11. Reigen
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Die Zukunft
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sitze, vermiethet, ihren Schülern (denen sie nicht, wie das
Urtheil willkürlich behauptet, Theaterbesuch verbieten kann)
billigeren Eintrittspreis zugesichert, den Miether aber ver¬
pflichtet, kein Stück aufzuführen, das „in sittlicher Hinsicht
Anstoß erregt“. Der Miethvertrag zieht den Kreis des Dar¬
zustellenden also noch viel enger als das Strafgesetz; und dall
dieser Vertrag gebrochen wird, wenn allabendlich, gar vorvier¬
zehnjährigen Musikschülern, in jedem von zehn Bildern „zwei
Personen je zweimal und jedesmal mit einer neu auftreten¬
den Person die geschlechtliche Vereinigung vollziehen“, wäre
auch ohne die Gutachten Sachverständigernirgends bezweifelt
worden. In Berlin III wirds geleugnet. Die drei Richter haben
nach der Vorlesung des Buches, dessen Werth sie, als dieser
uralten Literaturgattung wohl Unkundige, thurmhoch über¬
schätzen, die Darstellung verboten, nach zweimaliger Selbst¬
schau sie aber erlaubt: der eigenen Urtheilsfähigkeit also ein
schlechtes Zeugniß ausgestellt. Ihrem Ethos aber leuchtet im
Theater die herrlichste Weihestunde. Die Celesta. limmels¬
stimme, ertönt, auch, wie in „erstklassigen“ Bordells, Geige
und Flöte: und die nah an Gottheit Gehobenen nehmen
neun Seelenbäder in (bis in den Urtheilstag unbekannter,
noch heute nur diesen Richtern vorstellbarer) „Musik, die
sich an keine Kunstform anlehnt“, aber, „zu Andeutung der
sich vollziehenden geschlechtlichen Vereinigung, mit eroti¬
schen Phrasen die Stimmung festhält“. Daß den Bann der
Pflicht, den lockeren Bettkram ins Hieratische zu steifen,
den fetten Sexualschmarrn in Weihrauch zu wälzen, drei
Spieler brachen und „in den Zuschauerraum hinein lachten“
erweist den drei arglosen Juristen nur „den hohen Stand
der Aufführung, deren Wirkung dadurch kein Abbruch ge¬
schah“. Daß sie den Dr. med. Schnitzler, Schnitzler der
Anatole-Gespräche und vieler ähnlichen Erotica, für einen
Kapuziner und Moralpfaffen halten, dessen keusches Herz
vor „körperlicher Vereinigung ohne innigste seelische Gemein¬
schaft“ Ekel krampft: Dieses „wirkt erschütternd, weil es
auf richtiger Beobachtung beruht“ Und außer dem in der
Mönchszellenluft des kanonischen Rechtes lebenden Liebelei¬
dichter lehrt das hoch über Salomons ragende Urtheil uns
noch die Merkmale sittlichen Handelns klar erkennen. Denn
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Die Zukunft
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sitze, vermiethet, ihren Schülern (denen sie nicht, wie das
Urtheil willkürlich behauptet, Theaterbesuch verbieten kann)
billigeren Eintrittspreis zugesichert, den Miether aber ver¬
pflichtet, kein Stück aufzuführen, das „in sittlicher Hinsicht
Anstoß erregt“. Der Miethvertrag zieht den Kreis des Dar¬
zustellenden also noch viel enger als das Strafgesetz; und dall
dieser Vertrag gebrochen wird, wenn allabendlich, gar vorvier¬
zehnjährigen Musikschülern, in jedem von zehn Bildern „zwei
Personen je zweimal und jedesmal mit einer neu auftreten¬
den Person die geschlechtliche Vereinigung vollziehen“, wäre
auch ohne die Gutachten Sachverständigernirgends bezweifelt
worden. In Berlin III wirds geleugnet. Die drei Richter haben
nach der Vorlesung des Buches, dessen Werth sie, als dieser
uralten Literaturgattung wohl Unkundige, thurmhoch über¬
schätzen, die Darstellung verboten, nach zweimaliger Selbst¬
schau sie aber erlaubt: der eigenen Urtheilsfähigkeit also ein
schlechtes Zeugniß ausgestellt. Ihrem Ethos aber leuchtet im
Theater die herrlichste Weihestunde. Die Celesta. limmels¬
stimme, ertönt, auch, wie in „erstklassigen“ Bordells, Geige
und Flöte: und die nah an Gottheit Gehobenen nehmen
neun Seelenbäder in (bis in den Urtheilstag unbekannter,
noch heute nur diesen Richtern vorstellbarer) „Musik, die
sich an keine Kunstform anlehnt“, aber, „zu Andeutung der
sich vollziehenden geschlechtlichen Vereinigung, mit eroti¬
schen Phrasen die Stimmung festhält“. Daß den Bann der
Pflicht, den lockeren Bettkram ins Hieratische zu steifen,
den fetten Sexualschmarrn in Weihrauch zu wälzen, drei
Spieler brachen und „in den Zuschauerraum hinein lachten“
erweist den drei arglosen Juristen nur „den hohen Stand
der Aufführung, deren Wirkung dadurch kein Abbruch ge¬
schah“. Daß sie den Dr. med. Schnitzler, Schnitzler der
Anatole-Gespräche und vieler ähnlichen Erotica, für einen
Kapuziner und Moralpfaffen halten, dessen keusches Herz
vor „körperlicher Vereinigung ohne innigste seelische Gemein¬
schaft“ Ekel krampft: Dieses „wirkt erschütternd, weil es
auf richtiger Beobachtung beruht“ Und außer dem in der
Mönchszellenluft des kanonischen Rechtes lebenden Liebelei¬
dichter lehrt das hoch über Salomons ragende Urtheil uns
noch die Merkmale sittlichen Handelns klar erkennen. Denn