II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 787

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Die Zukunft
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lich verdorbene Menschen einen Einfluß dahin ausübt, daß sie
sich auf die hier gegeißelte Auffassung von der Bedeutung des
Geschlechtslebens einstellen. Doch kann jedes Kunstwerk, wel¬
ches eine Andéutung des Geschlechtlichen auch nur zuläßt, auf
diese mißbräuchliche Weise aufgenommen werden. Ferner wird
die Meinung vertreten, die Erörterung solcher Dinge auf der
Bühne sei an sich in sittlicher Hinsicht anstößig. Diese Mei¬
nung ist unzutreffend. Vielmehr kann es für die Aufhaltung
des sittlichen Verfalles nur förderlich sein, diese Dinge so zu¬
rückhaltend und sachlich und zugleich so deuilich und rück¬
sichtlos aufzudecken und zur Erörterung zu stellen, wie es hier
geschicht. Der zu Grunde liegende Miethivertrag ist zwischen
dem damaligen Direktor der Hochschule für Musik, Kreisch¬
mar, und der Frau Eysoldt geschlossen. Die führende Stellung
dieser Persönlichkeiten im Bereich der Kunst berechtigt zu
dem „Schluß, daß nach ihrem Willen durch die erwähnte. Be¬
stimmung des Miethvertrages als in sittlicher Hinsicht anstößig
nür Das gelten sollie, was ein gebildeter, edler Mensch ablehnt.
Hiernach kann der Antragsteller eine besondere Rücksicht¬
nahme auf die theilweise im kindlichen Alter stehenden Schüler
der Hochschule für Musik nicht beanspruchen. So weit ein
Schaden für sie zu befürchten steht, mag der Zutritt ihnen
verboten werden. Aus diesen Gründen hat das Gericht die
Ueberzeugung gewonnen, daß durch die Aufführung von
Schnitzlers „Reigen“ in sittlicher Beziehung bei dem geistig und
moralisch gesunden Menschen kein Anstoß erregt wird, somit
eine Verletzung des zwischen den Parteien bestehenden Mieth¬
vertrages nicht vorliegt. Daher mußte die einstweilige. Verfü¬
gung aufgehoben werden.
Zu dem ererbten Besitz, den die Aenderung der Reichs¬
fassade nicht berührt hat, gehört auch das Strafgesetzbuch.
Das hat überall nach ernst gemeinter Revolution sich von
der Grundma er bis in die Dachsparren gewandelt. Unseres
wahrt dem rchsten Monarchen ehrerbietig das Recht, Ma¬
estätbeleidigung als Sondervergehen zu strafen. Und wie
das Bürgerliche Gesetz die Volljährigkeit erst ein Jahr nach
dem Erwerb des Wahlrechtes, das sie doch wohl voraus¬
setzt, eintreten läßt, so ist alles gegen politische Vergehen
und Verbrechen im Strafgesetz des Kaiserreiches Vorgeschrie¬
bene uns weislich erhalten worden. Mit Gefängniß bis zu
einem Jahr und Geldstrafe bis zu tausend Mark bedroht es
Jeden, der „unzüchtige Schriften oder Darstellungen feil hält,