11.
Re
gen
box 18/1
Der Reigen
um den Mietvertrag.
Konrad Hacnisch gegen Gertrud Eysoldt.
Es ist doch ganz gut, daß Gertrud Eysoldt
und Maximilian Sladek am Abend des 23. De¬
zember den Mut gehabt haben, der einstweiligen
Verfügung des Landgerichts III zu trotzen, die
angedrohte Haftstrafe von sechs Wochen auf sich
zu nahmen, und den „Reigen“ doch aufzuführen.
Hätten sie an jenem Abend die Vorstellung ab¬
gesagt und bis zur Entscheidung über ihren Ein¬
spruch verschoben, dann hätte die gestrige Ver¬
handlung vor dem Londgericht III mit ihrer
Niederlage geendet. Denn da es die gleiche
Kammer war, die auf Grund der Lektüre des
Buches zu dem Beschlusse gekommen war, die
einstweilige Verfügung zu erlassen, hätte sich an
dem Urteile über den „Reigen“ nichts geändert.
Er wäre für „unsittlich“ erklärt worden und Herr
Konrad Hacnisch hätte in der Rolle des tugend¬
haften Wächters strenger Sittlichkeit einen billi¬
gen Triumph gehabt. So aber war zwischen dem
Tage, da ## einstweilige Verfügung erlassen
vorden war, und dem Tage, da über den Ein;
spruch der Direktion des Kleinen Schauspiel¬
hauses verhandelt wurde, eine wichtige Tatsache
geschaffen: die Aufführung. Sie hat die
ristlose Kündigung des Mietsvertrages durch die
Hochschule für Musik im Gefolge gehabt, aber sie
hat das Gericht weesntlich beeinflußt. Der Vor¬
sitzende, Geheimrat Bock, Mitglied des Auf¬
sichtsrates des Deutschen Opernhauses, der Lite¬
ratur und dem Theater Freund und nicht fremd,
hat ausdrücklich festgestellt, daß zwischen Lektüre
und Aufführung des „Reigen“ ein wichtiger
Unterschied bestehe. Beim Lesen der zehn Dialoge
habe er geglaubt, ihre Aufführung wäre unmög¬
ich. Im Kleinen Schauspielhause habe er sich
überzeugt, daß die Aufführung außeror¬
dentlich dezent sei, künstlerisches Niveau habe
und das sittliche Empfinden nicht verletze. Heute
werden sich auch die Beisitzer eine Vorstellung des
„Reigen“ ansehen und am Donnerstag, bei der
Publikation des Urteils, wird man am Ende
hören, daß die Mitglieder des Gerichts durch
die Aufführung des „Reigen“, die sie in einer
einstweiligen Verfügung untersagt haben, be¬
kehrt worden seien.
Aber handelte es sich gestern denn wirklich um
Schnitzler, den „Reigen“ um Sittlichkeit und
Moral? Das war ein Mißverständnis! In der
klaren Luft des Gerichtssaales sind die Hinter¬
gründe, die Motive deutlicher geworden. Man
prach vom „Reigen“, von Schnitzler, von Sitt¬
lichkeit, aber in Wirklichkeit meinte man den
Mietsvertrag zwischen der Hochschule für
Musik und der Direktion des Kleinen Schauspiel¬
hauses. Um diesen Verttag drehte sich der Reigen
der Richter, der Anwälte, Parteien und zum Teil
auch der Sachverständie
Frau Eysoldt hat
bei der Erstaufführung
n ihrer anklagenden
Rechtfertigungsrede an
5 Publikum den Geg¬
nern im Kultusministerium das Motiv unter¬
schoben, daß sie die Aufführung des Reigen nur
zum Vorwand nehmen, um das Kleine Schau¬
pielhaus aus dem Saale der Hochschule für
Musik hinauszuwerfen. Damals war's eine Be¬
hauptung, gestern ist sie bewiesen worden
durch das Kultusministerium selbst.
Sein Vertreter war — während der Vergleichs¬
verhandlungen, um die sich der Vorsitzende red¬
lich und geschickt bemühte — bereit, die weiteren
lufführungen des „Reigen“ zu gestatten (um
s Dekorum zu wahren, wurde die Einschaltung
enderer Vorstellungen in die Serie und ein Ver¬
Sie
ausdrücklich fest, daß Herr Haenisch die Mtion
seines Ministeriums billige und decke. Man hat
sich also jetzt an den Minister zu halten und nicht
an seine Räte. In welche Gesellschaft ist er da
geraten: Als die Vergleichsversuche gescheitert
waren, das Gericht in die eigentliche Verhand¬
lung eingetreten war, trat der Anwalt der Frau
Eysoldt den Beweis dafür an, daß die Aufsüh¬
rung des „Reigen“ das sittliche Empfinden nicht
verletzt habe. Er verwies auf die Kritiken in der
liberalen, der sozialistischen, der Zentrumspresse.
Auf wen stützte sich der Anwalt des Herrn
Hacnisch? Auf die Post, auf die Deutsche Tages¬
zeitung und die Kreuzzeitung, die Blätter der
extremen Rechten, der reaktionären Richtung.
Der Anwalt des Kleinen Schauspielhauses legte
ein vom Deutschen Bühnenverein eingefordertes
Gutachten des Prof. Alfred Klaar vor. Mit
velchem Sachverständigen paradierte der Anwalt
des Herrn Haenisch? Mit dem alldeutschen Pro¬
fessor Röthe. Der sozialistische Kultusminister
Haenisch Arm in Arm mit de malldeutschen Pro¬
fessor Röthe vor den Schranken des Gerichts ge¬
gen Schnitzler und Frau Eysoldt — das war
allerdings eine überraschende Bundesgenossen¬
schaft!
*
Auch Frau Tilla Durieux ist gestern als
Eideshelferin für Herrn Haenisch aufgetreten. Sie
hat ein Gutachten erstattet, in dem sie aussprach,
daß die Aufführung von Schnißlers „Reigen
die schlimmsten Instinkte des Publikums in einer
vom künstlerischen Standpunkte nicht zu verant¬
wortenden Weise fördere. Darauf der Anwalt des
Kleinen Schauspielhauses: „Frau Durieux ist be¬
freundet mit Herrn Kestenberg, dem all¬
mächtigen Mann im Kultusministerium. Die
geschäftlichen Beziehungen des Herrn Kestenberg
zu dem Verlage Paul Cassierers, des Gatten
der Frau Durieux, sind bekannt. Man merkt die
Fäden, die sich zwischen Kultusministerium und
diesem Gutachten spinnen. Es ist übrigens merk¬
vürdig, daß Frau Durieux sich so äußert, die sich
von der Direktion Rotter hat kaufen lassen, um
m Residenztheater von Schiebern und Kriegs¬
gewinnlern monatelang in Sudermanns „Freun¬
din“ eine Homosexuelle zu spielen. Das ist ver¬
mutlich sittlicher!
Will man es im Kultusministerium wirklich
auf ein gerichtliches Urteil ankommen lassen,
nachdem man gestern den richtigen Moment ver¬
äumt hat, durch eine schöne Geste sich mit An¬
stand aus der Affäre zu ziehen und zu erklären,
daß man auf die Aufrechterhaltung des Verbotes
verzichte, weil die Aufführung ein nicht erwar¬
tetes künstlerisches Niveau habe? Selbst wenn
das Kultusministerium den Prozeß juristisch ge¬
winnt — moralisch hat es ihn verloren.
Max Reiner.
Darieté und Kino.
hon. Julius Lieban hat (nach seinem Exodus
aus der Bellevuestraße) die „Fledermaus“,
nter den Linden, zu einer Kleinkunst=Bühne um¬
gewandelt. Das Januar=Programm — überaus um¬
fangreich und unterhaltsam, nicht zu prüde, nicht
zu keck — bedeutet einen vollen Erfolg. Ohne ganz
auf literarische Ambitionen zu verzichten (Frank
Hünther als Rezitator eigener Dichtungen), ist
es doch vorwiegend der Musik aller Schattierungen,
sowie der Tanzkunst gewidmet. Die fesche Soubrette
er Komischen Oper, Else Müller, bringt mit viel
Tharme einige gut pointierte Lieder von Karl Wil¬
czinski und Peter Sachse, Lydia Rostowska singt
entimentale russische Volksweisen, und Julius
Lieban selbst beweist, jugendfrisch, mit dem Schu¬
bertschen „Frühlingsglaube“ und dem „Himmelsbaby“
(dem reizenden Werke eines vierzehnjährigen Dichter.
komponisten), daß er auch haute noch den bel canto
und die Vortragskunst beherrscht.
dalbert
00
Lieban erfreut durch eine humorvolle Romanze.
Re
gen
box 18/1
Der Reigen
um den Mietvertrag.
Konrad Hacnisch gegen Gertrud Eysoldt.
Es ist doch ganz gut, daß Gertrud Eysoldt
und Maximilian Sladek am Abend des 23. De¬
zember den Mut gehabt haben, der einstweiligen
Verfügung des Landgerichts III zu trotzen, die
angedrohte Haftstrafe von sechs Wochen auf sich
zu nahmen, und den „Reigen“ doch aufzuführen.
Hätten sie an jenem Abend die Vorstellung ab¬
gesagt und bis zur Entscheidung über ihren Ein¬
spruch verschoben, dann hätte die gestrige Ver¬
handlung vor dem Londgericht III mit ihrer
Niederlage geendet. Denn da es die gleiche
Kammer war, die auf Grund der Lektüre des
Buches zu dem Beschlusse gekommen war, die
einstweilige Verfügung zu erlassen, hätte sich an
dem Urteile über den „Reigen“ nichts geändert.
Er wäre für „unsittlich“ erklärt worden und Herr
Konrad Hacnisch hätte in der Rolle des tugend¬
haften Wächters strenger Sittlichkeit einen billi¬
gen Triumph gehabt. So aber war zwischen dem
Tage, da ## einstweilige Verfügung erlassen
vorden war, und dem Tage, da über den Ein;
spruch der Direktion des Kleinen Schauspiel¬
hauses verhandelt wurde, eine wichtige Tatsache
geschaffen: die Aufführung. Sie hat die
ristlose Kündigung des Mietsvertrages durch die
Hochschule für Musik im Gefolge gehabt, aber sie
hat das Gericht weesntlich beeinflußt. Der Vor¬
sitzende, Geheimrat Bock, Mitglied des Auf¬
sichtsrates des Deutschen Opernhauses, der Lite¬
ratur und dem Theater Freund und nicht fremd,
hat ausdrücklich festgestellt, daß zwischen Lektüre
und Aufführung des „Reigen“ ein wichtiger
Unterschied bestehe. Beim Lesen der zehn Dialoge
habe er geglaubt, ihre Aufführung wäre unmög¬
ich. Im Kleinen Schauspielhause habe er sich
überzeugt, daß die Aufführung außeror¬
dentlich dezent sei, künstlerisches Niveau habe
und das sittliche Empfinden nicht verletze. Heute
werden sich auch die Beisitzer eine Vorstellung des
„Reigen“ ansehen und am Donnerstag, bei der
Publikation des Urteils, wird man am Ende
hören, daß die Mitglieder des Gerichts durch
die Aufführung des „Reigen“, die sie in einer
einstweiligen Verfügung untersagt haben, be¬
kehrt worden seien.
Aber handelte es sich gestern denn wirklich um
Schnitzler, den „Reigen“ um Sittlichkeit und
Moral? Das war ein Mißverständnis! In der
klaren Luft des Gerichtssaales sind die Hinter¬
gründe, die Motive deutlicher geworden. Man
prach vom „Reigen“, von Schnitzler, von Sitt¬
lichkeit, aber in Wirklichkeit meinte man den
Mietsvertrag zwischen der Hochschule für
Musik und der Direktion des Kleinen Schauspiel¬
hauses. Um diesen Verttag drehte sich der Reigen
der Richter, der Anwälte, Parteien und zum Teil
auch der Sachverständie
Frau Eysoldt hat
bei der Erstaufführung
n ihrer anklagenden
Rechtfertigungsrede an
5 Publikum den Geg¬
nern im Kultusministerium das Motiv unter¬
schoben, daß sie die Aufführung des Reigen nur
zum Vorwand nehmen, um das Kleine Schau¬
pielhaus aus dem Saale der Hochschule für
Musik hinauszuwerfen. Damals war's eine Be¬
hauptung, gestern ist sie bewiesen worden
durch das Kultusministerium selbst.
Sein Vertreter war — während der Vergleichs¬
verhandlungen, um die sich der Vorsitzende red¬
lich und geschickt bemühte — bereit, die weiteren
lufführungen des „Reigen“ zu gestatten (um
s Dekorum zu wahren, wurde die Einschaltung
enderer Vorstellungen in die Serie und ein Ver¬
Sie
ausdrücklich fest, daß Herr Haenisch die Mtion
seines Ministeriums billige und decke. Man hat
sich also jetzt an den Minister zu halten und nicht
an seine Räte. In welche Gesellschaft ist er da
geraten: Als die Vergleichsversuche gescheitert
waren, das Gericht in die eigentliche Verhand¬
lung eingetreten war, trat der Anwalt der Frau
Eysoldt den Beweis dafür an, daß die Aufsüh¬
rung des „Reigen“ das sittliche Empfinden nicht
verletzt habe. Er verwies auf die Kritiken in der
liberalen, der sozialistischen, der Zentrumspresse.
Auf wen stützte sich der Anwalt des Herrn
Hacnisch? Auf die Post, auf die Deutsche Tages¬
zeitung und die Kreuzzeitung, die Blätter der
extremen Rechten, der reaktionären Richtung.
Der Anwalt des Kleinen Schauspielhauses legte
ein vom Deutschen Bühnenverein eingefordertes
Gutachten des Prof. Alfred Klaar vor. Mit
velchem Sachverständigen paradierte der Anwalt
des Herrn Haenisch? Mit dem alldeutschen Pro¬
fessor Röthe. Der sozialistische Kultusminister
Haenisch Arm in Arm mit de malldeutschen Pro¬
fessor Röthe vor den Schranken des Gerichts ge¬
gen Schnitzler und Frau Eysoldt — das war
allerdings eine überraschende Bundesgenossen¬
schaft!
*
Auch Frau Tilla Durieux ist gestern als
Eideshelferin für Herrn Haenisch aufgetreten. Sie
hat ein Gutachten erstattet, in dem sie aussprach,
daß die Aufführung von Schnißlers „Reigen
die schlimmsten Instinkte des Publikums in einer
vom künstlerischen Standpunkte nicht zu verant¬
wortenden Weise fördere. Darauf der Anwalt des
Kleinen Schauspielhauses: „Frau Durieux ist be¬
freundet mit Herrn Kestenberg, dem all¬
mächtigen Mann im Kultusministerium. Die
geschäftlichen Beziehungen des Herrn Kestenberg
zu dem Verlage Paul Cassierers, des Gatten
der Frau Durieux, sind bekannt. Man merkt die
Fäden, die sich zwischen Kultusministerium und
diesem Gutachten spinnen. Es ist übrigens merk¬
vürdig, daß Frau Durieux sich so äußert, die sich
von der Direktion Rotter hat kaufen lassen, um
m Residenztheater von Schiebern und Kriegs¬
gewinnlern monatelang in Sudermanns „Freun¬
din“ eine Homosexuelle zu spielen. Das ist ver¬
mutlich sittlicher!
Will man es im Kultusministerium wirklich
auf ein gerichtliches Urteil ankommen lassen,
nachdem man gestern den richtigen Moment ver¬
äumt hat, durch eine schöne Geste sich mit An¬
stand aus der Affäre zu ziehen und zu erklären,
daß man auf die Aufrechterhaltung des Verbotes
verzichte, weil die Aufführung ein nicht erwar¬
tetes künstlerisches Niveau habe? Selbst wenn
das Kultusministerium den Prozeß juristisch ge¬
winnt — moralisch hat es ihn verloren.
Max Reiner.
Darieté und Kino.
hon. Julius Lieban hat (nach seinem Exodus
aus der Bellevuestraße) die „Fledermaus“,
nter den Linden, zu einer Kleinkunst=Bühne um¬
gewandelt. Das Januar=Programm — überaus um¬
fangreich und unterhaltsam, nicht zu prüde, nicht
zu keck — bedeutet einen vollen Erfolg. Ohne ganz
auf literarische Ambitionen zu verzichten (Frank
Hünther als Rezitator eigener Dichtungen), ist
es doch vorwiegend der Musik aller Schattierungen,
sowie der Tanzkunst gewidmet. Die fesche Soubrette
er Komischen Oper, Else Müller, bringt mit viel
Tharme einige gut pointierte Lieder von Karl Wil¬
czinski und Peter Sachse, Lydia Rostowska singt
entimentale russische Volksweisen, und Julius
Lieban selbst beweist, jugendfrisch, mit dem Schu¬
bertschen „Frühlingsglaube“ und dem „Himmelsbaby“
(dem reizenden Werke eines vierzehnjährigen Dichter.
komponisten), daß er auch haute noch den bel canto
und die Vortragskunst beherrscht.
dalbert
00
Lieban erfreut durch eine humorvolle Romanze.