II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 821

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11. Reigen
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Der Aufruf. — Kant, der „Reigen“ und die neue deutsche Jugend.
ein Kaiser und Gott behandelt sein. Er offenbarte,
sittlich einwandfrei hält, wenn er zu diesem Zweck
anläßlich seiner Strafsache wegen Unterschlagung, die
notfalls selbst Gelder unterschlägt, ist ein Typus für
er zugibt, vor seinen Münchener Richtern eine aus
die auf dem Kopfe stehende Moral gewisser Kunst¬
Größenwahn und Doppelmoral gemischte Geistes¬
kreise unserer Tage.
verfassung, die geradezu in Erstaunen setzen muß. Er
Wollen wir noch weitere Niedergangszeichen an¬
hält sich für namenlos groß und seine Verhaftung für
einander reihen? Moral oder Unmoral? Kunst oder
ein nationales Unglück, da für ihn die bürgerlichen
Kitsch? Aufstieg oder Niedergang? Kennt sich das
Maxime nicht gelten. Nach Zeitungsberichten sagte
Volk denn heute wirklich nicht mehr darin aus? Oder
er wörtlich: „Ich bin ein Gott, außerhalb aller Gesetze
will man sich a tempo ruinieren?
und aller Richter, moralisch habe ich nicht unrecht ge¬
Ja, es ist Abend. Und es wird ewige Nacht in und
tan ...“
Kaiser, der nur in Saus und Braus,
um uns werden, wenn wir keine innere Erneuerung
höchsten Wohlleben schaffen kann und es daher
für
erleben!

Der
Auffru
betiteln sich die von Professor Brunner herausgege¬
auch mancher andere, dessen Urteil in Kunstangele¬
benen „unpolitischen Flugblätter für aufrechte Kritik',
genheiten vordem hier oder da noch etwas gegolten
die in zwangsloser Folge je nach Bedarf, etwa monat¬
haben mag, hat sich im Verlaufe des „Reigen'-Pro¬
lich einmal erscheinen werden. Professor Brunner,
zesses — man entschuldige den drastischen Ausdruck
unser tapferer Kampfgenosse gegen die skrupellosen
aus dem kommunistischen Wortschatz — als solche
Nutznießer des Sittenzerfalles und den immer mehr
Dreckseele' erwiesen, daß man einfach erschüttert
überhand nehmenden Terror einer Verfalls-„Kultur'
ist ob solchen moralischen Tiefstandes. Von diesen
hal es sich in diesen Heften zur Aufgabe gemacht, ak¬
„Volksverderbern“ unter dem Deckmantel der Kunst
tuelle Fragen oder Vorfälle einschlägiger Art zu be¬
mi.Z man sich mit hörbarem Ruck abwenden, und
sprechen. Daß man dabei in jedem Fall die volle
gegenüber der uns fast erdrückenden unsittlichen
Wahrheit erfahren wird, dafür bürgt die Persönlich¬
Presse, die tagtäglich durch Millionen von Kanälen
keit Brunners, der in unserer Zeit, da Führerschaft
das Kultur-Leichnams-Gift in eine um sein Leben
fast nur darin besteht, bei der Masse um gut Wetter
ringende Volkssaele leitet, wollen wir jede Bestre¬
zu bitten, den Mut besitzt, unpovulär zu sein. Auch
bung begrüßen und nach Kräften fördern helfen, die,
das uns vorliegende Heft Nr. 1 beweist es. Läßt es
wie hier auch „Der Aufruf' in uneigennütziger Weise
doch selbst die Gegner Brunners voll zu Worte kom¬
im wahrsten und edelsten Sinne des Wortes Volks¬
men. Das ist nach einem Schriftwort auch darum
wohl-Politik treibt, die nur dem Allgemeinwohl dienen
guk, weil nicht das, was zum Menschen eingeht, ihn
will, nicht politischen und wirtschaftlichen egoistischen
verunreinigt, sondern das, was von ihm herauskommt,
Partei-Interessen. „Der Aufruf', der auch durch
in Worten, Taten und Gebärden. So ist die ganze
den Volkswacht-Verlag, Hamburg, bezogen werden
„Mosse'- und „Ullstein?-Presse mit ihren Praktiken
kann, kostet pro Einzelheft =K 4,—.
Axel Bergh.
im Interesse einer „Konjunktur-Kunst' gerichtet. Aber
S
Kant, der „Reigen“ und
die neue deutsche Jugend.
Von Studiendirektor
Eberhard, Greiz.
Durch die Zeitungen geht folgende Bemerkung,
Professor Brunner, dem der Zentralausschuß für
die bisher unwidersprochen geblieben ist:
Innere Mission für seine charaktervolle Haltung
im
„An das fast zweistündige Gulachken Professor Brunne#s
Reigenprozeß auf der jüngsten Sitzung einstimmig
knüpften sich lebhafte Auseinandersetzungen zwischen Pro¬
eine Zustimmungserklärung sandte. Alle echten Gel¬
fessor Brunner und einzelnen Sachverständigen und der Ver¬
stesdenker und Volksfreunde sind sich darin einig, daß
keidigung. Insbesondere hält Professor Witkowski (Leipzig)
dem Professor Brunner vor, daß er in der vorigen Sitzung
unserer Zeit nichts so not tut als die Pflege des kate¬
behauptet habe, daß unsere Moral noch heute auf der Ethik
gorischen Imperativs, und daß der sittliche Pflicht¬
Kanks und dessen kategorischem Imperativ stehe. Auf Grund
gedanke von niemandem tiefer erfaßt und philosophisch
dieser Bemerkung müsse er dem Professor Brunner das
begründet worden ist als von dem Königsberger Wei¬
Recht bestreiten, als Sachverständiger in sittlichen und künst¬
lerischen Dingen zu fungieren.“
sen Immanuel Kant. Zeitlos ragt die sittliche Grund¬
forderung, unberührt von Tagesmode und Menschen,
Es mag dahingestellk bleiben, ob diese Worte so
als Kompaß über dem flutenden Meer des Volks¬
gesprochen sind; gewiß ist, daß in dem be — rüchtigten
und Menschenlebens und zeigt uns wenigstens von
Berliner Reigen'prozeß Richter, Verkeidiger und
ferne das rettende Land, auf dem ein Wiederaufbau
Sachverständige in ihrem Sinne gehandelt haben —
von Treu und Glauben, Zucht und Sitte, Arbeit und
die Sachverständigen mit Ausnahme des tapferen
Opfer erstehen könnte. Aber da kommen diese Über¬