juristischen Richter unsicher sein konnten. Die Be
hörde zeigt in diesem Fall keine Energie, sie erschien viel¬
mehr in völlig gebrochenem Zustand am Verhandlungstisch
und so verlor sie. Der ästhetische Kult des Geschlechtsakts hat
in diesem Fall nicht nur über die stille Majestät des Naza¬
reners gesiegt, er hat auch die des Rechts mit einem hohn¬
lachenden Fußtritt beiseite gestoßen, um sie schließlich unter
seinen Willen zu beugen, und bei diesem Sachverhalt müssen
wir uns, soweit das Kultusministerium in Frage kommt,
nunmehr beruhigen.
Soweit das Kultusministerium in Frage
kommt: denn im übrigen gedenken wir uns keineswegs in
die Dreistiakeit der offenhar
Frauenzimmer tagelang auftreten konnte, ohne daß
dieser krasse Fall von Exhibitionismus an ihr oder ihren
dramatischen Zuhältern geahndet wurde. Was sonst ein
gemeines Sittlichkeitsverbrechen war und mit Gefängnis
bestraft würde, hörte auf, eins zu sein, als es im Theater
unter dem Schutz der bürgerlich=bolschewistischen Presse ge¬
schah. Es besteht also leider die Gefahr, daß der Staats¬
anwalt auch in diesem Fall einen ungewöhnlich gesunden
Schlaf zeigen wird, und darum fordern wir unsere Leser
auf, ihn zu mecken. Wenn euch die blanke
Barbarei, die novellistische Dialoge auf
die Bühne schleppt, nur um in den Weih¬
nachtstagen zu einem unzüchtigen „Reigen“
zusgelangen, nicht alarmieren kann, dann
verdient ihr das Fest, das man euch be¬
reitet hat. Kommt uns zu Hilfe, wenn ihr nicht ver¬
faulen wollt! Wo ihr auch immer zu finden seid, der Ab¬
geordnete eures Kreises darf vor euch keine Ruhe haben.
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