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Reigen
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Erfrorener Frühling
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an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, aussteilt
ahrcn
oder sonst verbreitet, einer Person unter sechzehn
Einen,
überläßt oder anbietet“; mit Gefängniß sogar schon
der Menschen dieses Alters Schriften oder Darstellungen an¬
bietet, die, „ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröb¬
lich verletzen“. Nach den Entscheidungen des Reichsgerichtes
wird die Strafbarkeit nicht durch Kunstwerth, Motiv und
Zweck der Darstellung bedingt, auch nicht durch die Ab¬
sicht auf oder die Tauglichkeit zu „Erregung geschlechtlicher
Lüsternheit“; der Richter habe stets die Umstände zu priffen,
unter denen solche Darstellung dem Publikum angeboten
wird. In unserem Fall also, welche Darstellungen das Kleine
Schauspielhaus zuvor anbot und welcher Schicht es sein neu¬
stes Stückchen anbietet. Erste Antwort: Fast nur Sexual¬
theatralik; zweite: den Leuten, die an der Kasse bis zu hun¬
dert, dem Zwischenhändler bis zu vierhundert Mark für den
Platz zahlen können und die zu solchem Geldaufwand sich
nur entschließen, um sich im Ekel vor der „alltäglichen Ent¬
würdigung des Geschlechtsverkehres“ zu stärken. Wer zwei¬
felt? Niemand auch, daß die Geschäftsfirma Eysoldt-Sladek
nichts, gar nichts Anderes wollte als (wie das Urtheil „fest¬
stellt“) „die Erzielung eines sittlichen Ekels vor dem Tief¬
stand der Haltung weitester Bevölkerungschichten auf dem
Gebiete des Geschlechtslebens“. Eben deshalb schränkte sie
den Zugang in ihr Haus so eng ein, daß nur die Reichsten
und Schieberiens Spitzenorganisatoren sich durchklemmen
können. Frau Durieux, die Professoren Koester und Roethe,
Leipzigs und Berlins Literarhistoriker, der angesehene Mu¬
siker Schreker, die Herren Bab, Jeßner, Intendant des Staats¬
schauspielhauses, Moissi haben ausgesprochen, daß die Dar¬
stellung das Sittlichkeitempfinden verletze, Aergerniß gebe:
und diese Bekundungen mußten dem Gerichtshof, der an
die Paragraphen 184 und 184a des Strafgesetzes gebunden
ist, von Rechtes wegen das Darstellungverbot aufzwingen.
So starke, irgendwelcher Muckerei unverdächtige Zeugen har
kaum jemals ein staatlicher Vertreter dieser Paragraphen ge¬
funden. Die Hochschule hat ihren Theatersaal zu dem Spott¬
preis von hundertsiebenzig Mark (mit Licht und Heizung)
für den Abend, also unter dem Kassenpreis zweier Orchester¬
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an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, aussteilt
ahrcn
oder sonst verbreitet, einer Person unter sechzehn
Einen,
überläßt oder anbietet“; mit Gefängniß sogar schon
der Menschen dieses Alters Schriften oder Darstellungen an¬
bietet, die, „ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröb¬
lich verletzen“. Nach den Entscheidungen des Reichsgerichtes
wird die Strafbarkeit nicht durch Kunstwerth, Motiv und
Zweck der Darstellung bedingt, auch nicht durch die Ab¬
sicht auf oder die Tauglichkeit zu „Erregung geschlechtlicher
Lüsternheit“; der Richter habe stets die Umstände zu priffen,
unter denen solche Darstellung dem Publikum angeboten
wird. In unserem Fall also, welche Darstellungen das Kleine
Schauspielhaus zuvor anbot und welcher Schicht es sein neu¬
stes Stückchen anbietet. Erste Antwort: Fast nur Sexual¬
theatralik; zweite: den Leuten, die an der Kasse bis zu hun¬
dert, dem Zwischenhändler bis zu vierhundert Mark für den
Platz zahlen können und die zu solchem Geldaufwand sich
nur entschließen, um sich im Ekel vor der „alltäglichen Ent¬
würdigung des Geschlechtsverkehres“ zu stärken. Wer zwei¬
felt? Niemand auch, daß die Geschäftsfirma Eysoldt-Sladek
nichts, gar nichts Anderes wollte als (wie das Urtheil „fest¬
stellt“) „die Erzielung eines sittlichen Ekels vor dem Tief¬
stand der Haltung weitester Bevölkerungschichten auf dem
Gebiete des Geschlechtslebens“. Eben deshalb schränkte sie
den Zugang in ihr Haus so eng ein, daß nur die Reichsten
und Schieberiens Spitzenorganisatoren sich durchklemmen
können. Frau Durieux, die Professoren Koester und Roethe,
Leipzigs und Berlins Literarhistoriker, der angesehene Mu¬
siker Schreker, die Herren Bab, Jeßner, Intendant des Staats¬
schauspielhauses, Moissi haben ausgesprochen, daß die Dar¬
stellung das Sittlichkeitempfinden verletze, Aergerniß gebe:
und diese Bekundungen mußten dem Gerichtshof, der an
die Paragraphen 184 und 184a des Strafgesetzes gebunden
ist, von Rechtes wegen das Darstellungverbot aufzwingen.
So starke, irgendwelcher Muckerei unverdächtige Zeugen har
kaum jemals ein staatlicher Vertreter dieser Paragraphen ge¬
funden. Die Hochschule hat ihren Theatersaal zu dem Spott¬
preis von hundertsiebenzig Mark (mit Licht und Heizung)
für den Abend, also unter dem Kassenpreis zweier Orchester¬