II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 817

Nammer wer, Die uu Orid D Leffüre des
welchem Sachverstündigen paradierte der Unwalt
Buches zu dem Beschlusse gekommen war,
des Herrn Haenisch? Mit dem alldeutschen Pro¬
einstweilige Verfügung zu erlassen, hätte sich
an
fessor Röthe. Der sozialistische Kultusminister
dem Urteile über den „Reigen“ nichts geändert.
Haenisch Arm in Arm mit de malldeutschen Pro¬
Er wäre für „unsittlich“ erklärt worden und Herr
fessor Röthe vor den Schranken des Gerichts ge¬
Konrad Hacnisch hätte in der Rolle des tugend¬
gen Schnitzler und Frau Eysoldt — das war
haften Wächters strenger Sittlichkeit einen billi¬
allerdings eine überraschende Bundesgenossen¬
gen Triumph gehabt. So aber war zwischen dem
schaft!
Tage, da##### einstweilige Verfügung erlassen
*
worden war, und dem Tage, da über den Ein;
Auch Frau Tilla Durieux ist gestern als
spruch der Direktion des Kleinen Schauspiel¬
Eideshelferin für Herrn Haenisch aufgetreten. Sie
hauses verhandelt wurde, eine wichtige Tatsache
hat ein Gutachten erstattet, in dem sie aussprach,
geschaffen: die Aufführung. Sie hat die
daß die Aufführung von Schnitzlers „Reigen“
fristlose Kündigung des Mietsvertrages durch die
die schlimmsten Instinkte des Publikums in einer
Hochschule für Musik im Gefolge gehabt, aber sie
vom künstlerischen Standpunkte nicht zu verant¬
hat das Gericht weesntlich beeinflußt. Der Vor¬
wortenden Weise fördere. Darauf der Anwalt des
sitzende, Geheimrat Bock, Mitglied des Auf¬
Kleinen Schauspielhauses: „Frau Durieux ist be¬
sichtsrates des Deutschm Opernhauses, der Lite¬
freundet mit Herrn Kestenberg, dem all¬
ratur und dem Theater Freund und nicht fremd,
mächtigen Mann im Kultusministerium. Die
hat ausdrücklich festgestellt, daß zwischen Lektüre
und Aufführung des „Reigen“ ein wichtiger
Unterschied bestehe. Beim Lesen der zehn Dialoge
zu dem Verlage Paul Cassierers, des Gatten
der Frau Durieux, sind bekannt. Man merkt die
habe er geglaubt, ihre Aufführung wäre unmög¬
lich. Im Kleinen Schauspielhause habe er sich
Fäden, die sich zwischen Kultusministerium und
überzeugt, daß die Aufführung außeror¬
diesem Gutachten spinnen. Es ist übrigens merk¬
dentlich dezent sei, künstlerisches Niveau habe
würdig, daß Frau Durieux sich so äußert, die sich
und das sittliche Empfinden nicht verletze. Heute
von der Direktion Rotter hat kaufen lassen, um
werden sich auch die Beisitzer eine Vorstellung des
im Residenztheater von Schiebern und Kriegs¬
„Reigen“ ansehen und am Donnerstag, bei der
gewinnlern monatelang in Sudermanns „Freun¬
Publikation des Urteils, wird man am Ende
din“ eine Homosexuelle zu spielen. Das ist ver¬
hören, daß die Mitglieder des Gerichts durch
mutlich sittlicher!“
die Aufführung des „Reigen“, die sie in einer
*
einstweiligen Verfügung untersagt haben, be¬
Will man es im Kultu ministerium wirklich
kehrt worden seien.
auf ein gerichtliches Urt l ankommen lassen,
nachdem man gestern den richtigen Moment ver¬
Aber handelte es sich gestern denn wirklich um
säumt hat, durch eine schöne Geste sich mit An¬
Schnitzler, den „Reigen“ um Sittlichkeit und
stand aus der Affäre zu ziehen und zu erklären,
Moral? Das war ein Mißverständnis! In der
daß man auf die Aufrechterhaltung des Verbotes
klaren Luft des Gerichtssaales sind die Hinter¬
verzichte, weil die Aufführung ein nicht erwar¬
gründe, die Motive deutlicher geworden. Man
tetes künstlerisches Niveau habe? Selbst wenn
sprach vom „Reigen“, von Schnitzler, von Sitt¬
das Kultusministerium den Prozeß juristisch ge¬
lichkeit, aber in Wirklichkeit meinte man den
winnt — moralisch hat es ihn verloren.
Mietsvertrag zwischen der Hochschule für
Max Reiner.
Mesik und der Direktion des Kleinen Schauspiel¬
hauses. Um diesen Vertrag drehte sich der Reigen
der Richter, der Anwälte, Parteien und zum Teil
Darieté und Kino
auch der Sachverständigen. Frau Eysoldt hat
bei der Erstaufführung in ihrer anklagenden
an, done Blies Steogn, dot (nach vermaus¬,
Unter den Linden, zu einer Kleinkunst=Bühne um¬
Rechtfertigungsrede an das Publikum den Geg¬
gewandelt. Das Januar=Programm — überaus um¬
nern im Kultusministerium das Motiv unter¬
fangreich und unterhaltsam, nicht zu prüde, nicht
schoben, daß sie die Aufführung des Reigen nur
zu keck —
auf literarische Ambitionen zu verzichten (Frani
zum Vorwand nehmen, um das Kleine Schau¬
Günther als Rezitator eigener Dichtungen), ist
spielhaus aus dem Saale der Hochschule für
es doch vorwiegend der Musik aller Schattièrungen,
Musik hinauszuwerfen. Damals war's eine Be¬
sowie der Tanzkunst gewidmet. Die fesche Spubrette
hauptung, gestern ist sie bewiesen worden —
der Komischen Oper, Else Müller, bringt mit viel
Charme einige gut pointierte Lieder von Karl Wil¬
durch das Kultusministerium selbst.
czinski und Peter Sachse, Lydia Rostowska singt
Sein Vertreter war — während der Vergleichs¬
entimentale russische Volksweisen, und Julius
verhandlungen, um die sich der Vorsitzende red¬
Lieban selbst beweist, jugendfrisch, mit dem Schu¬
lich und geschickt bemühte — bereit, die weiteren
bertschen „Frühlingsglaube“ und dem „Himmalsbaby“
(dem reizenden Werke eines vierzehnjährigen Dichter.
ufführungen des „Reigen“ zu gestatten (um
komponisten), daß er auch haute noch den bel canto
#s Dekorum zu wahren, wurde die Einschaltung
und die Vortragskunst beherrscht. Adalbert
anderer Vorstellungen in die Serie und ein Ver¬
Lieban erfreut durch eine humorvolle Romanze.
Margarete Kupfers Temperament bringt ein pa¬
# für Jugendliche verlangt) — wenn die
triotisches Gedicht, sowie ein Dirnenlied zu zün¬
Direktion des Kleinen Schauspielhauses in
dender Wirkung. und Paganina, eine von Lieban
die Lösung des Mietsvertrages schon
entdeckte Violinistin, weiß (in Berlin=RO=Auf¬
am 31. Mai 1921 statt 1922 willigte. Nicht
machung) durch allerhand Hexenkünste ihr Dehllt, trotz
starker Befangenheit, zu einem Erfolge zu gestalten.
um die Sittlichkeit war's ihm also zu tun, son¬
Von den zahlreichen Tanznummern sei der aus¬
deren darum, daß das Kultusministerium den
gezeichnete Russe Rietzmann hervorgehoben. Aber
Saal, den es für andere Zwecke verwenden will,
auch die javanische Tänzerin Taka Taka, das „mon¬
däue“ Tanzpaar Clemont und das Geschwistertrio
möglichst rasch frei bekäme. An der Ablehnung
Freyhoff fanden viel Beifall.
dieses Zugeständnisses scheiterte der Vergleich.
*
Und da besann sich das Kultusministerium wie¬
In Italien ist eine
Filmgesellschaft gegründet
der auf sein sittliches Empfinden. Wenn, sagte
worden, die sich lediglich zur Aufgabe gestellt hat,
sein Anwalt, jetzt das Gericht die Aufrechterhal¬
einen Daute=Film zu drehen.
Der Film, der
das Leben Dantes und die „Göttliche Komödie“ auf
tung der einstweiligen Verfügung aussprechen
die Leinwand bringt, soll mit einem Kostenaufwand
und das Kleine Schauspielhaus die Serienauf¬
von 8 Millionen Lire hergestellt werden. Die Schau¬
führung des „Reigen“ trotzdem fortsetzen sollte,
spieler sind bereits verpflichtet.
vann würde die Hochschule für Musik unnach¬
sichtlich die Vollstreckung der Haftstrafe ver¬
Asta Nielsen hat die Rolle der Rastascha in
langen.
dem Film „Der Joiot“ nach dem gleichnamigen Dosto¬
jewskyschen Roman übernommen, der als erster Russo¬
Die Maske war gefallen!
Film von der Decla=Bioscop unter der Regie von
*
Carl Froelich zurzeit aufgenommen wird. Alfred
Gleich darauf fiel noch eine zweite. Man
Abel und Walter Jansen verkörpern die Rollen des
hatte angenommen (und es war versichert wor¬
Rogoschin und des Fürsten Mischkin.
den, daß Herr Konrad Haenisch, der Kultus¬
Die staatliche Zensurbehörde Pennsylvaniens
minister, diesem Kesseltreiben seiner Geheimräte
hat neuerdings diejenigen Filmaufnahmen untersagt,
gegen das Kleine Schauspielhaus ferne stehe),
die die Verbrecherlaufbahn mit all ihren Abenteuern
Gestern ist man eines anderen belehrt worden.
schildern, auch wenn die Verbrecher zum Schluß des
Films die wohlverdiente Strafe erhalten.
Der Vertreter des Kultusministeriums stellte